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Ein Schritt nach vor, zwei Schritte zurück - Zum 18. Internationalen Film Festival in Innsbruck

Kurt Hofmann

Souverän und selbstbewusst der Beginn: Erstmals verzichtete Festivaldirektor Helmut Groschup auf die übliche Eröffnungsrede. Unnötig schien ihm das wohl zu Recht angesichts der unbestreitbaren Erfolge des IFFI über die Jahre hinweg – in nur zwei Jahren ist das zweite Jahrzehnt „vollendet“. Im Zeichen des Südens: Die VeranstalterInnen des (mit Abstand) am niedrigsten subventionierten Internationalen Filmfestival Österreichs rund um Gründer und Leiter Helmut Groschup wussten schon um die Bedeutung der Globalisierung, als man anderswo in diesem schönen Land noch nicht einmal das Wort buchstabieren konnte.

18.07.2009

Siebzehn Jahre lang ist hier im dunklen Kinosaal so manchem ein Licht aufgesteckt worden, das Ferne schien nahe, das Fremde vertraut. Unvergesslich der Zuschauer, der einem afrikanischen Regisseur, welcher in der Publikumsdiskussion nach seinem Film erzählte, sein Land sei nun zumindest formal eine Demokratie, doch die alten Eliten würden nach wie vor über alles entscheiden, antwortete: „Wie bei uns in Tirol!“…
Im 18. Jahr des IFFI waren nicht weniger als 70 Filme aus 34 Ländern zu sehen und dabei 15 Sprachen zu hören.

Kommet, ihr Kranken und Beladenen: Berichtet Aidai von euren Krankheiten und Problemen, sie wird euch helfen, wird tanzend die Geister beschwören und danach der Natur ein Mittel abringen, das euch gesunden lässt. Zu ihr müsst ihr euch schon bemühen, denn sie wird euch nicht aufsuchen, nur am magischen Ort, mitten in der kasachischen Steppe, kann sie euch heilen. Sie ist eine Baksy, eine, die aus der Erde ihre Kraft schöpft. Als sie davon erfährt, dass ihr Sohn mit zwielichtigen Gesellen verhandelt hat, um den wertvollen Grund für den Bau von Amüsier- und Glücksspielbetrieben zu verkaufen, stürzt sie totengleich nieder. Später, als es den Sohn reut, wird ihr Enkel von Gangstern entführt und die mittlerweile spurlos verschwundene Großmutter dringend gesucht…

„Baksy–Native Dancer“ (Kasachstan/R/F/D 2008; Regie: Guka Okamova) erzählt von einer, die mit Lehm und (Tier-)Blut heilt: Eine Blut- und Boden-Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes. Wovor Regisseur Guka Okamova da Symbol beladen warnt, ist nicht weniger als der Ausverkauf des Landes durch raffgierige Glücksritter. „Las Vegas“ nennt sich programmatisch die erste (noch eher mickrige) Bar auf dem heiligen Grund. Ein Kasino soll folgen: In der ehemaligen Sowjetrepublik ist der Kasino-Kapitalismus eingezogen. Korruption ist an der Tagesordnung: Als der Vater nach dem Sohn sucht, lässt er die Polizei beiseite, aus gutem Grund, denn längst schon sind alle Hüter des Gesetzes auf der Seite der kriminellen Spekulanten… Die Schlussfolgerung von Guka Okamova ist allerdings die Rückbesinnung auf die „alten Werte“: unser Land, unsere Erde, Heilung durch Blut und Boden, zurück zur Scholle. Ausgezeichnet gecastet (zwischen Profis und Laien ist kein Unterschied erkennbar) und exzellent gespielt, tut es „Baksy–Native Dancer“ nicht gut, wenn sich gegen Mitte des Films der Fokus von der Figur der Heilerin auf eine (eher schlampig inszenierte) Kriminalgeschichte verlagert. Ein nationalistisches Drama mit interessanten Ansätzen, aufschlussreich allemal.

