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Ernsthafte Spiele, Spielerischer Ernst

Kurt Hofmann

Interview mit Viennale-Direktor Hans Hurch

26.10.2012

Österreichs größtes und wichtigstes Filmfestival, die Viennale, in ihrer heutigen Form entscheidend durch Hans Hurch (seit 1997) und dessen Vorgänger Alexander Horwath geprägt, findet zum fünfzigsten Mal statt. Einst noch eine (unstrukturierte) Informationsschau für „Filme, die uns nie erreichten“ hat  die Viennale seit den Neunzigern ihre Form gefunden: immer noch ein „Festival der  Festivals“, wird hier keinen Trends gehuldigt, sondern einem Kino abseits von ProduzentInneninteressen, innovativ,mit Ecken und Kanten, wandel-, und doch unverwechselbar.

In der Jubiläumssaison 2012 (25.10. – 7.11.2012) gibt es nach dem Eröffnungsfilm „Argo“, einem Politdrama in der Regie des Schauspielers Ben  Affleck, neben Filmen  von  „üblichen Verdächtigen“ wie Olivier Assayas, William Friedkin, Todd Solondz, Terrence Davies, Thomas Vinterberg, Alain Resnais,Romuald Karmakar, Werner Herzog… wie auch immer viel Entdeckenswertes. Wie etwa die Filme der im neuen Schwerpunkt „In Focus“ vorgestellten Regisseure Manuel Mozos  und Alberto Grifi, oder auch, als perfekter Kontrast, „They Want To See Something Different – Eine kleine Geschichte des Unheimlichen“, kuratiert von Jörg Buttgereit. Sowie, eine kleine Sensation, einen  neuen Film von Peter Kubelka. „Antiphon“, eine Art Umkehrversion des 1960 entstandenen „Arnulf Rainer“ – „Alle Schwarzen Kader  in ARNULF RAINER sollten weiß werden, alle weißen schwarz. Jeder Ton sollte schweigen, das Schweigen sollte klingen“ (Peter  Kubelka im Gespräch mit Stefan Grissemann, Viennale-Katalog). Dass die Retrospektive im Filmmuseum niemand Geringerem als Fritz  Lang gewidmet ist, verstärkt die Vorfreude auf einen starken Viennale-Jahrgang.

 Alle Infos zu  Programm, Terminen und  Kartenverkauf unter www.viennale.at

Für Die Linke sprach Kurt Hofmann mit Viennale-Direktor Hans Hurch

Die Linke: Nach den „naiven“ Anfängen als Filmschau, welche „unterversorgten“ Wiener Cinephilen eine Begegnung mit jenen unbekannten Kinoästhetiken ermöglichte, ist die Viennale seit der Direktion Horwath, erst recht in den bislang 15 Jahren der Ära Hurch, zu einem auch international vielbeachteten Festival geworden, dessen gewachsene Struktur und raffinierte Dramaturgie der Viennale eine Sonderstellung inmitten von austauschbaren (Festival-) Modellen verschafft  hat.

Alles scheint in bester Ordnung, auch was  die Übereinstimmung mit dem Publikum betrifft. Auch unbekannte, scheinbar „schwierige“ Filme erhalten so eine „White Card“, weil man der Auswahl des Direktors vertraut.

Mit der Reihe „Propositions“ sollten Erwartungshaltungen unterlaufen werden. Heuer ist sie eingestellt – offenbar, weil nichts mehr Reaktionen abseits des blinden Vertrauens hervorrufen kann…

