Wider das Allerweltskino - Zum Tod von Hans Hurch
Kurt Hofmann
Auf dem Weg zu einer Besprechung mit Abel Ferrara erliegt Hans Hurch einem Herzinfarkt: Zwar sollte man den Tod eines Menschen nicht bedeutungsschwanger wie symbolträchtig aufladen, aber das Bild eines Rastlosen, der mitten (just) in seinem Tun „aufgehalten“ wird, bleibt dennoch haften.
26.07.2017
Wenn es ein Adjektiv gibt, welches Hurch, wie das Festival, das er gestaltete, charakterisiert, dann wäre dies: unverwechselbar, und zwar im Sinne von: nicht beliebig.
Jedes Festival, das etwas auf sich hält, veröffentlicht zu Festivalende eine ZuschauerInnenbilanz, die stets auch eine Erfolgsbilanz ist, man glaubt gar nicht, wie viele ZuschauerInnen mehr in platzlimitierte Kinos pro Festivaljahr passen. Die reale Erfolgsgeschichte der Hurchschen Viennale ist aber eine andere: es ist jene der Publikumsakzeptanz, die Interessierte auch „blind“ in teils sperrige Programme gehen lässt. Nirgendwo anders liegt die Dokumentarabteilung bei der BesucherInnenauswertung gleichauf mit dem Spielfilm, wohl aber bei der Viennale. Erfolg wurde nicht mit Beliebigkeit erkauft. Die Viennale war in der Ära Hurch ein Publikumsfestival, das sich nie scheute, dieses Publikum stetig herauszufordern. Wenn die Filme eines von vielen gefürchteten wie gemiedenen Regisseurs wie Jean-Marie Straub, der sich den soliden Ruf eines „Kassengifts“ erarbeitet hatte, von Hurch (der bei einem Projekt Straubs dessen Regieassistent war) konsequent programmiert wurden, so hat dies dazu geführt, dass jene bei der Viennale meist gut besucht, bisweilen sogar ausverkauft waren, das Ergebnis eines Lernprozesses. Was man anderswo in Retros verbannt, wurde hier – als integraler Teil des Programms – durch Special Programs und Tributes hervorgehoben, wie etwa im Fall eines dem Godard-Weggefährten Jean-Pierre Gorin gewidmeten Special Programs im Jahr 2004 oder jenem zu Ehren des legendären Kameramannes William Lubtchansky 2010. Inmitten eines Programmes neuerer Titel, gesichtet auf größeren und kleineren Festivals, fanden sich auch immer wieder „verstreut“ Filme von Ford, Hawks, Godard, Rivette... scheinbar bezugslos zu den „Aktualitäten“, und den „Museumsführer“ zu spielen, war Hurch zuwider. Doch wer Augen hatte, konnte sehen, wer Ohren hatte, konnte hören, was/wer da zu ihm/ihr sprach und in welchem Bezug es zum Gegenwärtigem stand. Der Entwicklung der Siebten Kunst zu folgen heisst, sich nicht auf das Abspielen der internationalen Festivalnovitäten zu beschränken, sondern diese in Beziehung zu einer (lebendigen, nicht einbalsamierten) Filmgeschichte zu bringen – das gehörte zur „Philosophie“ der Hurchschen Viennale.
Der Skeptiker Hurch, welcher (zu Recht) dem Erfolg misstraute, erfand die Reihe „Propositions“ als „Gegengift“ - Filme, deren ästhetische Ausrichtung ein konzentriertes (Zu-)Sehen, die Bereitschaft, sich auf Ungewohntes einzulassen, erforderten: doch auch dieser Plan des „Pfahls im Fleisch“ wurde (in beachtlichem Maße) durch das Grundvertrauen „seines“ Publikums „sabotiert“...
Von den vielen Interviews, die ich im Laufe der Jahre anlässlich der Viennale mit Hans Hurch führte, hat beim Wiederlesen jenes aus dem Jahr 2003 mein besonderes Interesse erweckt. Es entsteht zu einer Zeit, als das schwarz-blaue Desaster auf kultureller Ebene durch Staatssekretär Morak orchestriert wird. Dessen Putsch gegen die damalige Diagonale – Leitung (und deren Inhalte) erzeugt eine ungewöhnliche Allianz (sonst häufig zerstrittener) FilmemacherInnen gegen die Pläne des schwarz-blauen Kulturverwesers. Auch Hurch, der stets politisch Wache, ist selbstverständlich auf der Seite der Protestierenden, polemisiert gegen eine anpasserische Aussendung des Produzentenverbandes, „... wo diejenigen sind, die sich herauswinden wollen“ und empfiehlt als Exit-Strategie im Fall des Gelingens der Strategie Moraks den FilmemacherInnen, „ein eigenes Festival auf die Beine zu stellen, das ihre Interessen widerspiegelt“. (letztlich waren, wie bekannt, die FilmemacherInnen erfolgreich und „erhielten die Diagonale zurück“)
Angesprochen auf das Lob eines Filmkritikers, die Viennale 2003 stehe für ein „hartes, realistisches Kino“ antwortet Hurch mit einem Statement, das seine Sicht auf das Kino charakterisiert: “Grundsätzlich hat mich immer interessiert, inwieweit Kino Auskunft über die Welt gibt oder imstande ist, sich reflektierend mit der Realität auseinanderzusetzen. Kino ist die Fortsetzung der mündlichen Mitteilung in früheren Zeiten. Im Zweifelsfall würde ich eher einen Film auswählen, der über einen gewissen „Weltgehalt“ verfügt, wobei mich genauso das Gegenteil eines artifiziellen, experimentellen Kinos interessiert. Was ich ablehne, ist die Kino – Rhetorik. Ich bin dagegen, wenn Kino eine Wirklichkeit behauptet oder erfindet, mit der man sich identifizieren oder sie beneiden kann. Etwas nur zu behaupten, ist Schwindel.“ (alle Zitate aus: Die Linke, 9.10.2003, S.6/7)
Während andere Festivals großspurig von sich behaupten, „politische“ Festivals zu sein, war Hurchs Viennale stets von Godards Diktum „nicht politische Filme zu machen, sondern Filme politisch machen“ angeleitet.
