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Kultur? Es gibt Wichtigeres...

Der Grüne Kultursprecher Wolfgang Zinggl im Interview

24.04.2007

Die Wortspenden österreichischer PolitikerInnen in Sachen Kultur sind rar und meist an der Verwertung von Kultur–Markennamen (Unser Mozart, Unsere Philharmoniker, Unser Grillparzer...) sowie an Jubiläen und allfällig vorzuzeigenden Geehrten orientiert. In der Pause von Unverständnis und Denunziation darf Sigmund Freud sein Ehrenjahr feiern und Elfriede Jelinek wird als Botschafterin der Kulturnation Österreich zwangsverpflichtet, der Nobelpreis für Literatur gilt da wie eine unerwartete Goldmedaille in einer weniger populären Sportart.
Wer KultursprecherIn wird, muss sich meist den Karriereknick eingestehen.  Selten genug will eine/r "freiwillig" gestalten, Konzepte entwerfen, vorausdenken, dem Konsensualen die Stirn bieten. Wolfgang Zinggl, der das Kulturprogramm der Grünen entworfen und deren kulturelle Plattform zur Wahl zu verantworten hat, ist so einer, kompetent und stets bereit, anzuecken.
Kultur ist im Wahlkampf, auch in jenem der Grünen, allenfalls am Rand präsent. Immerhin gibt es bei den Grünen den Solo-Kultur-Wahlkämpfer Wolfgang Zinggl und es gibt auch Grüne Kulturprogramme.

Das kulturpolitische Selbstverständnis von Sozialdemokraten wurde, abseits flotter Sprüche und wohlklingender Phrasen, zuletzt (vor Jahrzehnten) vom einstigen Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann in "Kultur für alle", einem Plädoyer für den Abbau kultureller Schranken, formuliert. Was aber wäre das spezifisch grüne Kulturverständnis oder eine spezifisch grüne kulturelle Forderung?

Was den Stellenwert der Kulturpolitik in der Bundespolitik, deren marginale Rolle, betrifft, so ist angesichts der hierzulande üblichen Reduzierung der Kulturpolitik auf den Verteilungskampf von Kunstgeldern wenig dagegen einzuwenden, denn es gibt, bedenkt man soziale Härten oder bildungspolitische Defizite, tatsächlich Wichtigeres.
Aber: Kulturpolitik ist nicht nur die Verteilung von Kunstgeldern, zudem hat auch dieser Vorgang einen symbolischen, zeichenhaften Charakter, soll heißen, so wie das Geld verteilt wird, outen sich ein Staat oder Gebietskörpersehaften in ihren ideologischen Positionen, da kann man einiges daraus ablesen. Darüber hinaus ist Kulturpolitik aber viel mehr, es geht um das Zusammenleben der Menschen, das tagtägliche Aufeinandertreffen von Kulturen, entscheidend ist, welchen Kulturbegriff man vertritt. Wir sehen Kultur als das Gemeinsame von Menschen, mit dem sie sich gegenüber anderen abgrenzen, das heißt nicht, nationalistischen "Leitkultur"-Parolen das Wort zu reden, sondern zu überlegen, wie und in welcher Form unterschiedliche Kulturen miteinander leben und kommunizieren können. Diese Art von Kulturpolitik geht weit über Verteilungskämpfe hinaus.

Jenseits der Debatten um Unireform und Studiengebühren stellt sich die Frage nach dem Wozu des Studierens. Sind alle geisteswissenschaftliche Fächer per se "Orchideenstudien"? Ist der rasche Studienabschluss, das Fitwerden für die Wirtschaft das eigentliche Ziel? Oder ist der "ewige Student" möglicherweise einer, der wissen will, "was die Welt im Innersten zusammenhält"?

Idealistischerweise lernen wir alle ein Leben lang. Den "ewigen Studenten" als Massenphänomen kann es aber nicht geben, weil Regulierungen vonnöten sind, um das System zu finanzieren. Im Bildungssektor gibt es augenblicklich den Trend, die Studierenden möglichst schnell für die Wirtschaft auszubilden, das entspricht jedoch nicht den Grünen Vorstellungen. Studieren ist für uns, insbesondre für mich, ein kulturelles Phänomen. Wem Studieren Berufsausbildung ist, der/die kann ja eine Fachhochschule besuchen. Studieren im eigentlichen Sinne, im universitären Rahmen, kann aber nur bedeuten, Erkenntnisse zu schaffen und zu gewinnen.

Kultur wird im politischen Alltag den Einsparungsfaktoren zugerechnet. Die Folge ist, dass von den  potentiellen Subventionsempfänger Einschränkung als naturgegeben begriffen wird. Nun fällt beim Lesen der kulturpolitischen Leitlinien der Grünen zur Wahl positiv auf, dass nicht defensiv argumentiert, sondern abseits billiger Wahlzucker das Recht auf mehr Geld in bestimmten Bereichen betont wird.

Es wäre naiv, zu glauben, man kann alles gleichmäßig erhöhen, allen mehr Geld geben und hätte dann schon gute Kulturpolitik gemacht. Da geht es um Verteilungskämpfe und um Entscheidungen, welche getroffen werden müssen, gleichgültig, ob nun LobbyistInnen verprellt werden, oder auch berechtigte Ansprüche nicht erfüllt werden,.
Das Wort Ursula Pasterks vom "Ideologieressort" hat immer noch seine Berechtigung. Man muss sich immer fragen, wer  das Geld erhält und warum.

Zur KünstlerInnengrundsicherung: Beim Grünen Modell gibt es offensichtlich zwei Knackpunkte. Erstens: Wie definiert man Künstlerin? Zweitens: Um wie viel Geld geht es?. Das Grüne Modell spricht von 9oo Euro brutto, das wären 738 Euro netto, das liegt über dem Existenzminimu, aber unter der Arumutsgefährdungsschwelle...

