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Internationales Film Festival Innsbruck (IFFI)

Kurt Hofmann

Das Internationale Film Festival Innsbruck - IFFI hat sich, wie auch ein Blick auf einen Wettbewerb ohne Peinlichkeiten zeigt, in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und findet auch zunehmend überregionale Beachtung.

22.07.2007

Kingo Gondo ist Manager einer großen Schuhfabrik und gewohnt, lange im voraus zu planen. Als ihn andere Entscheidungsträger des Unternehmens drängen, gemeinsam mit ihnen den greisen Chef zu stürzen, lehnt er die Allianz ab, denn er hat schon längst anders disponiert.
Still und leise hat er im Lauf der Jahre sein Vermögen in Aktienkäufe gesteckt, mit dem Ziel, Mehrheitseigner der Firma zu werden. Eine letzte, entscheidende finanzielle Transaktion soll ihn über Nacht zum unumschränkten Herrscher des Schuhimperiums machen. Doch ein Anruf ändert alle seine Pläne: Sein Sohn sei entführt, nur gegen ein Lösegeld in astronomischer Höhe bekäme er ihn lebend wieder …
Des Schicksals Launen scheinen es einmal mehr gut mit Kingo Gondo zu meinen: Es stellt sich heraus, dass nicht sein Sohn, sondern dessen Spielkamerad, der Sohn des Chauffeurs, irrtümlich gekidnappt wurde. Das ändere nichts, versetzt der Geiselnehmer, welcher seine Forderungen immer noch an Herrn Kingo Gondo richtet, wissend, welchem moralischen Druck jener ausgesetzt ist. Unübersehbare Schulden oder schwere Schuld auf sich nehmen, das ist nun Kingo Gondos Dilemma …
„Tengoku To Jugoku“ (Zwischen Himmel und Hölle; Japan 1963) von Akira Kurosawa zählt zur seltenen Kategorie der Filme, die kaum altern. Ein gesellschaftskritischer Thriller um Macht, Intrigen und Klassenverhältnisse, dem es weniger um die Aufdeckung der Tat, denn um deren Motivation zu tun ist. Zwischen Himmel und Hölle: Derlei moralinsaures Pathos war Kurosawa, dem das diesjährige IFFI einen Schwerpunkt widmete, fremd. Wohl aber spricht der Titel des Films die Gefühlsskala an, der (nicht nur) der mächtige, vom großen Toshiro Mifune verkörperte Herr Gondo plötzlich ausgesetzt ist. Abseits des Nützlichen und Sinnvollen entstehen Situationen, für die es keine Handlungsanleitung gibt: „Denn es gibt Preise, die man nicht zahlt, auch taktisch nicht“ (Ernst Bloch/Das Prinzip Hoffnung).

In Saaba sterben die Kinder: Das wird, so denken die Dörflerinnen, mit Hexerei zu tun haben. Durch den Soingho-Ritus, bei dem ein Fetisch durch den Ort getragen wird, hoffen sie, den/die Schuldige/n zu finden. Vor dem Haus von Napoko fällt die Trage-das Zeichen. Napoko muss die unheilbringende Hexe sein. Die Ältesten verbannen sie aus Saaba. Seltsam nur, dass sich unter den Trägern des Siongho der Mann von Napoko befindet, den sie Stunden zuvor, im Schutz des Hauses, der Vergewaltigung ihrer Tochter Pugblia, die der Vater überstürzt verheiraten will, beschuldigt hat …
Magie als Vorwand: Wenn für erklärbare Vorgänge irrationale Ursachen gesucht (und gefunden) werden, ist etwas faul, so zeigt es „Delwende“ (Burkina Faso 2005; Regie: Pierre Yameógo) und greift damit den Aberglauben als Basis verknöcherter Strukturen an. Althergebracht heißt hier meist auch unüberprüft. Nicht zufällig sind die Leidtragenden „überirdischer Ratschüsse“ meist die Frauen. Doch auch die afrikanischen Frauen sind nicht mehr bereit, alles widerspruchslos hinzunehmen - das Ende des Männlichkeitswahns naht. Wenn Pugblia nach ihrer verfemten Mutter in der Metropole sucht, erfährt sie, dass es hier Häuser für die Ausgestoßenen gibt. In einer semidokumentarischen Passage von „Delwende“ zeigt Yameógo, wie auch hier das Problem im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand (der Stadt) gedrängt, aber immerhin wahrgenommen wird. Die Veränderungen sind allerdings unaufhaltsam und haben ein weibliches Antlitz.

