Eine Krankheit namens Familie: Zu „The End of the Neubacher Project“
Kurt Hofmann
Familien-Bande: Das “Neubacher-Project” entsteht, weil sich der Regisseur Marcus J. Carney mit der (unaufgearbeiteten) geschichtlichen Verstrickung des mütterlichen Zweiges seiner Familie auseinandersetzen will: Der Großonkel war Bürgermeister des hitlerfaschistischen Wien, der Großvater wurde als treuer Parteisoldat von den Nazis zum Direktor des Lainzer Tiergartens ernannt, die Großmutter, eine eifrige Ariseurin (sie ließ sich vor ihrem Tod noch von Enkel Marcus aufnehmen und war partiell auskunftswillig), der Onkel und andere Familienmitglieder hartnäckige Geschichtsverdränger und –relativierer...
19.01.2008
Nunmehr, Jahrzehnte danach, sei es endlich an der Zeit, darüber zu reden, findet der Vertreter der Enkelgeneration. Freilich fällt es auch seiner Mutter, die begeistert Hilfsprojekte für den Süden organisiert und schon dadurch ihre Abkehr von der „Familientradition“ signalisiert, nicht leicht, über das tabuisierte Thema zu sprechen. Nur das Insistieren des Sohnes bringt sie dazu, diesem zu erzählen, wie ihr Vater nach dem Ende von kurzen tausend Jahren, uneinsichtig und haßerfüllt der Tochter die Heirat mit Juden oder US-Amerikanern (schon gar: US-amerikanischen Juden!) explizit verbietet, sonst würde er sie eigenhändig umbringen…
Die Kamera des Marcus J. Carney läuft immer mit, die Familienmitglieder gewöhnen sich daran. Das „Neubacher-Project“ schließt alle Abläufe des täglichen Lebens der Familie mit ein und erstreckt sich über Jahre. Da erkrankt die Mutter plötzlich an Krebs, die lebensfrohe Frau wird zunehmend zum hoffnungslosen Fall. Aus dem „Neubacher-Projekt“ wird „The End of the Neubacher-Project“ (Österreich/Niederlande 2006), nicht alleine wegen des nahenden Todes der Mutter. Das Ende des ursprünglichen Projektes steht für Carney auch deshalb an, weil er nun erkennt, dass das Schweigen, auch das Verschweigen, zum Lebensprinzip der geliebten Mutter geworden ist. Weshalb ist sie, die schließlich doch einen US-Amerikaner geheiratet hat und sich dann plötzlich von ihm getrennt hat, nicht imstande, mit Marcus darüber zu reden und möchte die Jahre mit dem Vater am liebsten aus ihrer (und tunlichtst auch aus Marcus’) Erinnerung löschen? Ein familiäres Zusammenleben habe es nie gegeben, behauptet sie, die Erinnerung des Sohnes an die Kindheit ist eine andere, unterstützt durch wieder gefundene alte Ferienfilme. Die Lüge: der rote Faden der Neubauer-Dynastie? Selbst am Totenbett der Mutter bleibt die Kamera des Sohnes erbarmungslos eingeschaltet…
Wie die Nichtbewältigung der (familien-) geschichtlichen Traumata auch das private, abermals tabuisierte Unglück der Mutter impliziert und die eingeforderte Trauerarbeit nicht stattfindet, das wird unversehens zu einem exemplarischen Fall der Erinnerungsverweigerung. Die Vermischung des Analytischen, Investigativen mit dem Privaten, ja Privatesten scheint angesichts dieser Überlegungen beim „Neubacher Project“ unvermeidbar und bleibt dennoch problematisch. Er habe, erzählt Marcus K. Carney in der Diskussion nach der ersten Vorführung seines Filmes bei „Crossing Europe“ sowohl den Sterbemoment der Mutter als auch jenen der greisen Großmutter aufgenommen und in letzterem Fall überlegt, diesen in den Film einzubauen…
„The End of the Neubacher Project“ ist eines der spannendsten Projekte aus der neuen österreichischen Dokumentar- und Essayfilmszene und sollte zweifellos für heftige Debatten sorgen, kalt lassen wird Carney’s Film wohl keine/n seiner ZuseherInnen.