Die mystischen Kräfte, der Natur und den guten Geistern abgerungen, sind auch Thema in „Barravento" (Brasilien 1962), dem ersten Film des großen Regisseurs Glauber Rocha. Der junge Fischer Aruan gilt als Heiliger, seit er in einem magischen Ritual geschworen hat, keusch zu bleiben, um die Göttin des Meeres bei Laune zu halten. Deren Hilfe würden die Fischer allerdings dringend benötigen, denn die Fangquote ist schlecht und sie müssen 90 % ihrer Einnahmen an den Besitzer des Netzes abgeben. Der erpresst sie, droht bei weiterer Erfolglosigkeit mit Entzug des Arbeitsgerätes. Firmino, der aus der Stadt zurückgekehrt ist, entsetzt die Devotheit und der Aberglauben der Fischer. Jedoch – diese sind durch nichts zu belehren. Weder bewegt sie das Durchschneiden des Netzes – ein verzweifelter Sabotageversuch – zu gemeinsamen, solidarischem Handeln noch die Entzauberung ihres jungfräulichen Helden durch einen von Firmino eingefädeltem Verführungsversuch. Gegen die Ungerechtigkeit zu rebellieren, ist für sie denkunmöglich, lieber machen sie ein Mädchen, das Aruan längst heimlich verehrt, zur neuen „Heiligen“, auf dass die Göttin des Meeres diesem seine Kräfte zurückgebe… „Barravento“ ist eine Regieübernahme. Nach einem Unfall des ursprünglich vorgesehenen Regisseurs Paulino dos Santos übernimmt Glauber Rocha und muss mit einem Budget von 3000 Dollar und 6000 Meter Filmmaterial das Auslangen finden, doch das Thema, der „mystische Fatalismus“ und der vergebliche Versuch des jungen Agitators Firmino, die Fischer zum Kampf zu bewegen, „liegt“ dem Newcomer. Als Lehrstück über die System erhaltende Kraft der „alten Werte“ ist „Barravento“ ein beeindruckendes Erstlingswerk, das stilistisch die den jungen Glauber Rocha prägenden Einflüsse widerspiegelt: „man könnte sagen, dass Eisenstein und Antonioni einander treffen, wenn die Fischer – wie Sklaven, die ihre eigenen Ketten schleppen – langsam, schwerfällig und ärgerlich die alten Netze zum Strand schleppen, das Arbeitswerkzeug, das ihnen nicht gehört“, schreibt der brasilianische Filmkritiker Alex Viany im Juni 1962… Und Glauber Rocha ergänzt: „Ich habe Flaherty nie gesehen, aber er hat mich trotzdem sehr beeinflusst“…

Der Brief, der Adama genötigt hat, Frankreich zu verlassen und dorthin zu reisen, wohin er nicht mehr zurückkehren wollte, war ein Trick. Die angeblich tödlich erkrankte Großmutter ist quicklebendig, doch der Plan der Schwester, den Bruder mit dieser Nachricht zurückzulocken, ist aufgegangen. Freilich empfindet Adama nichts, als er seine Familie wieder sieht und die Begegnung mit einstigen Freunden bedeutet ihm ebenso wenig. Er fühlt sich um wertvolle Zeit betrogen, die er, der erfolgreiche Wissenschaftler, in Frankreich sinnvoll nutzen könnte. Ein Fremder ist er, der mit dem Land, aus dem er stammt, nichts mehr gemein hat. Kühl bis ans Herz scheint er auch der Emotionalität der Einheimischen abhold, bis er durch Zufall erfährt, dass seine gehörlose Schwester ihr Geld als Prostituierte  verdient…

