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Arbeiterinnenbewegung: "Tschikweiber"

Die «Tschikweiber» sind in Vergessenheit geraten. Sie kämpften gemeinsam, solidarisch, es gab um die Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jhdt. viele erfolgreiche Arbeitskämpfe, da es starken solidarischen Zusammenhalt gab. Die Tabakarbeiterinnen waren nie verlegen und hatten immer starke Sprüche auf den Lippen, und bei Maiaufmärschen in der sozialdemokratischen Hochburg Hallein waren sie eine wesentliche Macht.

30.04.2013

Tschik ist ein österreichisches Dialektwort für Zigarette; der Tschik gehört zur Geschichte der Stadt Hallein, eine kleine Stadt südlich von Salzburg. Hier wurde jahrhundertelang Salz abgebaut. Im Bergbau waren die Frauen als Essensträgerinnen tätig, und in den Sudhäusern arbeiteten sie an der Sudpfanne als Holzzieherinnen. Die Radgeherinnen setzten mit Körperkraft das Schöpfrad in Bewegung, mit dem die Sole aus dem Erdgeschoss in die höher gelegenen Sudpfannen geschöpft/gepumpt wurde. Salzhackerinnen zerkleinerten große Salzblöcke. Kufenheberinnen hoben den Trägern die Salzfässer auf den Rücken, und die Raiffantreiberinnen machten die Salzkufen versandfertig.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sorgte die Industrialisierung für die radikale Zerstörung dieser Frauenarbeitsplätze. Die Salzversiedung wurde modernisiert und 1862 auf der Pernerinsel zentralisiert. Die Kufenheberinnen, Radgeherinnen, Salzträgerinnen verloren ihre Arbeitsplätze. Weitere Arbeitsplätze wurden bei der Umstellung von der Faßverpackung auf Jutesäcke zerstört. Küfer, Kleitzler, Raiffantreiberinnen, Bandgewächshauerinnen verloren ebenfalls ihre Arbeit, und der Bau von Soleleitungen und vor allem der Anschluss Halleins im Jahre 1871 an die Eisenbahn hatte das Ende der Salzschifffahrt zur Folge.
Hallein wurde zur Elends- und Bettelstadt, und die Kommunalpolitik lockt damit – ähnlich wie es heutzutage geschieht – Industriebetriebe an: «An Arbeitskräften dürfte es also nicht fehlen, zumal die hiesigen Arbeiter durchgehend keinen Grundbesitz haben, daher dieselben resp. ihre Familienmitglieder ihre Zeit und Kräfte ungestört diesem Industriezweige zuwenden können», wirbt die Stadt in einer Petition an das k.u.k. «Hohe Finanzministerium». Das Ziel: die Ansiedelung einer Tabakfabrik in Hallein. Die k.u.k. Tabakregie der Monarchie willigt ein – das sind die billigen Arbeitskräfte, die sie sucht, und im Jahre 1869 beginnt, zunächst provisorisch, die Produktion. Im Jahre 1871 ist die Fabrik fertig gebaut. 215 Arbeiterinnen drehen zunächst vor allem Zigarren. Im Jahre 1912 sind in der Halleiner Fabrik 510 Menschen beschäftigt, 90% davon Frauen; die Produktion steigt auf 27 Millionen Zigarren. Die Marken Britannica, Trabucco, Kuba und Portorico dürften heute kaum noch bekannt sein, zum Produktumfang gehörte auch Pfeifentabak und «Nordtiroler Kautabak».

Das Habsburgerreich ging den Bach runter, aber die Tschikweiber und die Halleiner Tabakfabrik überlebten. Die Zigarette wurde zum Hauptprodukt, sie wurde maschinell mit Großanlagen produziert. Diese Umstellung führte in Hallein zu Maßnahmen, wie es sie auch heute gibt: Zwischen 1922 und 1937 wurde fast die Hälfte der Arbeiterinnen entlassen, 1939 wurde die Produktion komplett eingestellt.
Frauenarbeit ist bei der Bewertung und Betrachtung der Geschichte der Arbeiterbewegung immer zu kurz gekommen, und so ist besonders bedauerlich, dass eines der wirklich wichtigen Bücher zur Geschichte der Arbeiterinnen in der Halleiner Tabakfabrik – Ingrid Bauers Tschikweiber haum’s uns g’nennt… Frauenleben und Frauenarbeit an der «Peripherie». Die Halleiner Zigarrenfabriksarbeiterinnen 1869 bis 1940 (Wien: Europa-Verlag, 1988) – heute nicht einmal mehr antiquarisch zu bekommen ist

Enger Zusammenhalt

Die «Tschikweiber» sind in Vergessenheit geraten. Sie kämpften gemeinsam, solidarisch, es gab um die Jahrhundertwende viele erfolgreiche Arbeitskämpfe, da es starken solidarischen Zusammenhalt gab. Die Tabakarbeiterinnen waren nie verlegen und hatten immer starke Sprüche auf den Lippen, und bei Maiaufmärschen in der sozialdemokratischen Hochburg Hallein waren sie eine wesentliche Macht. «Durch dick und dünn san ma gaungan. Und waun irgend a Teuerung eintreten is, hot’s scho Alarm geben. Do is aufmarschiert worn mit Kind und Kegel.» Und: «Mir haumd aunders zaumghoiten.»

