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Documenta 2007: Das ist kein Übelstand mehr, das ist schiere Tragödie

Die Documenta 2007 soll eine politische Documenta werden. Der Plan verheißt nichts Gutes. Gibt es doch keine verhängnisvollere Drohung für die Kunst als die, dass nicht mehr, wie Hegel sagt, das Genie der Kunst die Regel geben soll, sondern die Politik.

22.07.2007

Die Documenta 2007 soll eine politische Documenta werden. Der Plan verheißt nichts Gutes. Gibt es doch keine verhängnisvollere Drohung für die Kunst als die, dass nicht mehr, wie Hegel sagt, das Genie der Kunst die Regel geben soll, sondern die Politik.
Nach dem Willen von Ruth Noack und Roger Buergel soll auf der 12. Documenta kein Werk zugelassen sein, dem keine politische Botschaft anhaftet. Die Abgründe, in die eine solche Doktrin führt, sind bekannt. Wer sie heute derart dreist erneuert, ist entweder grenzenlos naiv oder strebt totalitäre Verhältnisse an. Da es keinen Grund gibt, am klaren Verstand der Veranstalter zu zweifeln, dürfen wir annehmen, dass hier willentlich im Sinne des "Zeitgeistes" gehandelt wird. Diese Annahme wird gestützt durch die Beobachtung, dass keine der mir bekannten, seit Monaten mit der Documenta befassten Kritiken dieser ungeheuerlichen Doktrin entgegengetreten ist. Stattdessen wird allgemein begrüßt, dass auf dieser Documenta endlich abgerechnet wird mit der "verkopften" Kunst. Diese These ist bekannt. Die Folgen ebenfalls. Sie heißen: Boykott, Berufsverbot, Bücherverbrennung und Pogrom. Unübersehbarer Sturz der Zeit.
Das einzelne Werk und die Namen der Künstler sollen keine Geltung haben auf dieser Documenta. Nur was widerspruchslos dem "Ganzen" dient, darf sich zeigen. Das einzelne Werk in seiner Geschlossenheit und Harmonie ist für Noack und Buergel ohne Bedeutung. Die Gesetze der Kunst, ihre Maßgaben sind aufgehoben. Alles wird gleichermaßen zum Material. Die unseligen Geister der Vorzeit treten wieder ihren Dienst an. Was nicht dem Ganzen dient, wird verfemt, ausgetrieben aus der Gegenwart. Dem Individuellen wird jeder Wert abgesprochen. Der Einzelne ist nichts, das Gemeinwesen ist alles. Verräterisch auch das ständige Zitieren des volkstümelnden "Miteinanders". Die Kunst wird an die Kandare genommen und zum politischen Kotau vorgeführt.
Wer mit dem Mainstream nicht konformiert, wird mit ökonomischer Ohnmacht geschlagen. Vom Kulturbetrieb ausgeschaltet, wird er leicht der Unzulänglichkeit überführt. Kennerschaft und Sachverstand werden als Anmaßung gewertet. Von nun an darf jeder das als Kunst deklarieren, was er darunter versteht. Der Unterschied von Wohlverstehen und Missverstehen wird geleugnet. Die Haupttugend des Kunstwerkes, die Gattungstugend, wird zum Frevel erklärt, das Recht ausgerufen, jedes ältere Werk beklauen zu dürfen, und die Vermittlung der Kunst in die Hände von Agenten gelegt, denen es egal ist, welcher Sache sie dienen, solange diese für sie profitabel bleibt.
Das kommt einer Kunstkritik zugute, die, statt die Kunst auf den Begriff zu bringen, die Kunst aus dem Kunstzusammenhang heraus taschenspielert und dann, ohne große Mühe, beide erledigt, die Kunst und das Kunstwerk.
Differenzen werden eingeebnet, und der Unterschied von Gemachtem und Gewordenem, zwischen Kunst und Natur, zwischen Ding und Geschöpf, zwischen Werk und Objekt, wird getilgt.
Das gibt den Schaustellern Noack und Buergel die Möglichkeit, ihren Exponaten jede beliebige Bedeutung anzudichten. Beim Anblick einer ausgestopften Giraffe, die nichts anderes ist, als eines jener naturkundlichen Präparate, welche millionenfach in allen Naturkundemuseen gezeigt werden, sollen die Besucher der Documenta schmerzfühlend die Sehnsucht nach Frieden in dieses Tierpräparat hineindenken.
Wie es sich für einen Amüsierbetrieb gehört, zeichnet auch hier der Veranstalter alle Reaktionen vor. Nicht durch sachlichen Zusammenhang, der sofort zerfällt, sobald der Gedanke ihn streift, sondern durch Signale. Der Betrachter soll keiner eigenen Gedanken bedürfen. Schließlich wäre es gefährlich, wenn sich ein auch noch so armseliger Sinnzusammenhang entwickeln würde, wo einzig Sinnlosigkeit akzeptiert werden soll.
Und die Veranstalter selbst? Die sind stolz darauf, dass sie in ihren Entscheidungen keinem Kanon und keiner Theorie folgen. Gehören sie doch, wie Buergel der Zeitschrift Cicero verriet, glücklicherweise einer Generation an, die "nicht mehr unter dem Diktat der Frankfurter Schule leidet".
Unter der hirnrissigen Devise "Kunst muss dem Leben begegnen" sollen während der Documenta tausendundein Chinesen aus den Provinzen Chinas nach Kassel verfrachtet werden, um hier ihrem Landsmann Al Weiwei als Teile seines Projekts zu dienen. Worin dieses Projekt besteht, ist nicht zu erfahren. Es ist auch ohne Bedeutung, denn diese Chinesen, die, wie man hört, zu den Ärmsten der Armen gehören, sind längst als Objekte bestimmt, mit denen nur noch verfahren werden soll.
Noack und Buergel ziehen durch die Welt, um sie für ihre Zwecke zu plündern und machen sich eine wohlfeile Ideologie dazu. Sie faseln vom Dialog der Kulturen, von der Migration der Formen, von der Befreiung der Kunst, spielen sich als Erneuerer der Vernunft und als Verteidiger der Wahrheit auf, wo doch tatsächlich auch hier alles nur Geschäft ist. Von den 19 Millionen Euro, die die öffentliche Hand in die Documenta investiert, kommen nur 2 Millionen der Kunst zugute.
Tatsächlich aber ist Noack und Buergel alles nur Material, und längst sind auch die angeworbenen Chinesen zur Spezies "Documenta- Chinese" degradiert. Nicht nur ihre Unterbringung in einer abgewirtschafteten Produktionshalle, auch ihre organisierte Handhabung ist ein Rückfall in den Kolonialismus. Mit Italienern, Schweden oder Franzosen ließe sich dergleichen nicht veranstalten.
Diese Documenta wird die Massen nicht in Bereiche leiten, die ihnen bisher vorenthalten waren. Sie wird einzig den Zerfall der Kultur und die Ausbreitung barbarischer Beziehungslosigkeit beschleunigen.
So ungefährlich, wie es scheint, ist das alles nicht. "Denn das Böse wächst aus dem Nicht-Nachdenken. Am Bösen scheitert das Denken, denn sobald das Denken sich mit ihm zu beschäftigen und an seine Wurzeln vorzudringen versucht, wird es enttäuscht, weil da nichts ist. Darin besteht seine Banalität. Doch die Banalität ist nur die Maske, hinter der sich der Wille zur Zerstörung unserer Kultur verbirgt." Dies nie zu vergessen, gemahnt uns Hannah Arendt.

Eberhard Fiebig
(Quelle: SOZ, Juli 2007: http://www.soz-plus.de)