Blindes Vertrauen. Sich blind stellen…Blind, doch sehend. Derlei Metaphern, oft allzu leichtfertig, ja geradezu inflationär eingesetzt, helfen beim Verständnis des kasachischen Filmes „Zapiski Putevogo Obkhodchika" (Notes by a trackman“, Kasachstan 2006; Regie: Zhanabek Zhetiruov.
Da ist ein braver Bahnbeamter, der es, entstammend einer kasachischen EisenbahnerInnendynastie, durch Fleiss und Können zum lokalen Bahnchef einer Region gebracht hat. Sein greiser Vater, vor Jahren erblindet, geht für ihn die Gleise ab, weiss aus dem Gedächtnis, wo Schäden entstanden sind, die behoben werden müssen, dessen Gehör trügt ihn ebenso wenig wie die Erinnerung. Eine Bahnlegende, befinden die einen, ein Fossil die anderen. Die neue Zeit verlangt nach neuen Methoden, doch der Alte besiegt im direkten Vergleich den Computer…
Auch in Kasachstan ist das, was man gemeinhin Modernisierung nennt, wohl unausweichlich. Nützt es da, sich blind zu stellen? Man kann es, so zeigt „Notes of a trackman“, zumindest versuchen, insbesondere, wenn blindes Vertrauen im Spiel ist. Der Alte findet dank seinem phänomenalen Gehör selbst die weit entfernte Schule des Enkels, als der Vater im Gefängnis der Großstadt sitzt. Jener hat, kaum angekommen, am Bahnsteig einen Streit entfacht und festgestellt, dass seine Autorität als lokaler Bahnzampano hier nichts gilt, denn man behandelt ihn wie jeden renitenten Provinzler … Seine Frau, eifersüchtig aus Prinzip, vermutet hinter dem „Verschwinden“ ihres Mannes eine Konkurrentin und ist, als er schließlich zurückkehrt, eben im Begriff, ihn zu verlassen …
Einfache Charaktere, überschaubare Konflikte: Dennoch ist Zhetiruovs Film weitab von „Borat“ und von einer bewundernwerten Klarheit. Das Kind als Vertreter der dritten, künftigen Generation des Landes vergöttert den Großvater, doch der von diesem geschlagene Computer wird das tägliche Hilfsmittel des Enkels sein. Jener aber hat von seinem Opa gelernt, dass geschlossene Augen nicht gleichbedeutend mit Schlaf sind. Es wird diese Erkenntnis benötigen, wenn man ihn das erste Mal mit dem Wort „Sachzwang“ konfrontiert …Once I was blind, but now I see.

2030. Das Außen: Ein Bild der Verwüstung. Im Inneren: Wirrnis in den Köpfen. EretterInnen, die vom Licht am Ende des Tunnels künden, wenn der wahren Lehre gefolgt wird, haben Hochsaison …
Sebasitan, der Novize, will Märtyrer werden. Erlösung durch Schmerzen: Doch erst muss sich Sebastian in der Bruderschaft durch Selbstkasteiung beweisen und den Versuchungen widerstehen. Freilich, selbst ein zukünftiger Heiliger (oder: gerade der?) wird von fleischlichen Gelüsten  bedrängt… Flugs ist da die Geißel zur Hand, die bestraft, was nicht sein darf, doch so manchem Frommen  auch Lust bereitet …
Sebastian aber will den Kampf mit dem Bösen bestehen, auch wenn ihm der Teufel, ein feister Gesell mit einem lächerlichen Umhang, immer wieder erscheint, gewissermaßen als persönliches Service der Unterwelt für einen, der ausgezogen ist, die Welt zu reinigen …
Der Ort ist Brasilien und der Wahn ist nicht erfunden: Dort, wo hunderte Sekten vom Ende der Welt künden, hat der argentinische  Regisseur Josè Araújo seinen Film „As Tentacoes Do Irmao Sebastiao" (The Temptations of Brother Sebastian; Brasilien 2005) gedreht. Quälend langsam durchlaufen die ZuschauerInnen in 150 Minuten hier eine MärtyrerInnenkarriere, doch siehe, die Verheißung ist nahe, denn „The Temptations of Brother Sebastian“ ist ein Sonderfall des zeitgenössischen Kinos, der sich kein Jota um herkömmliche Vorstellungen oder Erwartungshaltungen schert. Abgeschottet von der Welt hört Sebastian in der Erdfestung der Mönche doch die Maschinengewehrsalven, die vom Großen Krieg, der da oben tobt, erzählen und spürt die Begierde, die er den anderen austreiben will. Ob es stimmt, wenn Araujo berichtet, dass alle DarstellerInnen während der Dreharbeiten in Trance waren, ist angesichts der tiefgreifenden Verschmelzung der Spielfilmelemente mit Dokumentarischem bei „The Temptations of Brother Sebastian“ gleichgültig. Anders als einst bei Werner Herzog, der seine Crew bei „Herz aus Glas“ aus Sensationshascherei hypnotisieren ließ und dadurch seinen Film um ein paar Silberlinge verscherbelte, ist Araujos Film eine Reise ins Innere des Wahns. Erschreckend, wenn da die AnhängerInnen einer zeitgenössischen GeißlerInnenbewegung durch enge Straßen marschierend, sich mit Ruten züchtigend, die Abkehr vom Weltlichen fordern und nach Erlösung schreien. Bezeichnend, dass der Bruder Sebasian, den seine Familie als Halbwüchsichen der Obhut der obskuren Bruderschaft übergeben hat, schon als Kind vergewaltigt wurde, traumatisiert war von klein auf. Wenn in der unterirdischen Behausung die Versuchung über die frommen Brüder hereinbricht und Ströme von Blut, Sperma und Scheiße fließen, werden überraschende Assoziationen zum Wiener Aktionismus geweckt, der seinerzeit die verdrängte Sexualität eines jahrelang durch Abschottung und Bigotterie geprägten Landes thematisierte …
Da steht er nun, der Volksteufel, in leuchtend rotem Umhang und mit Hörnern, ganz so, als käme er unmittelbar von einer Vorstellung des Kasperltheaters, aber dieser offensichtlich durch die Kochkunst von Teufels Großmutter allzu verwöhnte feiste Höllenfürst ist so wie der populäre Säulenheilige Sebastian direkt der Vorstellungswelt des Volksglaubens in südamerikanischen Ländern entstiegen. „The Temptations of Brother Sebastian“ entwickelt ein gewaltiges Gemälde der Irrwege des Geistes, geprägt durch eine Kultur der Angst, entwickelt in Jahrhunderten, ersehnend eine apokalyptische Zukunft.
Am Ende von Araujos Film besteigen sowohl der nun der Priesterschaft wert befundene zukünftige Märtyrer Sebastian als auch sein satanischer Kontrahent, beide in Lederkluft, schwere Maschinen. Sie befahren in einem Wettrennen, soviel ist klar, den Highway to Hell…

