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Fabrikbesetzungen sind ein Kampfmittel - Die Beispiele Innse (Mailand) und Officine (Schweiz)

Wenn ein Unternehmen an die Wand gefahren wird, und ein Betrieb dicht gemacht werden soll, rappeln sie sich die ArbeiterInnen manchmal auf und besetzen den Betrieb – mit dem Ziel, die Arbeitsplätze zu erhalten und die Produktion weiterzuführen. Leider tun sie diesen Schritt oft erst in letzter Minute, wenn ihre Kampfposition schon sehr geschwächt ist. Manchmal entwickelt sich aber auch eine regelrechte Gegenmacht.

20.03.2009

Einen entschlossenen Kampf kämpfen die 49 Beschäftigten der Maschinenfabrik Innse seit neun Monaten in Mailand. Sie stehen mit UnterstützerInnen vor den Fabriktoren, um den Abtransport von Maschinen zu verhindern. Zuletzt kam es am 10. Februar, nachts um drei Uhr, zu einem Überfall durch die Polizei und den Besitzer Sylvano Genta. Sie räumten mit einem Bagger und Lkw die Barrikaden vor einem schwächer besetzten Tor weg und drangen in die Fabrik ein; einige Maschinen konnten sie wegschaffen. Dabei wurde drei Arbeitern das Nasenbein gebrochen, sechs Polizisten erlitten Verletzungen durch Schraubenschlüssel und Steinwürfe.
Vor etwa drei Jahren hat Genta die Maschinen einer staatlichen Auffanggesellschaft zu einem Spottpreis abgekauft gegen das Versprechen, die Produktion weiterzuführen. Das Fabrikgelände gehörte da bereits der Immobilienfirma AEDES, die nur darauf wartet, dass die Maschinen abtransportiert und die Werkhallen geräumt sind, um das Fabrikgebäude abzureißen. Das Gelände soll 2015 für die Expo verwendet werden.
Die Innse-Beschäftigten sprechen von einem dreiköpfigen Ungeheuer, gegen das sie kämpfen müssen: Genta, der Besitzer der Maschinen; AEDES, die Besitzerin des Fabrikgeländes; und die Mailänder Behörden, die mit den Spekulanten unter einer Decke stecken. Bis Ende Februar bestand eine Art Waffenstillstand, d.h. weitere Angriffe von Genta und der Polizei sind eher unwahrscheinlich, weil Verhandlungen wegen der Besitzverhältnisse des Geländes mit der maroden Immobilienfirma AEDES laufen.
Früher arbeiteten 2200 Beschäftigte bei Innse-Presse, sie stellten Walzwerke und Pressen her. Vor neun Monaten hat ein kärglicher Rest von 50 Kollegen den Kampf gegen die endgültige Schließung aufgenommen. Einer ist inzwischen dem Stress erlegen und an einem Herzleiden gestorben. Als die Beschäftigten am 31.5.2008 erfuhren, dass Genta die Firma schließen wollte, besetzten sie ihre Fabrik und vertrieben die überraschten acht Bodyguards, die Genta in der Fabrik postiert hatte. In eigener Regie nahmen sie die Produktion auf – für dreieinhalb Monate. Sie bekamen Aufträge, indem sie die hergestellten Maschinen erst auslieferten, nachdem sie neue Aufträge erhalten hatten. Durch einen Polizeiüberfall wurden sie vertrieben, er ereignete sich, als nur wenige Arbeiter in der Fabrik waren. Also errichteten sie vor dem Tor ein Camp, um zu verhindern, dass Genta die Maschinen rausholt, um sie zu verschrotten und die Fabrik zu schleifen kann.

Häuserkampf

Bei Innse in Mailand spielt sich das ab, was Marx im entstehenden Industriekapitalismus von den Gewerkschaften erhoffte: "den Guerrillakrieg zwischen Kapital und Arbeit" bis zur "Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalsherrschaft selbst" voranzutreiben. Diese Rolle einzunehmen sind unsere Gewerkschaften unfähig, ob in der Schweiz, in Deutschland oder in Italien. Wir befinden uns im Häuserkampf. Einigen verzweifelten und entschlossenen Belegschaften kommt es zu, den Guerillakrieg zu führen, manchmal mit Unterstützung einiger "echter" GewerkschaftsfunktionärInnen, manchmal mit Unterstützung aus der Bevölkerung, manchmal beginnen sie den Guerillakrieg ganz auf sich allein gestellt. Die Belegschaften führen diesen Kampf allerdings nicht zur "Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalsherrschaft selbst", sondern schlichtweg, um im Kapitalismus zu überleben.
Staat und Polizei sind keine neutralen Kräfte, die über dem Kapital und der ArbeiterInnenklasse stehen, sondern sie ergreifen Partei für das Kapital. Bei Innse hat die Praxis des Staates und der Polizei jetzt die Entindustrialisierung, die Verschrottung der Maschinen zur Folge. Schutz des Eigentums geht vor Schutz der Produktionsanlagen. Der industrielle Kapitalismus beginnt, sich selber aufzufressen.

