Ein Programm als Vermächtnis
Kurt Hofmann
Zur Viennale 2017/1
17.10.2017
Die diesjährige Viennale ist dem vor kurzem verstorbenen langjährigen Leiter dieses Festivals Hans Hurch gewidmet. Einen Gutteil des Programmes hat Hurch noch selbst programmiert, ergänzt und vervollständigt wurde es durch den interimistischen Leiter Franz Schwartz, einem engen Vertrauten Hurchs, der dafür sorgte, dass dieses Programm als „filmisches Vermächtnis“ Hurchs in Erinnerung bleiben könnte.
Wie stets sind für jene, die auf vertraute (RegisseurInnen-)Namen setzen, neue Arbeiten der „üblichen Verdächtigen“ wie Kiarostami, Dumont, Linklater, Del Toro,Allen,. Depardon, Wiseman etc. mit dabei, aber ebenso viel Entdeckenswertes, diverse Specials sowie die heuer, passend zu 100 Jahren Oktoberrevolution, dem sowjetischen Kino 1926-1940 sowie 1956-1977 gewidmete Retro „Utopie und Korrektur“ im Österreichischen Filmmuseum.
Als Spielstätten sind auch heuer die Kinos Gartenbau, Metro, Stadtkino im Künstlerhaus und das Österreichische Filmmuseum vorgesehen. Infos, Kartenreservierungen: www.viennale.at
Einleitend eine Übersicht von bei der Viennale 2017 gezeigten Filmen, die bereits in „Die Linke“ rezensiert wurden; Abschied von den Eltern (Locarno 2017), Golden Exits (Berlinale 2017/1) Grandeur et Decadence D’Un Petit Commerce De Cinema (Locarno 2017), Helle Nächte (Berlinale 2017/2), Lucky (Locarno 2017), Tiere (Berlinale 2017/1)
1770: Eine junge Frau gibt in einem Salon Klaviersonaten zum Besten. Was ihr Publikum - Hofschranzen, Emporkömmlinge, die sogenannte „bessere Gesellschaft“ - dabei interessiert, ist nicht deren Talent, sondern der Umstand, dass die Pianistin blind ist. Maria Theresia Paradis wird nicht als begabte Musikerin wahrgenommen, sondern als „spezieller Fall“, als Jahrmarktsattraktion in edlem Rahmen. Ihre Eltern führen sie vor, sie ist der „Main Event“ der abendlichen Veranstaltungen. Ein anderer Star dieser Zusammenkünfte ist der „Heiler“ Franz Anton Mesmer, ein früher Vertreter „alternativer Medizin“. Seiner Kunst des Handauflegens vertrauen die Eltern Paradis die toten Augen ihrer Tochter an. Und wahrlich, er scheint das erhoffte „Wunder“ bewirken zu können: erneut wird Maria Theresia vorgeführt, wieder ist sie ein „spezieller Fall“, nun muss sie einem staunenden Publikum das Kunststück des erlernten Sehens vorführen…
Barbara Alberts neuer Film „Licht“ erzählt über Licht und Dunkel (ein Grundthema des Kinos), über verlorene Würde (durch den Missbrauch als „Ausstellungsstück“) und die Sehnsucht einer jungen Frau des späten 18.Jahrhunderts nach Selbstbestimmung.
Once I was blind, but now I see: Sehen können, bedeutet Klarheit zu erlangen, der blinde Seher Teiresias weiß das ebenso, wie es Maria Theresia Paradis lernt, welche, erneut erblindet, Komponistin wird, sich nicht mehr „vorführen“ lässt. Im Nachspann von „Licht“ erklingt ein Stück von ihr…
Das Eine ist der offizielle Moralkodex im „Gottesstaat“ Iran, das Andere ist die gesellschaftliche Realität junger Frauen in der Metropole Teheran. Alles, was „offiziell“ nicht vorhanden ist, existiert abseits der staatlichen Propaganda dennoch: Prostitution, Abtreibung, Operationen zwecks „Wiederherstellung“ des Jungfernhäutchens, etc… Die heile Welt des islamischen Staates stellt sich als Scheingebilde heraus, aber junge Frauen in Teheran haben gelernt, eine „Doppelexistenz“ zu führen, auch, Bündnisse gegen den Männlichkeitswahn zu schließen…
Noch einmal Tarnen und Täuschen: Der Deutsch-Iranische Filmemacher Ali Soozandeh hat für „Teheran Tabu“ das Mittel der Animation gewählt, die Entscheidung für diese Form verdeutlicht die „Schattenexistenzen“, zu denen junge Frauen im urbanen Zentrum des Iran gezwungen sind. Wollen sie ihrem Ziel eines (möglichst) selbstbestimmten Lebens näher kommen, müssen sie die Kunst des Tarnens und Täuschens beherrschen. Die Animation fungiert in „Teheran Tabu“ als Form der Verfremdung, die den Unterschied zwischen der „einen“ und der „anderen“ Realität verdeutlicht und den Film auch vor Kolportage bewahrt.
