die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel Kultur & Film Ein Peitschenschlag bleibt ein Peitschenschlag ...
Adresse: https://dielinke.at/artikel/kultur-film/ein-peitschenschlag-bleibt-ein-peitschenschlag/

Ein Peitschenschlag bleibt ein Peitschenschlag ...

Viennale 2007 - Auch in diesem Jahr konnte von der Viennale-Leitung ein positives Fazit gezogen werden: Mehr ZuschauerInnen, hervorragende Kritiken in der in- und ausländischen Presse, auch “schwierige” Programmangebote wurden angenommen. Kurz: Rundum zufriedene Gesichter, die “Chemie” zwischen Veranstalter und Publikum/Presse stimmt. Mit Viennale-Direktor Hans Hurch sprach Kurt Hofmann für dielinke.at

18.11.2007

Die Linke: Viennale 2007: Sowohl die Auslastung als auch die allgemeine Zufriedenheit mit dem Angebotenen könnte kaum besser sein. Selbst ein Schwerpunkt wie “Propositions”, ursprünglich als (ästhetischer) Stachel im Viennale-Fleisch gedacht, wird vom Publikum kaum mehr als unterschiedlicher Programmteil wahrgenommen, sondern dem Gesamtpaket zugerechnet ...
So schön dieses Grundvertrauen in den Viennale-Leiter ist, könnte man an dieser Stelle fragen: Mit welchen Programmideen wären zumindest Teile des Viennale-Publikums noch nachhaltig zu irritieren?


Hans Hurch: Vermutlich nur noch durch Pornofilme ... Aber es kommt auch nicht darauf an, die Leute zu irritieren, das ist keine Kategorie. Dennoch überlege ich mir natürlich bei aller Freude über dieses wechselseitige Vertrauensverhältnis, wie kommt der Erfolg zustande, warum ist er so groß, welche Filme hätte ich besser nicht gespielt, welche haben im Programm gefehlt ... Dazu erhalte ich schon während der Viennale viel Feedback zum Programm, sowohl von FreundInnen als auch von FestivalbesucherInnen, die mir ihre unmittelbaren Reaktionen, bisweilen auch ihren Ärger über einzelne Filme, übermittelten. Was “Propositions” betrifft: Nach wie vor handelt es sich dabei um avancierte, radikale, im Kino ungewöhnliche Arbeiten – das gilt für die heurige Auswahl sogar noch in stärkerem Ausmaß als für die “Propositions” etwa vor drei Jahren ... Aber: Es gibt zweifellos den egalisierenen “Viennale-Effekt”, der auch durch effektives Marketing erzeugt wird ...

... womit wir beim Phänomen der Eventkultur wären, welches ja nicht die Viennale, sondern auch Veranstaltungen wie “Wien Mondern” betrifft. Die Besucherzahlen im Kino, wie sich am Beispiel der Programmleiste des Filmarchiv Austria im Rahmen der Viennale anschaulich zeigen läßt, fielen in den vergangenen Jahren bei den Wiederholungsvorstellungen im November – nach der Viennale – radikal ab. Statt eines ausverkauften Metro-Kinos konnten die BilleteurInnen die ZuschauerInnen gewissermaßen persönlich begrüßen. Bezeichnenderweise ist diese Wiederholung im Metro-Kino heuer erstmals gestrichen ... Verfliegt, im “Alltag” angekommen, die Kino-Begeisterung, kann nur mehr der Event ein interessiertes Publikum mobilisieren?

Unmittelbar nach der Viennale sinkt naturgemäß die Aufmerksamkeitskurve. Wir beobachten das z. B. jetzt bei einem Film wie “Lady Chatterley”, der im Gartenbau-Kino immer noch gut besucht, aber selbstverständlich nicht mehr ausverkauft ist. Die Viennale ist sozusagen ein “agent provocateur” generiert einen Hype, vermittelt das Gefühl, man könnte etwas versäumt haben ...
Das bezieht sich auf einen überschaubaren Zeitraum, ein halbes Jahr dürfte die Viennale nicht dauern. Was aber die Nachhaltigkeit betrifft: Die entsteht mittels der Erlebnisse des Viennale-Publikums im Kino in dessen Köpfen und Herzen ...
Fraglos existiert das Problem des Eventkultur, dennoch ist die Viennale das intensivste Plädoyer für eine weitere Auseinandersetzung mit der Siebten Kunst.