Hans Hurch: Um das Programm in Bewegung zu halten, muss es stetig  überarbeitet werden. „Propositions“ waren ursprünglich eine gute  Idee, doch habe  ich die Auswahl dieses Schwerpunkts immer wieder selbst ein wenig willkürlich empfunden, weil ebenso andere Filme diesem Motto entsprochen hätten.  Erfolg ist nur ein bedingtes Argument, auch wenn sich die Viennale weitab des Populistischen bewegt. In der diesjährigen Auswahl habe ich auf viele „große“ Festivalnamen  verzichtet.  Aber  es widerstrebt mir, einem ungewöhnlichen, herausragenden Film dieser Saison wie „Tabu“ von Miguel Gomes ein Schild wie „Propositions“ umzuhängen, etwa im Sinne von „Liebe Leute, aufgepasst!“… Ich möchte auch nicht erklären müssen, wie John Ford in „Donovan’s Reef“ die Männlichkeitsklischees demontiert und wie witzig das ist.  Dieses Didaktische gefällt mir nicht. Das  Programm könnte einer  angebotenen Wette entsprechen. Die Viennale ist ein ernsthaftes Spiel oder ein spielerischer Ernst, wie immer man das nennen will.

Die Linke: Die heurige Retro ist Fritz Lang gewidmet, einem Solitär des Kinos, dessen Geltung ebenso unbestritten ist, wie die gleich bleibende Aktualität  seiner Filme. Ist auch das Lang’sche Werk einzigartig  und „unwiederholbar“, so könnte es für zeitgenössische FilmemacherInnen doch einen Anknüpfungspunkt bei einer Charaktereigenschaft Langs geben: seiner  Unerbittlichkeit, die keinen faulen Kompromisse zuließ.

Hans Hurch: Jean-Marie Straub hat einmal gesagt, Lang wäre der Einzige, der seinen Filmen einen „Rahmen aus Stahl“ gemacht hat. Man spürt, dass bei Lang nichts anders sein kann, als es ist. Wie aus Stahl kadriert zu haben, das ist auch das Unerbittliche  und zugleich eine große moralische Haltung. Fritz Lang ist kein vordergründig „politische“ Filmemacher, das „Politische“  entwickelt sich vielmehr aus den Figuren, aus  der Geschichte.  Er sieht  sich die Menschen genau an, versteht, warum  sie in  ihrer Welt so handeln, warum sie das sind, warum sie sich dagegen wehren…  Merkwürdig, dass Lang ein  völlig unmoralischer Regisseur mit der zugleich größten vorstellbaren Moral ist.

Etwa am Beispiel „Woman in the Window“: Wie da ein alter Mann einer jungen Frau verfällt, das entzieht sich allen hämischen  Kommentaren. Es ist vielmehr, wie es  ist,  so folgerichtig wie unvermeidlich, in allen  Konsequenzen… Bei Lang hat man immer das Gefühl, als wäre er noch da…

Die Linke: Im neuen Schwerpunkt „In Focus“ werden zwei Regisseure vorgestellt, die größere Bedeutung verdienen: Alberto grifi und Manuel Mozos. Welchen Stellenwert haben sie innerhalb des „Weltkinos“?

Hans Hurch: Alle Festivals stehen unter dem Druck, etwas  „Neues“ zu entdecken. Andererseits ist es aber  so, dass es RegisseurInnen gibt, die viel zu wenig bekannt sind, obwohl ihr filmisches Werk etwas sehr Spezifisches, Beachtenswertes darstellt.  Doch ihre Arbeiten passen offensichtlich in keine unmittelbaren Zusammenhänge, Moden, Aktualitäten. Ich habe für RegisseurInnen wie Grifi oder Mozos die neue (Viennale-) Kategorie „In Focus“ gefunden, weil es  wichtig  wäre, abseits  des  Originalitätszwangs auf solche zu Unrecht übersehene FilmemacherInnen wieder  zu fokussieren, Ihnen einen Platz zu verschaffen, von dem aus man sie wieder wahrnehmen kann.  Im Fall Alberto Grifi (1938-2007) ist es so, dass sein wichtigster Film „Anna“,  eine vierstündige Dokumentation über ein drogenabhängiges Mädchen, wieder aufgetaucht ist, und auf einigen Festivals gezeigt wurde. Alberto Grifi ist einer, dessen Werk aus einem „Geist“ seiner Zeit heraus entstanden ist, aus einem politischen, ästhetischen, persönlichen Spirit – geprägt durch die italienischen „68“ und Nach-„68er“,  im  Zusammenhang Autonomen. Jemand, der ein radikaler Filmemacher war, aber den Film nicht nur als Ausgangsmaterial des Agitatorischen verstand, sondern auch an den Film selbst die Ansprüche des Radikalen gestellt hat. Wie das Politische und das Experimentelle da zusammenkommen, das war das Neue und Erstaunliche bei Grifi. Er experimentiert mit Video, ist stets unorthodox, ein  Avantgardist und Aktivist.