Der Kampf bei Officine

Der Kampf der 50 Innse-Beschäftigten war deshalb besonders schwer, weil sie erst nach fünf Monaten größere Aufmerksamkeit und Solidarität aus Mailand und Umgebung erhielten. Und das in Mailand, das früher viele ArbeiterInnenkämpfe erlebt hat! Die Unterstützung durch KollegInnen, die auch von Entlassung bedroht sind, von Leiharbeitern, auch von Jugendlichen, Studierenden und sozialen Zentren hat in der letzten Zeit aber zugenommen.
Umso wichtiger war für die Innse-Kollegen ihr dauerhafter und intensiver Kontakt zu den Besetzern der Eisenbahnwerkstätten Officine in Bellinzona (Tessin). Auch die Officine mit ihren 430 Beschäftigten sollte geschlossen werden. Die Belegschaft war auf diesen Angriff vorbereitet und besetzte zur Überraschung des Arbeitgebers, der Schweizer Bundesbahn, am 7. März das Werksgelände und bewachte es Tag und Nacht. Die ArbeiterInnen nannten das ihren Befreiungsschlag. Wegen ihrer Geschlossenheit und der breiten Unterstützung aus der ganzen Provinz musste der Arbeitgeber nachgeben: Ein vollständiger Sieg, keine einzige Entlassung!
Wichtig war die starke Unterstützung durch drei Sekretäre der Gewerkschaft Unia, betont das Streikkomitee. Die anderen Gewerkschaften verhielten sich neutral, behinderten den Kampf also nicht. Das Streikkomitee hatte den Gewerkschaften verboten, Sozialplanverhandlungen zu führen, solange der Streik andauerte.
Zu Recht wird der Kampf bei Officine der Befreiungsschlag von Bellinzona genannt. Die Arbeitsplatzgarantie, die ursprünglich nur bis 2010 galt, wurde allein durch die Drohung mit neuen Warnstreiks bis 2013 verlängert. Im Verlauf des Kampfes setzte die Belegschaft neun Forderungen gegen die Geschäftsleitung durch: die Erweiterung der bisherigen Personalkommission um sämtliche Mitglieder des Streikkomitees; die Verpflichtung, alle Entscheidungen, welche die Arbeiter betreffen (z.B. Überstunden) vorrangig mit dem Streikkomitee abzusprechen; das Recht, während der Arbeitszeit Betriebsversammlungen abzuhalten.
Das Streikkomitee machte von seinen erkämpften Rechten sparsamen, aber wirkungsvollen Gebrauch. Bei Bedarf fanden Vollversammlungen statt, um dem Streikkomitee in den Verhandlungen den Rücken zu stärken, oder um einen eintägigen Warnstreik zu beschließen. Durch Streik und Besetzung hat die Belegschaft sich enormen Respekt und so etwas wie den Ansatz einer Doppelherrschaft verschafft. Die Frauengruppe hatte jetzt ein Recht auf die Nutzung der Werkshallen, und die Familien nutzen es. (Während der Betriebsbesetzung schlossen sich die Ehefrauen und Töchter der Besetzer zu einer Unterstützungsgruppe zusammen.) Durch die Besetzung und den Streik ist eine kommunikative Widerstandskultur entstanden, die bis heute lebt.
Während des Kampfes ist zudem ein "Netzwerk für eine kämpferische Bewegung der ArbeiterInnen" entstanden, ein Unterstützungskomitee, das seine Arbeit fortsetzt und ausgeweitet hat, indem es allen streikenden und besetzenden Belegschaften des Landes seine Hilfe anbietet. Über 200 Aktive haben sich darin zusammengeschlossen, darunter viele Mitglieder linker Gruppen, auch das Streikkomitee von Officine macht mit. Der erfolgreiche Arbeitskampf hat bei den UnterstützerInnen bewirkt, dass sie Differenzen und ihre eventuelle Organisationszugehörigkeit zurückdrängen. Dies beruht auf eigener Einsicht, aber auch auf der rigorosen Haltung des Streikkomitees: Keine politischen Etiketten!
Das entstandene Netzwerk ist ein loser Zusammenschluss, der Raum für gemeinsame Praxis geöffnet hat. Dies ist ein erfolgversprechender Ansatz bei der Herausbildung einer neuen ArbeiterInnen- und Widerstandsbewegung.

Dieter Wegner
Quelle: SOZ; der Autor ist aktiv im Jour Fix der Gewerkschaftslinken Hamburg.