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The Farewell

Kurt Hofmann

USA 2019; Regie Lulu Wang; Im Kino/2 (ab 20.12.2019)

22.12.2019

Gibt es das, eine  „gute Lüge“? Das behauptet jedenfalls ein Onkel von Billie, einer  dreißigjährigen angehenden Schriftstellerin aus  New York, die an ihre chinesischen Wurzeln erinnert wird, als sie die Nachricht erhält, dass man bei der noch in der alten Heimat lebenden Großmutter Lungenkrebs im Endstadium konstatiert hat. Doch Nai Nai, Billies Oma, erfährt  nichts davon. Stattdessen arrangiert die Großfamilie eine  gefakte Hochzeit, um  bei deren Feier noch einmal die Matriarchin der Familie in den Mittelpunkt zu stellen – die zweite „gute Lüge“. Billie soll nicht dabei sein – weil sie so schlecht lügen kann. Die besorgte Enkelin lässt sich die Teilnahme aber nicht verbieten, verspricht, gegen ihre  Überzeugung, im  Sinne der  Familie dichtzuhalten…

Damit sie nicht als „Fall“ einer kalten, klinischen medizinischen  Realität ausgeliefert wird, überreden die Verwandten von Nai Nai die Ärzte zu gefälschten Gutachten, ein chinesischer Sonderfall, und nicht der einzige, wie die leidenschaftliche New Yorkerin Billie feststellt… Andererseits erweist sich die getäuschte Großmutter als äußerst lebenslustig, betreibt Sport und mischt sich gerne in die Belange ihrer aus allen Himmelsrichtungen nach China zugereisten Verwandtschaft ein…

„The Farewell“, „basierend auf einer wahren Lüge“, wie Regisseurin Lulu Wang informiert, ist eine Komödie  am Rande des Todes. Wer hier wem etwas Gutes tut, ob nicht die Sorge nach der Erhaltung familiärer  Tradition der Sorge um das Wohlbefinden der Großmutter vorangestellt war und inwieweit es überhaupt zulässig ist, einen geliebten Menschen – „zu seinem eigenen Besten“ – im Ungewissen zu lassen, das sind (ethische) Fragen, die Lulu Wang in „The Farewell“ stellt, um deren Beantwortung letztlich offen  zu lassen – sie werden weggelächelt.

Dass es gute, sogar notwendige Lügen gibt, hat Henrik Ibsen in seinem Stück „Die Wildente“ schon 1884 konstatiert. Dort stürzt der Wahrheitsfanatiker Gregers Werle (eine der unsympathischten Figuren der Weltliteratur) mit der Aufdeckung eines gut gehüteten Geheimnisses, einer „Lebenslüge“, eine Familie in die Katastrophe und der Arzt Relling zieht als Alter Ego Ibsens das Fazit: „Nehmen sie einem Menschen die Lebenslüge, und sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Glück!“

Aber: Wie verlogen ist es denn, wenn sich eine Großfamilie zu einer gemeinsamen Charade entschließt, und wie komisch, wenn dieses  Täuschungsmanöver ständig in Gefahr ist, aufzufliegen?

Auf diesem schmalen Grat bewegt sich „The Farewell“ und schafft es virtuos, zwischen den Vorgaben zunehmend globalisierter Verhältnisse und den Maßgaben kultureller Eigenheiten zu balancieren, dabei ein Sittenbild des Nowhere Lands der Lüge zum (behaupteten) besseren Zweck entwerfend.