„L’Absence“ (Die Abwesenheit; Senegal/F 2008; Regie: Mama Keita) ist zum einen eine Geschichte über das Vorher und Nachher. Erst hat das Land, wie ein alter Lehrer Adama vorwirft, in die Ausbildung eines hoffnungsvollen jungen Mannes, in dessen Studium investiert, der später davon nichts zurückgegeben, sondern nur seinen persönlichen Profit daraus ziehen wollte. Dann muss der, durch Täuschung zurückgekehrt, sein Selbstbild des „neuen“ Adama, des „über den Dingen stehenden“ Intellektuellen, mit überlegener Distanz auf überschäumende Emotionen, korrigieren, als sich der „alte“ Adama angesichts der Nachricht über den Job seiner Schwester wieder zeigt, als ihm alle Sicherungen durchbrennen, er wieder von „Ehre“ spricht, seine Schwester verprügelt, in einen Kasten sperrt und sich danach unvorsichtigerweise auch noch mit ihrem Zuhälter anlegen will… Zum anderen ist „L’Absence“ ein überraschend „unafrikanischer“ Film, sowohl in Bezug auf das Tempo als auch in seiner Konzentration auf das Urbane. Adama findet sich bei seinen nächtlichen Begegnungen mit Zuhältern, Lebenskünstlern, Kriminellen und Säufern im Moloch Stadt wieder, ein metropples Gefühl, unterstützt durch Jazzklänge, durchzieht „L’Absence“. Gewiss, es ist die dunkle Seite der Stadt, der Adama im nächtlichen Dakar begegnet, doch sichtbar wird dabei eine afrikanische Realität weitab der allseits bekannten Klischees.

Deutschland, Anfang der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts: In einer Zeit, das der Blick vieler Studierender noch über den Tellerrand hinaus reicht und das Studium noch nicht Selbstzweck ist, als viele noch interessiert, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, will der aus Äthiopien stammende Medizinstudent Anberber nicht nur Kranken seine Hilfe anbieten, sondern auch dazu beitragen, die offenen Wunden zu schließen, die der Imperialismus in Afrika geschlagen hat. Während er in Hinterzimmern und auch Teach–ins die Veränderung der Welt diskutiert, wird in Äthiopien Haile Selassie, der „Kaiser“ und Langzeitdiktator, gestürzt. Man schreibt das Jahr 1974 und bald schon kündigen sich neue Zeiten im bettelarmen afrikanischen Land an. Neue Mächtige im Lande sprechen gar von Sozialismus – da will Anberber nicht fehlen und organisiert zusammen mit anderen Emigranten die Rückkehr…

Selten zuvor war der Sieger des Wettbewerbs beim IFFI so unwidersprochen und so selbstverständlich wie 2009. „Teza“ (Äthiopien/D/F 2008), das neue Meisterwerk des äthiopischen Regisseurs Haile Gerima, verdiente Ehrungen aller Art. Wie hier eigene Erfahrungen auf exemplarische Weise zu einer über drei Jahrzehnten hinweg gespannten Geschichte der enttäuschten Hoffnungen verknüpft und verdichtet werden, zeigend, wie aus einem Kämpfer ein Gebrochener geworden ist, dennoch stets Hoffnung offen lassend, das hebt „Teza“ weit über „Aufarbeitungs“–Dramen hinaus, ist doch Gerima keiner aus der sattsam bekannten „Mea culpa“ Fraktion, vielmehr einer, welcher, aus Fehler lernend, das einmal als falsch erkannte immer noch bekämpfen will, nur diesmal erfolgreich und nachhaltig.

Ein Sisyphus unserer Tage: Vom jungen Arzt Anberber, der beim Aufbau des Sozialismus mithelfen will und erkennen muss, dass im stalinistischen Mengistu–Regime (1977–1991) nur das Spitzelwesen und der Unterdrückungsapparat klaglos funktionieren und sich anstelle der Gesellschaft nur die Eliten verändern, zum gerade noch mit dem Leben davongekommenen, der wieder in Deutschland gelandet ist, pünktlich zum Mauerfall, den Anberber als Dammbruch erlebt, der es Rassisten und Ausländerhassern ermöglicht, endlich offen ihre „Bedürfnisse“ auszuleben, bis zur Rückkehr eines lebenden Toten nach Äthiopien nach dem Sturz des Mengistu–Regimes, in ein Land, in dem nur eines die unterschiedlichen Varianten überdauert hat: die hohle Phrase. Haile Gerima verweigert in „Teza“ die lineare Erzählung des Geschehens ebenso wie eine fatalistische Moral. Deutlich wird: Nicht die Idee der Veränderung, sondern deren Torpedierung durch Etikettenschwindler war der Fehler.