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Vom Blick aus dem Fenster – Zur Viennale 2010: Ein Interview mit Viennale-Direktor Hans Hurch

Kurt Hofmann

Da sind die "üblichen Verdächtigen", deren Name allein das Publikum ins Kino lockt: Zu sehen sind neue Filme von Woody Allen, Mike Leigh, Olivier Assayas, Francois Ozon, Sofia Coppola und der Cannes-Siegerfilm von Apichatapong Weeresethakul, der auch den heurigen Viennale-Trailer gestaltet hat. Lou Reed hat seinen ersten Film gedreht und kommt auch nach Wien. William Lubtchansky, dem bedeutenden Kameramann, dem die wichtigsten französischen Regisseure vertrauten, ist ein tribute gewidmet. Nach sechs Jahren endlich wieder ein (Lang-)Film von Jean-Luc Godard, nach 22 Jahren wieder einer von Monte Hellman. Wie notwendig es ist, einer neuen Generation von KinogeherInnen das Werk des großen Eric Rohmer nahezubringen, der eben nicht ein "sympathischer Quasselkasper" (Falter) war! Und wer kennt Günter Peter Straschek, wie viele Kennen Larry Cohen? Dies alles und vieles ebenso noch zu Entdeckendes bietet die Viennale 2010 von 21. 10.2010-3.11.2010 in den Viennale-Kinos Gartenbau, Metro, Stadtkino, Urania und Künstlerhaus, sowie im österreichischen Filmmuseum. Kurt Hofmann sprach für Die Linke mit Viennale-Direktor Hans Hurch.

02.11.2010

Die Linke: Eine Eric Rohmer gewidmete Retrospektive muss wohl nicht eigens begründet werden. Doch wie ist es zu erklären, dass das Spätwerk Rohmers, die letzten drei Filme, von großen Teilen der Kritik niedergemacht und von Programmkino-VerleiherInnen wie Aussatz behandelt wurde? und was bleibt von Rohmer?

Hans Hurch: Ein Film wie "Les Amours d'Astrée et de Céladon" (F 2007) ist nicht das Werk eines alten Mannes, vielmehr ein radikales, jugendliches Werk von einer Welthaltigkeit und Schönheit, die ihresgleichen sucht. Was leider vielfach nicht mehr registriert wird: wie man im Originalton des Filmes etwa den Wind hört, oder, wie eine/r über den Kies geht - ein filmisches Kleinod, das nicht begriffen wird. Was die Verleiher betrifft: Es gibt viele Beispiele, und Rohmer ist eines davon, wo die Verleiher irgendwann zugunsten modischerer, trendigerer Filme ausgestiegen sind.
Umso notwendiger ist es, einer neuen Generation, die Rohmer nicht mehr kennt, diesen einzigartigen Regisseur vorzustellen, der abseits der Moden nie altern wird. Wer immer auf die Idee verfiele, durch Spielfilme eine Kulturelle Entwicklung zu dokumentieren, müsste auf Rohmer zurückgreifen. Die Wandlungen der französischen Gesellschaft, wie sich die Sprache verändert, wie sich die Beziehungen verändern, wie sich das Verhältnis der Generationen zueinander verändert: für all dies, und wo das wann war, fänden sich in Rohmers Werk exemplarische Beispiele, untrügliche Indikatoren…

Dem bedeutenden Kameramann William Lubtchansky, der mit Godard, Rivette, Straub/Huillet, Lanzmann… gearbeitet hat, ist heuer ein tribute gewidmet. Was ist das Spezifische seiner Kameraarbeit, weshalb war er ein unentbehrlicher Weggeflhrte der Unangepassten?

Bei Lubtchansky kam zu einem stupenden handwerklichen Können und Wissen auch die Bereitschaft, auf die Eigenart des/der jeweiligen RegisseurInnen einzugehen, ohne einen "Lubtchansky-Stil" etablieren zu wollen. Kein Egomane, sondern einer, der völlig uneitel erst die Arbeitsweise seines Regie-Partners erkundet, "dienend" arbeitet und dennoch seine Spuren hinterässt. Straub hat Lubtchansky als Komplizen bezeichnet, Rivettes Werk wäre ohne Lubtchanskys Kameraarbeit ein anderes. Ich habe selbst bei einem Dreh von Straub/Huillet erlebt, wie Lubtchansky, nur begleitet von seinem Assistenten, eine schwere 35 mm-Kamera den halben Ätna hinaufgetragen hat, wo man im Aschenboden bei seinen Schritten immer wieder zurücksinkt. Kaum glaublich, dass ein weltbekannter Regisseur derartige Mühen nicht scheut. Lubtchansky war eigentlich das missing link zwischen Regisseur und Kamera: es gibt den technischen Apparat der Kamera, es gibt den Regisseur und dazwischen gibt es einen Menschen, der ist keine Maschine. So war William Lubtchansky.

Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen hat den Ruhm seiner letzten Jahre einer Erwartungshaltung verdankt. Er werde, so hieß es über Jahre hinweg, demnächst einen Roman mit dem Titel "in Staub mit allen Feinden Brandenburgs" veröffentlichen. Das Nichtschreiben hat den Ruf Koeppens nahezu ins Unermeßliche gesteigert. Die Vorstellung des großen Werkes, dass da kommen möge, genährt durch die Erinnerung an bedeutende Romane dieses Autors, genügte, um ihn lebenslang außer Diskussion zu stellen. Nun hat ein Filmregisseur mit ähnlicher Fama, der sich seit 22 Jahren konsequent dem Filmbetrieb verweigert, doch wieder einen Film gedreht. War es ein Fehler Monte Hellmans, sich dadurch einer möglichen Schelte zu stellen und gewissermaßen den Absturz aus dem gesicherten Film-Olymp zu riskieren?

Ich wäre enttäuscht gewesen, hätte Hellman mit "Road to Nowhere" versucht, an legendäre Arbeiten wie "Two-Lane Blacktop" anzuknüpfen, um einen "typischen Hellman" vorzulegen. Stattdessen ist es eine Reflektion über die Arbeit eines unabhängigen Regisseurs. Wie er betrogen wird, wie er sich selbst betrügt. Allein der makellosen ersten zehn Minuten schon lohnt es sich, diesen neuen Film HelImans zu sehen. Ein Film im Film: Ein Haus mit einer Frau, ein Auto kommt, ein zweites Auto kommt, ein Schuss fällt, einer geht raus. Dann fährt die Kamera zurück, es stellt sich heraus, es ist Material aus einem Film, der noch dazu am Computer angeschaut wird. Ein ironischer Moment, aber auch einer der Neudefinition, ist doch "Road to Nowhere" auf HD gedreht. Kein "Monte Hellman-Film", sondern der neue Film von Monte Hellman, und das ist schon viel.

Larry Cohen, einer Ikone des Genre-Films abseits des etablierten US-Kinos, ist bei der Viennale 2010 ein tribute gewidmet. Er ist, wie Olaf Möller im Katalog schreibt, "In- und Outsider zugleich": Insider als gefragter Drehbuchautor, Outsider als independent filmmaker.

Einen wie Larry Cohen, der mit einem Fuß in der industry verankert ist und mit dem anderen einen Schritt ins Unsichere, Unbegangene wagt, indem er eine sehr eigene Filmsprache und -Produktionsweise entwickelt hat, hat die Viennale bisher vernachlässigt. Nehmen wir als Beispiel "God told me to": Mitten in die Story eines als Polizisten verkleideten "im göttlichen Auftrag" mordenden platzt die Realität in Form des von Cohen gefilmten jährlichen Umzugs der irischen Polizei. In Hollywood wären hunderte StatistInnen gecastet und als Polizisten verkleidet worden, diese dokumentarische Welthaltigkeit, eingeschrieben in eine irre Geschichte, wäre dort unvorstellbar. Ein großer Filmemacher, zwischen den Stühlen sitzend, kein Raster ausfüllend.

Günter Peter Straschek, dem aus Österreich stammenden Filmemacher, der in Berlin seinen Arbeitsmittelpunkt fand und zudem Polemiker, Rechercheur und, vor allem: Querdenker war, sind drei "Special evenings" gewidmet, in deren Mittelpunkt dessen Lebensprojekt, die "Filmemigration aus Nazi-Deutschland steht, ergänzt durch eine Lesung aus Texten von Straschek. Es ist die Erinnerung an einen Schwierigen, der überall aneckte…

…und auch immer wieder scheiterte, dieses Scheitern aber für seine Arbeit nützte. Was ihn antreibt, die Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins, seine Filme, die den Sprachlosen ein Forum bieten sollen und dabei nicht "besser", sondern "anders" sein wollen, der Versuch, das gültige Schema Produzent-Konsument aufzuheben, schließlich sein großes Projekt über die filmische Emigration, all dies betreibt er mit Akribie, nachgerade atemlos … Straschek ist einer, der sich einmischt und den Widerspruch sucht.

Sein Werk ist unbedingt entdeckenswert, ein Geheimtipp für alle, die offen sind für andere Wege der der filmischen Auseinandersetzung.

Im Wahlkampf zur wiener Wahl war Kulturpolitik einmal mehr kein Thema. "Highlight" war da schon der Sager Mareks vom "Pipifax-Ressort" Kultur… Nach der Wiener Wahl die Frage: Wie sollte das Anforderungsprofil für eine metropole Kulturarbeit aussehen?

Nicht anders als für andere Ressorts, denn Kultur ist eine Querschnittsmaterie, soll und darf sich daher überall einmischen. Eine entscheidende Frage ist immer die nach dem Warum, das Hinterfragen und das Vordenken. Warum soll es z.B. ein neues Wien Museum geben und wo soll es dann stehen? Warum werden Gelder nicht umverteilt, etwa weg vom Ronacher hin zu unabhängigen Projekten? Warum gibt es nicht ein Mehr an öffentlichem Diskurs?

Ein Letztes Wort?

Jean-Marie Straub hat gesagt, wie schade es ist, dass die Leute nicht mehr aus dem Fenster schauen…

Wir danken für das Gespräch.

Alle Infos zur Viennale 2010: www.viennale.at