Oft wurde Hurch „Sturheit“ vorgeworfen, doch das Sich-nicht-beirren-lassen (von Trends, EinflüsterInnen etc.) war als Credo der Hurchschen Programmierung der Viennale hauptverantwortlich für deren Unverwechselbarkeit in Zeiten der Beliebigkeit.
Hurch pflegte Freundschaften wie Feindschaften, nicht alle Sympathien und Antipathien waren Außenstehenden nachvollziehbar, mancher Konflikt schien unnötig oder vermeidbar, doch wurde jeder Disput von Hurch mit Ernsthaftigkeit ausgetragen. Der Lust am Streit wohnte nicht Rechthaberei inne (das auch... ), sondern eine tiefsitzende Abneigung gegen den billigen Konsens, gegen die Verhaberung um jeden Preis.
In den Siebziger Jahren (des Zwanzigsten Jahrhunderts) definierte sich die Viennale über „Filme, die uns nicht erreichten“. Die Kinolandschaft war Ödland und in Wien gab es außer dem Filmmuseum, dem Action-Kino und dem (fremdsprachiges Arthouse-Kino zeigendes) Burg-Kino kaum Angebote. Die Viennale dieser Jahre wurde zwar sehnlich erwartet, war jedoch von keinerlei kuratorischen Überlegungen geprägt, die Filmauswahl schien „edel“, aber beliebig. Nach dem Entstehen der Programmkinoszene, beginnend mit dem Votiv, dem Filmhaus Stöbergasse (später: Filmcasino) sowie dem Stadtkino, besserte sich die Situation für die Kinonarren.
Doch erst in den Neunzigern, beginnend mit dem Intendanten-Intermezzo Herzog/Pyrker, änderte sich die Ausrichtung des Festivals. Erstmals wurden kuratorische Überlegungen sichtbar, die sich unter der Direktion von Alexander Horwath zu einer neuen Struktur formten. Die Viennale hatte sich nun von einem „Festival der Festivals“ ohne eigenen Anspruch zu einem selbstbewussten, dramaturgisch durchdachten Festival, das erstmals auch internationale Beachtung fand, entwickelt. Hier setzte Hans Hurch, der die Leitung der Viennale 1997 übernahm, an. Er entwickelte die von Horwath vorgefundene Struktur weiter, setzte Akzente, legte Spuren, vermied das Elitäre ebenso wie das Klischee.
Dem „Eventcharakter“ des Festivals begegnete er mit gemischten Gefühlen, seine „neuen“ Stars waren nicht jene des Mainstreamkinos, sondern einer wie Vincent Gallo, seine „alten“ Stars wie Jane Fonda und Jane Birkin repräsentierten ein zwar publikumwirksames, doch widerständiges Kino. Im übrigen war der eigentliche Star der Viennale für deren Direktor Hurch stets der Film in seinen vielfältigen Facetten.
Manches wurde von außen scheel betrachtet, wie etwa Hurchs Verhältnis zum österreichischen Film. Wenn Ruth Beckermann, zu Hurch befragt, dessen „Hass auf den österreichischen Film“ (Falter 30/17, S.24) hervorhebt, so ist dies zum einen das bemerkenswerte Statement einer Regisseurin, deren Filme regelmäßig auf der Viennale gezeigt wurden, und beruht zum anderen auf einem Missverständnis. Denn das Festival für den Österreichischen Film gibt es schon, es heißt Diagonale und findet jedes Jahr in Graz statt, bei einem internationalen Festival wie der Viennale kann der österreichische Film nur ein Aspekt der inhaltlichen Überlegungen sein. Präsent waren österreichische Filme in der Programmgestaltung Hurchs alleweil, denn RegisseurInnen wie Frimmel/Covi, Siegfried A. Frühauf, Jessica Hausner, Peter Tscherkassky, Nikolaus Geyrhalter, oder auch der so junge wie hochbegabte Johann Lurf hatten stets ihren Platz in Hurchs Konzept. Möglich ist allerdings , dass es sich für manche um die „falschen“ österreichischen RegisseurInnen handelte, weil Hurch dem hierzulande so beliebten „Sie wünschen, wir spielen“ abhold war und ein Jukebox-Kino auf allen Ebenen der Programmgestaltung verweigerte.
Die öffentlichkeitswirksam mit Haneke und Seidl ausgetragenen Differenzen (im Fall von Seidl aus eher läppischem Anlass) verstärkten bei manchen den Eindruck des „Österreichfilmfeindlichen“ - irrigerweise.
Wie immer sich die Viennale nach Hans Hurch weiterentwickeln wird, die ihm nachfolgen, müssen darauf achten, dass eine eigenständige (wie auch immer veränderte) Struktur des Festivals bewahrt bleibt und dem Beliebigen, Verwechselbaren entgegenwirken. Die Ära Hurch hinterlässt ihnen dazu Reibepunkte wie Hinweise sonder Zahl.
Engagement und „Sturheit“, Einladung zum Diskurs (auch mittels der zahlreichen Rahmenprogramme) und Abgrenzen vor Vereinnahmung – dies alles zeichnete einen aus, der Charakter hatte und stets neugierig blieb: Hans Hurch.