In der Emigration: Kongo Congo nennt sich der Schriftsteller, lebend in Brüssel, der Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht. Über jene, die wie er gezwungen waren, ihr von Belgien in die Unabhängigkeit entlassenes Land zu verlassen, will er ein Buch schreiben.
Er bietet es Joseph D., einem Verleger, der wie er aus dem Kongo stammt, an. Der erwartet sich Pittoreskes, Anekdotisches zu EmigantInnenszene über glücklich unter der Obhut der ehemaligen Kolonialisten Lebende.
An Konog Congos Tür läutet es: es sind die Schuldeneintreiber, die eine letzte Frist zur Rückzahlung einräumen, sonst … Auch der belgische Staat schickt dem Schriftsteller schöne Grüße in Form einer Stromabschaltung … Joseph D. liest das Manuskript seines Schützlings und wundert sich über dessen Undankbarkeit. Da werden nicht nur die Zustände im Kongo scharf kritisiert, sondern auch Anpassung und Katzbuckelei wie Entpolitisierung der EmigrantInnenszene mit beißender Ironie bloßgestellt. Nachts wandert Joseph D. zum Denkmal des Königs Leopold, um sich bei diesem zu beschweren …
„Juju Factory“ (Demokratische Republik Kongo 2006/Regie: Balafu Bakupy-Kayinda) entwickelt so spöttisch wie souverän ein Panorama afrikanischer Zustände und emigrantischer Schicksale. Da wird über die Einsamkeit des Intelektuellen ebenso reflektiert wie über die leidige, doch unvermeidliche Frage der Geschlechterverhältnisse und Selbstachtung wie Menschenwürde als höchste Güter der EmigrantInnen betont. Ebenso köstlich wie entlarvend, wenn der in eine Polizeikontrolle geratene Joseph D. auf der Woche stolz seine belgische Staatsbürgerschaft und seine wichtige kulturelle Rolle als Verleger betont, aber vom xenophoben Polizeitbeamten in seine Rolle als afrikanischer Bittsteller zurückverwiesen wird. Da hilft selbst 100 %ige Anpassung und die Verleugnung der eigenen Wurzeln nichts, es ist vielmehr, wie  „Juju Factory“, ein durchaus verdienter Sieger des diesjährigen IFFI, betont, der falsche Weg im postkolonialen Zeitalter.

Dass das IFFI trotz teilweise (Kino-) bedrohlich hoher Temperaturen erneut auf einen beachtlichen Publikumszuspruch, ja sogar –zuwachs verweisen kann, deutet auf ein Grundvertrauen der Innsbrucker BesucherInnen in die Programmierung der Festivalleitung hin … Das IFFI hat sich, wie auch ein Blick auf einen Wettbewerb ohne Peinlichkeiten zeigt, in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und findet auch zunehmend überregionale Beachtung. Trotzdem bleiben nach der 16. Ausgabe einige Fragen offen. Etwa jene, wie viele der stolz als Schwerpunkt präsentierten Kurosawa-Filme in restaurierten Kopien den Weg ins „reguläre“ Kino finden werden (sie stehen dem Cinematograph-Filmverleih immerhin zur Verfügung), was für eine stärkere Präsenz der internationalen (Festival-) Presse getan werden könnte und vor allem, ob die stagnierenden Zuschüsse der öffentlichen Hand erst dann erhöht werden, wenn auch Innsbruck endlich europäische Kulturhauptstadt wird … Man muss es deutlich sagen: Wenn das IFFI das im österreichischen Vergleich deutlich am niedrigsten subventionierte heimische Filmfestival ist (das sich z.B. nicht einmal einen Katalog leisten kann), so ist das eine Schande für die Subventionsgeber von Bund, Land und Stadt. So gesehen war es ein kleines Wunder (und eine große Leistung des kleinsten Festivalteams der Welt), dass die 16. Ausgabe trotz aller Pfennigfuchserei überhaupt stattfinden konnte.