Schon die Forderung nach 900 Euro für die KünstlerInnen stößt auf heftigen Widerstand. Es kann aber nicht sein, dass jemand wie der "Arme Spielmann" bei Grillparzer im nassen, kalten Kämmerlein sitzt und Noten aufs Papier schreibt oder Geige spielt, derlei sollte in einem Kulturstaat undenkbar sein. Natürlich wäre uns eine höhere Summe lieber, aber dabei stellt sich die Frage der Durchsetzbarkeit. Außerdem ist ein derartiges Modell in kleinem, überschaubaren Rahmen, wenn es gelingt, auch ein Beispiel für die Machbarkeit einer allgemeinen Grundsicherung, die wir für notwendig halten. Zur Definitionsfrage: Der Nachweis künstlerischer Ausbildung kann nicht genügen, dieser Begründung gemäß müsste jede/r Medizinstudentln Mitglied der Ärztekammer werden. Auch die Vorlage von Werken ist für mich kein letztgültiges Argument. Hier ein Beispiel für viele ähnlich gelagerte Fälle, für die eine soziale Absicherung gedacht ist: Da ist die Schriftstellerin, die drei Jahre an ihrem Roman schreibt und kein fertiges Werk hat. Die möglicherweise dann das Geschriebene verwirft und nicht veröffentlichen will. Dennoch hat sie zweifellos künstlerisch gearbeitet. Es muss also so etwas geben wie den Nachweis künstlerischer Bemühung.

Die Grüne Forderung nach freiem Eintritt in die Museen klingt aufs Erste einleuchtend. Andrerseits zeigen viele Studien, dass durch eine derartige Maßnahme nicht unbedingt neue BesucherInnenschichten gewonnen werden können...

Das stimmt nicht. In den USA und in Großbritannien sind die BesucherInnenzahlen rapide gestiegen, nachdem der Eintritt kostenlos wurde, und unter diesen neuen BesucherInnen sind zweifellos auch viele, die vorher die Museen nicht besucht haben. Es gibt auch das Recht auf Bildung. Ich war als Kind mit meinen Eltern jeden Sonntag im Museum, als sonntags noch freier Eintritt war. Wer sich die Eintrittspreise aber kaum leisten kann, wird vielleicht lieber in den Prater gehen...

Durch den freien Eintritt, so könnte man argumentieren, werden auch die zahlreichen TouristInnen mitsubventioniert...

Dieses "entgangene" Geld geben die TouristInnen eben dann abends beim Heurigen aus, das bleibt schon "im Lande". Wir haben uns genau ausgerechnet, was diese Öffnung der Museen für alle kosten würde, es sind exakt 10 Millionen Euro. Wenn man bedenkt, wie viel Geld für die Tourismusförderung vorhanden ist, dann könnte man diese 10 Millionen auch ohne weiteres aus dem Wirtschaftsbudget finanzieren... Zudem wäre, was die TouristInnen betrifft, auch das US-amerikanische Modell vorstellbar, wo es Karten mit freiem Eintritt gibt und Karten für eine freiwillige Spende (deren Höhe vom Museum vorgeschlagen wird). Durch geschickte PR-Tricks traut sich dort kaum ein/e Touristln, als "Gratisblitzer" zu gelten. Das entscheidende Argument für den freien Eintritt aber ist der notwendige Abbau von Barrieren. Dass schon die Schulen eine pädagogische Vorbereitung für den Museumsbesuch leisten können und sollen, steht außer Frage.

Die Wirtschaftlichkeit der Kultur, Stichwort Creative Industries, steht derzeit hoch im Kurs...

...und wird dabei auf unterschiedlichste Weise verstanden. Während die einen Kultur als Teil der Wirtschaft ansehen, verstehen viele Kreative darunter, dass sie von dem, was sie erwirtschaften, den entsprechenden Teil erhalten sollen... Ich kann das Wort Kreativwirtschaft nicht mehr hören. Die Frage ist: Welche Aufgaben hat ein Staat? Dazu gehört Wirtschaftsförderung - in den dafür vorgesehenen Bereichen. So wie z.B. die Salzburger Festspiele gefördert werden, kommt das Geld in erster Linie jenen zugute, die es schon haben - wir sind also wieder bei der Ideologie... Zur Ankurbelung der Kreativwirtschaft im anderen Sinne trägt das nichts bei. Hier wäre zu fragen: Wie kann man diesen Leuten helfen, die versuchen, als "Einpersonenunternehmen" auf eigenen Beinen zu stehen? Dazu gibt es noch keinerei Lösungsmodelle. Der Ansatz des Kreativwirtschaftlichen ist also - in beide Richtungen gedacht - nicht zielführend.

Kann mittels der Lösung der Copyright-Frage ein Weg gefunden werden, den KünstlerInnen ein selbständiges Einkommen zu schaffen?

Wir versuchen im Rahmen der Grün-internen Diskussionen für diese komplexe und widersprüchliche Frage eine Lösung zu finden, es ist uns aber noch nicht gelungen. Denn einerseits sollten die Kreativen entsprechend entlohnt werden, andrerseits verhindert man Kreativität durch weitere Regulierungen und "Schutzmaßnahmen". Das Spezifikum des grünen Kulturdiskurses, auch in dieser schwierigen Frage, ist, dass man in Ruhe abwägt und gefährliche, wenn auch möglicherweise populäre "Schnellschüsse" vermeidet.

Wir danken für das Gespräch.

Mit Wolfgang Zinggl, dem Kultursprecher der Grünen, sprachen Kurt Hofmann und Monika Mokre für dieLinke.at