Der Portugiesische Regisseur Miguel Mozos ist, anders als de Oliveira oder Gomes, nicht nur bei einem breiten Publikum, sondern auch – zu Unrecht – innerhalb der Fachwelt weitgehend unbekannt. Allenfalls ist noch „Ruinas“(2009), ein Film über die Frage, welche Erzählungen an einzelne – schließlich aufgegebene – Orte gebunden sind, präsent. Sein zentrales Thema ist das Scheitern, des Landes, des Kinos, seiner Generation.

Die Linke: Abseits  des medial bereits vielfach abgehandelten Geplänkels Seidl vs. Viennale stellt sich aus diesem  Anlass wieder einmal die Frage nach dem Stellenwert des Films (im direkten Vergleich mit jenem  des Theaters, der  Oper, der Literatur) in Österreich, der nur bei Festivalerfolgen oder  „Skandalen“ registriert wird und sonst - insbesondere von den für die Kultur politisch  Verantwortlichen weitgehend vernachlässigt wird…

Hans Hurch: Zum einen: Im Gegensatz zu Ministerin Schmied bin  ich als Leiter eines internationalen Festivals nicht zuständig für den österreichischen Film. Innerhalb der Viennale spielt der österreichische Film aber eine bestimmte Rolle. Das heißt konkret, ihn im Kontext des internationalen Films zu positionieren und zugleich einen besonderen Stellenwert zu geben. Trotzdem muß ich mich – wie zu allen für das Festival in Frage  kommenden Filmen auch zu den österreichischen Filmen wertend verhalten. Es sind aber jedes Jahr viele österreichische Spiel-, Dokumentar-, Avantgardefilme etc. zu sehen, „große“ wie  „kleine“, allesamt bemerkenswert und integraler Bestandteil der Viennale. Zum anderen: Es muß  weiterhin die Bedeutung von Film – nicht nur des österreichischen Films  - im politischen wie im öffentlichen Bewusstsein gestärkt werden. Wesentlich wäre, die Bedeutung des Kinos als eine wesentliche Form – nicht nur Kunstform, sondern als eine mediale, ideologische, Bilder produzierende Form der Gegenwart, zu erkennen und sich dementsprechend zu positionieren. Hier jedoch herrscht nach wie vor ein völliges Missverhältnis.

Die Forderung an die politisch Verantwortlichen nach einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem österreichischen Film und einer massiven Erhöhung der  Fördermittel bleibt selbstverständlich eine Notwendigkeit, nicht zuletzt aufgrund der ebenso großen wie berechtigten Erfolge von FilmemacherInnen wie Ulrich Seidl.

Die Linke: Abschließend wie immer die Frage  nach dem „Geheimtipps“ des Festivalleiters…

Hans Hurch: Auf „Tabu“ von Miguel Gomes, obwohl kaum mehr ein „Geheim-„-tipp, darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen  werden, ein ebenso originärer wie origineller Film,  facettenreich und herausragend aus dem Festivalalltag. Ein sehr schöner Film ist „Museum Hours“ von Jem Cohen, in Wien gedreht, eine Entdeckungsreise  in eine Stadt, die wir zu kennen vermeinen, mit dem kundigen Blick des Fremden. Oder: „Only the Young“, zeigend, wie heranwachsende Jugendliche, denen fad ist, mit Skateboards durch eine Kleinstadt in den USA fahren.  Scheinbar ein Klischee, aber plötzlich hat man das Gefühl, etwas Anderes, Neues zu entdecken.  Was es heißt, wenn eine Jugend zu Ende gehrt, wenn man keine besonderen Aussichten hat, aus dem verhassten Ort nicht  wegkommt. Eigentlich ist es  das Material, aus dem  Kino gemacht  ist…

Die Linke: Wir danken für das Gespräch.