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Vom Moment des Erkennens – Das IFFI im 20. Jahr

Kurt Hofmann

Nun ist das 20. Jahr also erreicht: Keine geringe Leistung für ein Festival, das reginal verortet, aufs Internationale zielt und das „Wetkino“ für Österreich erfunden hat, als es diesen Begriff hierzulande noch gar nicht gab.

01.07.2011

In der Jubiläumssaison war – als Retrospektive angelegt – ein best of der vergangenen  Jahre zu sehen. Dem großen Pier Paolo Pasolini widmete das IFFI einen Schwerpunkt und lud aus diesem Anlaß Ninetto Davoli, der in 8 Filmen Pasolinis mitspielte, nach Innsbruck ein. Im diesjährigen Internationalen Wettbewerb beeindruckte „Un Homme Qui Crie“ (Der weinende Mann) des tschadischen Regisseurs Mahamet Saleh-Haroun („Abouna“, „Darrat“) mit einem Vater-Sohn-Konflikt als Spiegel der „Modernisierung“. Adam, der Vater, ist als livrierter Bademeister so gravitätisch wie einst der Portier Emil Jannings in Murnaus „Der letzte Mann“. Gleich diesem droht auch Adam ein tiefer Fall. Als chinesische Investoren das Hotel übernehmen, sind Adams Zeiten als anerkannte Autorität und unentbehrlicher Teil der „Hotelfamilie“ vorbei. Er wird zum Parkplatzwächter herabgestuft. Ausgerechnet Adams Sohn Abdel soll dessen Posten übernehmen. Der ist so, wie es die neuen Zeiten verlangen:cool, relaxed, herzeigbar. Und: er hat keine Scheu, gegen seinen Vater zu intrigieren. Doch als in Zeiten des Bürgerkrieges die Werber nach den wehrfähigen Jungen Ausschau halten, ist Adams Zeit der Revanche gekommen. Der District Chief fordert ihn auf, Geld für die Armee zu spenden oder, als Äquivalent, seinen Sohn zu opfern. Erst versucht Adam verzweifelt, Geld aufzutreiben, dann siegt die Versuchung. Er liefert den Sohn aus und erhält seinen Posten wieder. Im gespenstisch leeren Hotel wirkt Adam selbst wie ein Gespenst aus vergangenen Tagen. Je  mehr beängstigende Berichte vom Krieg die Daheimgebliebenen erreichen, desto mehr reut Adam sein Entschluß. Aber es ist zu spät ...

Adam: diesen Namen hat Haroun wohl mit Bedacht gewählt. Erneut eine Vertreibung aus dem Paradies. Aber die Genesis in „Un Homme Qui Crie“ verläuft anders. Von der verbotenen Frucht des Ehrgeizes haben beide, Adam wie Abdel, gegessen. Vater und Sohn treten als Konkurrenten gegeneinander an. In der paradiesfreien Moderne nennt man das Verdrängungskampf. Adams (eitle) Würde ist ein Abglanz kolonialistischer Zeiten, Abdels Imagepflege ist der durchgestylten Einheitskultur in Zeiten der Globalisierung zugeeignet. Was nicht ins Bild paßt, wird entfernt.. Wehe dem unnötigen Esser.

Gleich dem diesjährigen Berlinale-Sieger „Nader und Simin, A Separation“  ist eine Scheidung auch der Ausgangspunkt der filmischen Erzählung von „Mardi  Ke Gilass Hayasch Re Khord“ (The Man Who Ate His Cherries“; R.: Payman Haghano; Iran 2009). Anders als in Asghar Farhadis Film konzentriert sich dieser jedoch auf die finanziellen Probleme seines Protagonisten in Zeiten der Krise. Während ihrer Ehe hat Reza Zari abgezockt. Nun soll er ihr die Mitgift zurückgeben, die er nicht mehr hat und eine einmalige Zahlung von 25 Millionen Toman leisten. Und der sichere Arbeitsplatz? Selbst der scheint in Gefahr angesichts zahlreicher Kündigungen in Rezas Fabrik. Da ist die Frage an den Chef nach einem Vorschuß ebenso müßig  wie jene an den Bankbeamten nach einem Kredit. Rezas unrühmliche Rolle als Ehemann erschwert auch die stetige Bitte um Aufschub an die entschwindende (Ex-) Gattin. Durchlavieren wäre eine Möglichkeit, darin hat Reza durchaus Erfahrung, eine andere entdeckt er bei der Beobachtung eines mutmaßlich gefakten Arbeitsunfalles. Flugs hat er einen Kumpel überredet, ihm bei der Inszenierung eines entschädigungsreifen Unglücks zu assistieren ...


So einer wie Reza taugt nicht zur Identifikationsfigur. Dass seine Frau Zari die Scheidung will, kann man ebenso gut verstehen wie seine weitgehende Isolation im Betrieb. Das ist einer, der sich ewig beklagt, weil immer die anderen schuld daran sind, wie mies er sich fühlt. Eine durchwegs unsympathische Figur also, die Payman Haghano zum Protagonisten seines Filmes „The Man Who Ate His Cherries“ wählt und eben dadurch vom Privaten zum Politischen kommt: zur ökonomischen Misere, die auch den Iran bedroht, zu den Verzweiflungstaten der an die Wand Gedrückten. Sowenig ein Sympathieträger vorhanden ist, bleibt auch der in iranischen Filmen meist als omnipräsent gezeigte Gottesstaat mit all seinen Regeln und Verboten in „The Man Who Ate His Cherries“ abwesend. Die „entindividualisierte“ Perspektive in Haghanos Film legt vielmehr den Blick auf ein Land frei, welches, je stärker die internationale Krise ihm näherrückt, wohl desto stärker den propagandistischen Weihrauch zwecks Verschleierung bemühen wird, naturgemäß.

Und schließlich, der heurige Siegerfilm: „Le Poids Du Serment“ (Das Gewicht des Gelübdes; Burkina Faso 2009; R.: Kollo Daniel Sanou). Sibiri und Nyama sind Jäger und haben einen Eid geschworen, den jeweils anderen zu schützen und zu achten. Doch Sibiri begehrt Nyamas Frau Sarah und stößt diesen während einer Jagd in unwegsamen Gebiet in einen Brunnen. Im Dorf erzählt er, ein wildes Tier habe Nyama getötet. Aber Nyama kann sich befreien. Allerdings hat er durch den Sturz eine Amnesie erlitten und wird von einer Gruppe gar frommer Männer aufgegriffen, die ihn in die Stadt bringen und den traditionell Gekleideten „umpolen“. Er wird zum Mitglied einer christlichen Sekte. Als diese missionierend die Dörfer besucht, kommt sie auch in Nyamas Heimatort. Dort erinnert man ihn an die animistischen (Religions-)Bräuche, an Herkunft, Freundschaft und die Bindung an Sarah, die immer an seine Rückkehr geglaubt hat. Zögernd versucht Nyama herauszufinden, wohin er gehört und begreift, dass er zweimal in eine Falle gelockt worden ist ...

Die fortschreitende Zerschlagung der alten „abergläubischen“ Dorfstrukturen zugunsten geschäftstüchtiger Pseudomystik und einer zunehmenden Entsolidarisierung: auch in Sanous „Das Gewicht des Gelübdes“ wird der Wandel der Zeiten thematisiert – abseits verlogener „Afrika!“-Romantik plädiert dieser Film für die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses in Zeiten der neokolonialen Vergessensindustrie.

Kurt Hofmann