Auf fremdem Terrain: Deutsche Arbeiter sollen in Bulgarien ein Wasserkraftwerk errichten. Da ist das koloniale Gehabe des Gruppenleiters, der hier, „in the middle of nowhere“, um „deutsche Wertarbeit“ zu ermöglichen, auch das Wasser der Ortsansässigen anzapft, ohne diese zuvor zu kontaktieren und Sexismus als Zeichen des „Eroberers“ ansieht, der sich nimmt, was ihm „zusteht“. Sein Gegenspieler ist der Vorarbeiter Meinhard, der sich mit den Dörflern anfreundet, langsam lernt, dass deren Formen des Umgangs andere sind als jene von „Effizienz“ und „Durchsetzungsfähigkeit“ geprägten… Der Anführer des Bautrupps wird zu seinem Feind, wie in einem klassischen Western entsteht auch in „Western“, dem neuen Film von Valeska Grisebach (der im diesjährigen Festival auch ein Tribute, verbunden mit einer Carte Blanche für Grisebach, gewidmet ist), eine Duell-Situation. Doch nur anlässlich einer Schießübung ist auch eine Waffe in „Western“ zu sehen. Meinhard, der einstige Legionär, verfügt allerdings über ein Messer, welches er, wenn nötig, auch einsetzen könnte… Inmitten des „neuen Europa“ ein Bild des Rohen, Ungeordneten, das sich der Einordnung, der „Kolonisierung“ widersetzt, allerdings auch eines gewachsener, „mafiöser“ Strukturen. Das bedrohliche Moment, die Notwendigkeit, sich entscheiden zu müssen, auch, Verbündete zu finden, all dies sind Ingredienzien des Western, die sich auch in „Western“ finden. Die Genre-Zuordnung liegt nahe, wie einst bei „Spur der Steine“, doch während jener den Zwiespalt zwischen dem Möglichen und dem Erlaubten in der DDR reflektierte, ist „Western“ ein Kommentar zum „Alternativlosen“ unserer Tage und wie das mit dem Alleinseligmachenden nicht klappt…
Die diesjährige Retro "Utopie und Korrektur-Sowjetisches Kino 1926-1940 und 1956-1977", welche die schwierige Gratwanderung der sowjetischen FilmregisseurInnen zwischen Anspruch und Realität nachzeichnet und dabei die Wechselwirkung der verschiedenen Entwicklungen der sowjetischen Gesellschaft mit dem jeweiligen Filmschaffen berücksichtigt, hat nicht nur die Werke der "Unverzichtbaren" wie Eisenstein, Vertov... zu bieten, sondern zeigt viele Filme, die in Wien selten oder nie im Kino zu sehen waren.
Jeden Abend ist während der Retro im Österreichischen Filmmuseum ein Doppelpack zu sehen, der Haltungen, Stimmungen, Aufbruch und Zurücknahme aus den verschiedenen Phasen des sowjetischen Filmes gegenüberstellt. Eine Schau, die alle möglichen Klischeefallen vermeidet und mit ihren Filmen viel Entdeckenswertes bietet: not to be missed.
Einer von vielen: "Odna" (Allein: UdSSR 1931, Regie: Grigori Kozincev und Leonid Trauberg), welcher auf Grund einer Zeitungsnotiz entstand. Diese berichtete über eine Lehrerin, die in Karelien in einen Schneesturm geriet, fast erfroren war, doch von Kolchosebauern gerettet wurde.
Eine von vielen: Eine junge Lehrerin, eben erst erfolgreiche Absolventin der pädagogischen Hochschule in Leningrad, muss ihre erste Stelle im entlegenen Altai-Gebiet nahe der mongolischen Grenze antreten. Weit abseits des vertrauten Urbanen trifft sie dort auf unerwartete Probleme, denn die Kinder der Armen kommen im Frühjahr nicht zur Schule, weil sie von den Kulaken als Hirten eingesetzt werden. Das will die engagierte Lehrerin nicht akzeptieren. Es kommt zur offenen Konfrontation...
"Odna" (Allein) erzählt von einer, die sich in fremder Umgebung, inmitten ihr fremder Menschen, entscheiden muss, ob sie "Dienst nach Vorschrift" betreiben oder sich den ungerechten Verhältnissen, die sich in diesem entlegenen Teil der Sowjetunion gehalten haben, entgegenstellt. Sie entschließt sich für Letzteres und findet Verbündete-Solidarität.
Die Probleme in rückständigen Regionen aufzuzeigen, gar den Vorsitzenden des örtlichen Sowjets als Bürokraten darzustellen, eine junge (mitunter zweifelnde) Intellektuelle als Heldin eines sowjetischen Filmes im Jahre 1931 zu wählen: all das wurde Kozincev / Trauberg vom Gros der sowjetischen Kritik nachgerade als Defätismus angerechnet. Doch "Odna" löste eine Diskussion aus, in deren Rahmen sich auch Verteidiger des Filmes zu Wort meldeten, die "Odna" gerade wegen dessen Differenziertheit und dessen mutiger Fragestellung lobten...
"14 Friends, 14 Films" nennt sich die Hans Hurch gewidmete Hommage und abseits von Spekulationen lässt sich durchaus sagen, es hätte Hans gefallen, was 14 Verbündete von B wie Hartmut Bitomsky bis W wie Klaus Wyborny ausgewählt haben. Ob Godards "Band A Part", ob Bressons "Au Hasard Balthasar", ob Hawks "The Big Sky", oder, nicht zu vergessen, Straub/Huillets "Antigone" (mit Hans Hurch als Regieassistenten und Astrid Ofner als "Antigone"...) um nur einige der "nominierten" Filme zu nennen, dieses filmische Puzzle ergibt ein Bild, welches dem Hurchschen Bild vom Kino nahe kommt.