Ein besonderer Fall eines “Director's Cut” im wahrsten Sinne des Wortes war während der heurigen Viennale die Aufführung des Filmes “Thomas Harlan-Wandersplitter”. Obwohl es von diesem Film sowohl eine vierstündige “Langfassung” als auch eine eineinhalbständige “Kinofassung” gibt, wurde eigens für und durch die Viennale eine dritte Fassung erstellt ...

Zunächst: Die meisten Festivals hätten den Film, unabhängig von der Länge, überhaupt nicht gespielt. Die von mir erstellte Fassung, eine Art “Weltpremiere” finde ich wesentlich besser als die lange Fassung, in der Harlan allzu geschwätzig und “privatistisch” agiert. Hier stand auch ein Film wie “Wundkanal”, in dem einem alten Nazi der Prozeß gemacht wird, der aber in Wahrheit in der unaufgearbeiteten Auseinandersetzung mit Thomas Harlans Vater Veit Harlan (Dem Regisseur des NS-Hetzfilms “ Jud Süß”, K.H.) wurzelt, im Mittelpunkt, ein selbstgerechter Film, der eine kleinbürgerliche Haltung offenbart. Im Jahr seines Enststehens galt er manchen als “der” linksradikale Film. Ich habe “Wundkanal” damals zusammen mit Jean-Marie Straub in Venedig gesehen, der etwas bemerkenswertes zu mir gesagt hat: “Ein Peitschenschlag bleibt ein Peitschenschlag, auch wenn er für die gerechte Sache geschieht.”  Sprich: Was ästhetisch reaktionär ist, kann nicht politisch fortschrittlich sein.
Mehr als zwanzig Jahre später erscheint mir Thomas Harlan, der heute krankheitsbedingt in einer Lungeheilanstalt lebt, als kluger und reflektierender Filmemacher, dessen Werk – abzüglich der “Wundkanal”-Schaumschlägerei – viel Entdeckenswertes bietet, was ich mit meiner “Fassung” freilegen wollte. Es handelt sich dabei um keinen Willkürakt, sondern um ein Angebot der Regisseure des Films, die mir auch zusätzliches Material des Films, der ihnen als “work in progress” gilt, zur Sichtung angeboten und dabei angeregt haben, möglicherweise eine eigene Fassung für die Viennale zu erstellen. Mit dem Ergebnis waren sowohl sie als auch der porträtierte Thomas Harlan außerordentlich zufrieden.

Eine Viennale-Hommage war heuer Jane Fonda gewidmet. Dabei war auch “On golden Pond”, der einzige Film, in dem Jane Fonda gemeinsam mit ihrem Vater Henry Fonda auftritt, zu sehen – ein unbedeutender Film, der jedoch – aus begreiflichen Gründen – Jane Fonda besonders am Herzen liegt. Nun scheint es mir nicht weiter schlimm, wenn die Viennale deisen Film trotz inhaltlicher Bedenken zeigt, die weiterführende Frage ist jedoch, ob man prominente Gäste in jedem Fall bei Laune halten muss oder ob es (qualitative) Grenzen gibt?

Das ist immer eine Gratwanderung zwischen den Wünschen der Eingeladenen und den Erfordernissen des Festivals. Ich habe von der Liste der Filme, die mir Jane Fonda übermittelt hat, drei Filme abgelehnt und etwa mit Haskell Wexlers Vietnam-Doku “Introduction to the Enemy” einen Film ins Programm genommen, dessen Auswahl Jane Fonda überrascht, aber spätestens nach dem Wiedersehen mit Haskell Wexler (der gleichfalls Gast der diesjährigen Viennale war, K.H.), auch sehr erfreut hat. Vielfach sind bei der Programmierung derartiger Specials (wie auch des gesamten Festivals) aber nicht inhaltliche Kriterien ausschlaggebend, sondern schlicht Fragen der Verfügbarkeit oder der Kopienqualität ...

