Viennale: "Mitten im Dschungel" - Viennale-Direktor Hans Hurch im Gespräch
Kurt Hofmann
24.04.2007
Ein breitgefächertes Programm, das neben neuen Werken der "üblichen
Verdächtigen" wie Robert Altman, Stephen Frears, Otar Iosseliani,
Richard Linklater..., der zentralen Retro (im Österreichischen
Filmmuseum), die heuer das Regisseurspaar Jaques Demy und Agnes Varda
in den Mittelpunkt stellt, zahlreiche specials und tributes anzubieten
hat, wird zwischen 13.-25. Oktober 2006, der Zeit der Viennale, wohl
auch in diesem Jahr wieder einen unwiderstehlichen Sog für Wiens
Cinephile entwickeln.
Mit Viennale-Direktor Hans Hurch sprach Kurt Hofmann für "die linke".
Die diesjährige Retro ist Agnes Varda
und Jaques Demy gewidmet, einem Paar, zu dessen Miteinander auch der
Respekt vor dem Trennenden in der künstlerischen Arbeit gehörte. Das
Unterschiedliche, die Kontraste, zählen zum Reiz dieser
Gegenüberstellung zweier bedeutender RegiesseurInnen. Dennoch die Frage
nach möglichen Berührungspunkten...
...obwohl das Unterschiedliche naturgemäß überwiegt. Allerdings war da
das stete Interesse an der Arbeit des/der Anderen. Was es an
Verbindendem gibt, ist, dass sie sich in äußerst unterschiedlicher Form
mit den Mythen des Alltags beschäftigt haben; Agnes Varda betont
realistisch, teilweise dokumentarisch, Jaques Demy in einer sehr
stilisierten, übersteigerten, musikalischen, farbenprächtigen Weise.
Und: Die während des gemeinsamen Aufenthalts in den USA der späten
sechziger Jahre entstandenen Filme der Beiden, welche die Politisierung
und die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen jener Tage auf
unterschiedliche Weise widerspiegeln, Demy in "Model Shop", Varda in
diversen dokumentarischen Arbeiten, z.B. in "Black Panther".
Darüber hinaus sollte man aber nicht mit Zwang nach Gemeinsamkeiten im filmischen Werk von Varda und Demy suchen.
Für
viele ist der Dschungel vor allem metaphorisch präsent: als Dschungel
der Gefühle, der Großstadt, etc. Was sich aus dem Metaphorischen
herauslesen und -hören läßt, ist die Sehnsucht nach dem nicht
Normierten, noch nicht Domestizierten. Die Viennale zeigt, davon
absehend, heuer im Rahmen des Schwerpunktes "Tales from the Jungle" den
"echten" Dschungel. Welche Überlegungen waren bei der Programmierung
dieses specials ausschlaggebend?
Die Anregung für dieses special habe ich durch die Filme von Apichar
Apichatpong Weerasethakul (ein thailändischer Regisseur, der in den
vergangenen Jahren schon zweimal bei der Viennale mit seinen Filmen
vertreten war; K.H.) erhalten. Dass bei Weerasethakul der Dschungel
eine zentrale Rolle spielt wie anderswo eine Stadt oder in einem
Western das Land und nicht einen Vorwand liefert oder als "malerischer"
Hintergrund fungieren darf, sondern vielmehr einer handelnden Person
gleichgesetzt wird, hat mich fasziniert und schließlich zu diesem
special angeregt. Es könnte schön sein, sich dem Dschungel auf einer
unmittelbaren, physischen, realen Ebene zu nähern und eben nicht
metaphorisch, "übersetzt" oder symbolisch, so war meine Überlegung. Der
Dschungel soll als Protagonist agieren... Entstanden ist ein Programm,
das den Dschungel von außen und von "innen" betrachtet und sich mit den
zivilisatorischen und ideologischen Hintergründen auseinandersetzt.
Zwei, die nicht zusammengehören, bei
denen sich aber in beiden Fällen die Frage nach dem Stellenwert im
Rückblick stellt, sind Peter Whitehead, der filmische Chronist des
musikalischen und zum Teil auch des politischen Aufbruchs in den
sechziger Jahren, dem die Viennale 06 ein tribute widmet und der
österreichische Filmemacher Herbert Vesely, ebenso legendär wie
umstritten, dessen Einfluss auf den Neuen deutschen Film in der
diesjährigen Schau des Filmarchiv Austria im Rahmen der Viennale
untersucht wird.
Herbert Vesely ist als Regisseur eine singuläre Figur, der schon in den
späten fünfziger Jahren eine Verbindung zwischen einem realistischen
Zugang des Nachkriegskinos mit dem Literarischen hergestellt hat. Er
findet eine erzählerische Form, die zum Teil auch experimentiell
geprägt ist. Wenn man beim Wiedersehen der frühen Vesely-Filme meint,
dass sie Erinnerungen an das Werk anderer RegisseurInnen wecken und
dann feststellt, dass das gar nicht möglich ist, weil die Vesely-Filme
früher entstanden sind, ist das verblüffend... So werden in der von
Hans Scheugl kuratierten Schau Veselys Filmen u.a. Filme von Alexander
Kluge und Jean-Marie Straub gegenübergestellt, das ist zwar nicht
unmittelbar vergleichbar, wohl aber als Teil der "Rückgewinnung der
Wirklichkeit" in einer filmischen Form. Eine Retrospektive Herbert
Vesely wäre auf Grund des schwachen Spätwerkes nicht interessant
gewesen, aber der Versuch, eine Linie eines gewissen realistischen,
erzählerischen Kinos bis hin zu Herzog und Wenders, von Vesely
ausgehend, zu verfolgen, finde ich konsequent und anregend.