Man half sich. Wenn eine Frau ihr Tagespensum nicht bewältigen konnte, sprangen die anderen für sie ein. Im Jahr 1899 sollte eine Arbeiterin entlassen werden, die Kolleginnen stellten die Arbeit ein, besetzten die Fabrikgänge und verhinderten ihre Entlassung. Im Jahre 1903 – mit einer Obfrau – organisierten sie sich im Fachverein der Tabakarbeiterinnen. Durch ihre organisatorische Stärke gegenüber dem Unternehmen war es ihnen möglich, Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung und soziale Absicherung durchzusetzen. Auch die Forderung nach respektvollem Verhalten der Fabrikbeamten gegenüber den Frauen wurde durchgesetzt.
Die jüngere Generation der Tabakarbeiterinnen kämpfte gegen den brutalen Kreislauf von Schwangerschaft, körperlichem Raubbau, Überbelastung und materieller Not: «Liaba koa (Kind) ois wia so vü wia mei Muatta!» Die Fabrik war ein Ort, an dem es Aufklärung gab über Verhütung – und Politik.

Die allermutigste Arbeiterin

Als die österreichische Arbeiterbewegung am 12. Februar 1934 ihre schwerste Niederlage erfuhr, zogen die Frauen geschlossen ins Zentrum Halleins und forderten ihre männlichen Kollegen in der Saline, der Brauerei und der Zellulosefabrik zur Teilnahme am Generalstreik auf.

Eine der mutigsten Tschikweiber war Agnes Primocic. «De haum sie net traut. Mia san außa und haumd gsogt, sie soin si schämen», kritisierte sie die Arbeiter. Primocic ließ sich nicht einschüchtern, sie kämpfte bis 1938 weiter gegen den Austrofaschismus. Viermal kam sie deshalb in Haft. Weil die Sozialdemokratie im Jahre 1934 den Kampf gegen die Austrofaschisten nur halbherzig unterstützte, trat Agnes Promocic in die Kommunistische Partei Österreichs ein. Bis zu ihrem Tod im 103.Lebensjahr, am 14.April 2007, blieb sie Mitglied der KPÖ.

Ab 1935 war sie bei der «Roten Hilfe» engagiert und half den Familien politisch Verfolgter. Auch während der Naziherrschaft ließ ihr Widerspruch und Widerstand nie nach. Während der Zeit der Hitlerdiktatur wurde sie, damals Mutter zweier Kinder, in Haft genommen. Im April 1945 befreite sie 17 zum Tode verurteilte Gefangene aus dem KZ-Außenlager in Hallein.
Hier ein Auszug aus ihrem Bericht der Gefangenenbefreiung:
«Da hab’ ich gesagt: ‹Herr Lagerführer, jetzt sag’ ich Ihnen eines: Da herinnen ist mein Bruder (das war ein Vorwand und stimmte nicht), als Häftling, und ich will, dass er lebend herauskommt und mit ihm die anderen Häftlinge auch.› Da springt er auf. ‹Was erlauben Sie sich!› Mir ist vorgekommen, er zieht schon einen Revolver und schießt. Hab’ ich gesagt: ‹Sehen Sie denn nicht, dass ihr den Krieg verloren habt? Die Amerikaner sind in München, in Rosenheim. In zwei Tagen sind sie herinnen›, hab’ ich gesagt, ‹und ich hab’ dafür gesorgt, dass Sie zur Verantwortung gezogen werden, wenn die Häftlinge wirklich erschossen werden.› Na, und dann hat er so klein beigegeben: ‹Nun ja, der Krieg ist verloren.› Ich hab’ gesagt: ‹Das ist Realität, der Krieg ist verloren, lassen Sie die Gefangenen heraus!›»
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Agnes Primocic für die KPÖ im Gemeinderat von Hallein tätig.

Als Widerstandskämpferin war es für sie selbstverständlich, in Schulen von ihrem persönlichen und politischen Werdegang zu erzählen. Hellsichtig und klar war ihre Meinung: «Wenn man nicht kämpft, geht man unter» – das war die Schlussfolgerung, die sie weiter vermittelte. Noch im hohen Alter wurde sie nie müde, als wichtige und mutige Zeitzeugin der Jugend politisches Bewusstsein samt Gegnerschaft zum Faschismus zu vermitteln.
«Hätt’ ich mich damals nicht für die siebzehn eingesetzt und sie wären wirklich erschossen worden, ich wär’ mein Lebtag nicht froh geworden», sagte sie zu ihrer mutigen Rettung der KZ-Außenlagerhäftlinge in Hallein.
Bei ihrem Tod waren in der bürgerlichen Stadt Hallein die amtlichen Gebäude mit Trauerfahnen beflaggt. Sie war und ist Ehrenbürgerin der Stadt. An ihrem hundertsten Geburtstag, immer noch weitsichtig und klar, sagte sie: «Es ist meine feste Überzeugung, dass man diese Zeit nicht aus dem Auge lassen, nicht vergessen darf. Sobald diese Zeit nicht mehr so gefährdend für das Land eingeschätzt wird, fängt der Beginn des Wiederkommens an.»
Die Geschichte der Tschikweiber und das lange kämpferische Leben der Agnes Primocic sind eng miteinander verbunden und sollten in dieser Zeit, in der Solidarität eine immer kleinere und unwichtige Rolle spielt, nicht vergessen werden.

Dieter Braeg