Die Debatte um das Projekt des Augarten-Kinos, in das die Viennale involviert ist, wird nach wie vor heftig geführt. So sehr zu wünschen wäre, dass sich das Kinoprojekt gegen das kokurrierende Projekt des Sängerknabenzentrums durchsetzt, ist doch zu befürchten, dass nach dessen allfälliger Realisierung das Stadtkino am Schwarzenbergplatz geschlossen wird, weil es in den Augarten übersiedeln soll. Das neue Augarten-Kino soll dem Stadtkino ebenso wie dem Filmarchiv Austria zur Verfügung stehen. Das (bisherige) Kino des Filmarchivs ist das Metro, das Programm des Gartenbau-Kinos wiederum wird vorrangig mit Filmen des Stadtkino-Verleihs bestritten. Sind da nicht unter Umständen drei Viennale-Kinos gefährdet?

Ich weiß nicht, wer dieses Gerücht, das ich schon mehrfach gehört habe und das vermutlich gezielt verbreitet wird, in die Welt gesetzt hat. Jedenfalls ist es lächerlich anzunehmen, dass die Viennale auf das Gartenbau, für dessen Weiterbestand sie jahrelang gekämpft hat, verzichten würde oder das Filmarchiv auf das Metro. Dem Stadtkino, das meines Erachtens derzeit einen Standort-Nachteil hat, würde hingegen eine Übersiedlung in den Augarten sicherlich guttun.
Außerdem darf man nicht darauf vergessen, dass das Augarten-Projekt sich keineswegs auf das geplante Kino beschränkt, sondern auch einen Ausstellungsraum, eine große Mediathek, wie es sie in dieser Form zwar andernorts, etwa im Centre Pompidou, aber noch nicht in Österreich gibt, sowie ein Forschungsprojekt zum Thema Kino und Emigration beinhaltet. Mit dem Augarten-Kino wiederum würde der zweite Bezirk endlich nicht mehr kinofreie Zone sein. Noch einmal zur Mär um die Kinoschließungen wegen des Augarten-Projekts: das ist eine defätistische und typisch österreichische Reaktion, anzunehmen, dass, wo Neues entsteht, zwangsläufig Bestehendes verschwinden muss ...

Dennoch dürften die Chancen um die Realisierung des Projekts ohnedies nicht allzu gut stehen, was ein bezeichnendes Licht auf die kulturpolitischen Defizite im Lande wirft ...


Obwohl mittlerweile eine klare Mehrheit der Anrainer für das Augarten-Kinoprojekt ist, stellen sich die sozialdemokratischen (Mit-)Entscheider, insbesondere die neue Kulturministerin Schmied, tot und unterstützen das Projekt, währenddessen der einflußreiche Investor des Sängerknaben-Projektes mächtig Druck macht, in keiner Weise.
Wer sich durch den personellen Wandel im Bund in Sachen Kultur Fortschritte erwartet hat, wurde bitter enttäuscht. Von all ihren Versprechungen hat Schmied bisher keine eingehalten. Leere Worte, Stillstand. Vielleicht ist sie durch die alles beherrschende Schulproblematik blockiert, jedenfalls hat sie die Tendenz, Unangenehmem weiträumig auszuweichen ...

Nach der Viennale ist immer vor der Viennale: Stichwort Viennale 2008 ...

Selbstverständlich kann ich jetzt noch keine konkreten Filme oder Gästenamen  nennen. Aber jetzt beginnt zum einen die Zeit der Evaluierung, zum anderen gibt es Pläne, die ich über Jahre hinweg wälze, bis sie realisiert – oder verworfen – werden. Sinnvoll wäre, vorhandenes Potential besser zu nutzen, z. B. hätte man heuer Haskell Wexler dazu einladen können, ein Wochenend-Seminar über Kameraarbeit abzuhalten. Ein wichtiges Projekt ist der von mir vorgeschlagene und mit 100.000 Euro zu dotierende “Erich von Stroheim-Preis”, der einem bedeutenden unabhängigen Filmemacher die Gelegenheit geben soll, ein neues Filmprojekt entsprechend vorzubereiten, insbesondere, was die Recherchearbeit betrifft. Dieses Projekt möchte ich unbedingt realisieren, auch wenn derzeit völlig ungeklärt ist, wer es finanzieren wird ...

Wir danken für das Gespräch.