Was Peter Whiteheads Werk betrifft,
so gibt es Verbindungslinien ebenso wie zum experimentellen Kino eines
Andy Warhol die halluzinogenen Experimente, das New American Cinema,
sind ebenso präsent wie Parallelen zur Arbeitsweise von Kenneth Anger,
Stichwort Mehrfachbelichtungen, und erinnert mich bisweilen sogar an
Kurt Kren.
Diese
Verbindung von "klassischen" Konzert- bzw. Musikfimen mit einer
experimentiellen Bearbeitung machen Whiteheads Filme auch für ein
heutiges Publikum zu einer interessanten Wiederentdeckung.
Peter Whitehead war der erste, der zu einem Lied einen bearbeiteten Film gemacht hat (zu "We love you" von den Rollling Stones).
Er ist der eigentliche Begründer des Musikvideos. Allerdings wirkt das
im Wiedersehen bei Whitehead frischer als der MTV-Alltag unserer
Tage... Ein wichtiger Aspekt bei Whitehead ist auch jener der
Politisierung, der in seinem letzten Film "The Fall" in ein
agitatorisches Kino mündet, das die Studentenrevolte und das
Aufbegehren gegen die Verhältnisse in den MIttelpunkt stellt. Danach
hat Whitehead nie wieder einen Film gedreht, das ist ebenso schade wie
folgerichtig...
Der
österreichische Film "Keine Insel - Die Palmers-Entführung 1977" von
Alex Binder und Michael Gartner widmet sich einem brisanten
zeitgeschichtlichen Thema. Mit Othmar Keplinger und Thomas Gratt kommen
zwei der wegen der Entführung des Industriellen Palmers Verurteilten
selbst zu Wort und können erstmals ihre Sicht der damaligen Ereignisse
und ihre Beweggründe schildern. "Nur" Oral History oder ein
analytischer Essayfilm?
Hartmut Bitomsky hat gesagt, dass sich Geschichte abspaltet, man erlebt die nicht in dem Moment, wo sie sich ereignet.
Wünschenswert wäre, dass hierzulande häufiger- so wie bei diesem Film
versucht wird, von Phänomenen her einen Bogen auf die Zeit zu ziehen.
Man sieht Bruno Kreisky (dessen Worte, man solle nicht hysterisch
reagieren, schließlich sei Österreich keine Insel, die Regisseure auch
zum Titel animiert haben; K:H.) und Erwin Lanc, aber auch StudentInnen
der Theaterwissenschaft im Interview, andere ZeitzeugInnen ebenso wie
die unmittelbar Beteiligten. Es entsteht ein Zeitbild des Österreich
der späten siebziger Jahre.
Welche Forderungen wären an ein zu errichtendes Kunst- und Kulturministerium zu richten?
Es könnte dies ein Ministerium im Kanzleramt sein. Ein solcher Minister
hätte im Ministerrat Sitz und Stimme, wäre nicht weisungsgebunden an
den Bundeskanzler, könnte sich jedoch der Struktur des Kanzleramtes
bedienen. Er sollte neben den klassischen Kunstagenden, den Museen und
der Auslandskultur, der Filmförderung und den Medien auch für die
Fragen des Urheberrechts zuständig zu sein. Der Kulturminister sollte
ebenso eine öffentliche Figur sein, die politisch/moralisches Gewicht
hat im Sinne eines viel breiter gefassten Kulturbegriffs.
Ein Kulturminister müsste sich m. E. zu Fragen wie Zweisprachigkeit, zu
Restitution, zum Umgang mit der NS-Vergangenheit, zum Wahlkampf, zur
Fremdenfeindlichkeit u.Ä. äußern.
Abschließend zu den Geheimtipps des Festivalleiters...
Da wäre z.B. "Svyato" von Victor Kossakorsky, der seinen kleinen
Sohn filmt, als der zum ersten Mal sein eigenes Spiegelbild entdeckt.
Ein existentieller, bewegender Moment, wenn das Kind entdeckt, dass es
ein Gegenüber gibt, das es selber ist...
Oder "Nanjing Lu" ("Living on Nanking Road") von Zhao Dayong Li Qing,
der die Prachtstraßen von Shanghai der Armut in den Seitenstraßen, wo
Bettler und Junkies dahinvegetieren, gegenüberstellt. Shanghai heute:
Der Reichtum durch den wirtschaftlichen Aufschwung und die
"Fortschrittsverlierer": Ein größerer Kontrast ist nicht vorstellbar.
Und: "Sehnsucht" von Valeska Grisebach. Nur mit Laien gedreht, ist
dieser Film in seiner Sensibilität fast einem Ozu-Film vergleichbar.
Wir danken für das Gespräch.