Die Welt da draußen - Anmerkungen zur Diagonale 2007 in Graz (Teil 1)
Kurt Hofmann
"EU: Pröll kämpft um den Jagatee!" - Mitten in die Diagonale hinein eine Schlagzeile des meistgelesenen Boulevardblatts. Wie wird „das da draußen“ in diesem putzigen kleinen Land, welches im Vorjahr noch um die Erhaltung der bedrohten Art der Nikolos kämfen musste, wahrgenommen? Der Blick über den Tellerrand, das Verhältnis zur Welt bestimmte die Arbeiten zahlreicher österreichischer FilmemacherInnen.
24.04.2007
Ja mach nur einen Plan: "Plan Columbia" nennt sich das ambitionierte
Vorhaben der US-Administration, durch Ausschaltung der
Drogenanbaugebiete in Kolumbien dem organisierten Drogenhandel einen
entscheidenden Schlag zu versetzen. Die Maßnahmen klar durchdacht:
Flugzeuge steigen auf, besprühen die Koka- und Mohnanbaugebiete mit
Pflanzenvernichtungsmitteln und alles funktioniert wie daheim in der
Küche mit der Beseitigung lästiger Flecken-wisch und weg. Dummerweise
haben gerade Mohn und Koka sich als einigermaßen resistent erwiesen,
dafür sind andere Teile der Ernte restlos vernichtet. Auch die großen
Kartelle des Landes hat man zerschlagen und Escobars Leiche stolz
vorgezeigt. Die Folge war Dezentralisierung und Unüberschaubarkeit,
eine Umstellung im nun noch besser funktionierenden System. Also muss
der Krieg, "The War on Drugs" (Österreich
2007; Sebastian j.f.) fortgeführt werden, am besten vor Ort im eigenen
Land, 8 Millionen US-AmerikanerInnen werden jährlich wegen Drogenbesitz
und/oder -handel verhaftet. Völlig losgelöst von der Erde scheint dabei
das Vorgehen der Behörden: Ein Großteil betrifft den Besitz von
Marihuana, andere werden wegen Medikamentenmißbrauch angeklagt. Wer
krankheitsbedingt viele Schmerzmittel benötigt, verdealt diese wohl
auch, so die zwingende Logik, die Kranke und ihre Ärzte hinter Gitter
bringt. "Keine demokratische Gesellschaft in der Geschichte der
Menschheit hat je einen so hohen Prozentsatz ihrer Bevölkerung
eingesperrt. Wenn du vergleichbare Beispiele suchst, musst du zu den
Gulags in der Sowjetunion der 30er, 40er und 50er Jahre zurückgehen"
sagt Ethan Nadelman von der Drug Policy Alliance in einem Statement für
"War on Drugs", einem Film, der die gängige Berichterstattung in Sachen
Drogen durch Fakten, die den Wahnwitz der US-Behörden und den weiteren
Ausbau der Kontroll- und Überwachungsinstanzen belegen, konterkariert.
Dass Kärnten "a Wahnsinn" ist, hat sich dank der intensiven Bemühungen
des aus Oberösterreich stammenden Landeshauptmanns als Slogan bereits
durchgesetzt. Wo viele Jahrzehnte nach dem sogenannten "Abwehrkampf"
immer noch täglich mit der demnächst unvermeidlich folgenden
Annektierung von Teilen des Landes durch Slowenien gerechnet wird und
zweisprachige Ortstafeln daher des Teufels sind, wird
selbstverständlich nur in Ausnahmefällen "windisch" (eine Sprache, die
es außerhalb der Deutschkärtner Phantasie nicht gibt) gesprochen, vom
Slowenischen (das es innerhalb der Deutschkärtner Phantasie als
Sprache nicht gibt), ganz zu schweigen. Hier wird deutsch gesprochen,
bekommen die Nichtkärtner zu hören, die KärntnerInnen erst recht.
Dieser Meinung waren auch schon die Nazis, welche die Parole "Der
Kärtner spricht deutsch!" den Kärtner Sloweninnen als bei
Zuwiderhandeln zu sanktionierende Anweisung entgegenbrüllten. Dass sich
diese Bevölkerungsgruppe mehrheitlich für den Widerstand entschied, ist
für aufrechte Deutschkärtner bis heute ein Grund für stetes Mißtrauen...
"Der Kärtner spricht deutsch!"
von Andrina Mracnikar lässt ZeitzeugInnen zu Wort kommen, berichtet,
wie sie nicht gleich vielen anderen in diesem schönen Land
stillgehalten oder teilgenommen, sich vielmehr den Partisanlnnen (den
„Tito-Partisanen"...) angeschlossen haben, wie der eine Nachbar, der
dem Kind zugeredet hat, auch weiter "Grüß Gott!" statt "Heil Hitler!"
zu sagen, abtransportiert und der andere, der etwas gesehen und gehört
hat, belobigt... Und als auch im sonnigen Kärtnen tausend Jahre
vergangen sind, heißt es "Niemals vergessen!", denn die SS-Männer, die
zu Postenkommandanten der Polizei aufgestiegen sind, haben ein gutes
Gedächtnis und lassen es die SlowenInnen spüren...
Knapp eine Stunde dauert "Der Kärtner spricht deutsch!" und ist trotz
seiner Kürze kaum ORF-tauglich (man denke nur an "Artikel 7-Unser
Recht!") wird doch wider das ominöse Objektivitätsgebot völlig auf die
Stimmen der landesoffiziellen Geschichtsklitterer verzichtet...
Trauern, um zu feiern:
Imam Hussein, der Enkel des Propheten Mohammed, ist für die Sache des
Glaubens zum Märtyrer geworden. Daran erinnern die Schiiten mit dem
Moharram, einem zehntägigen religiösen Fest ohne strenges Regelwerk.
Die schlichte Volksseele darf sich an Passionsspielen ergötzen, der
ekstatisch Glaubende geiselt sich für seine Sünden, allerorten finden
Prozessionen statt, die Hungernden werden gesättigt - und wahrlich
nicht nur sie, zu Moharram wird gegessen und miteinander gefeiert.
Volksfest, Spektakel: längst schon ist den iranischen Glaubenswächtern
diese fröhliche Erinnerung an einen tragischen Anlaß entglitten, denn
die strikte Geschlechtertrennung ist hier ebensowenig gefragt wie der
Kontrollwahn der Mullas. Die Jugendlichen, so zeigt "Children of the Prophet" von
Sudabeh Mortezai, haben diesen Tag umdefiniert, nützen listig die
Freiräume, organisieren Straßenfeste, treffen einander "indoor",
tricksen die Autoritäten aus, lassen den großen Toten hochleben, um ein
paar Tage frei atmen zu können. Mitten auf einem Markt in Teheran,
umgeben von geschäftigen Standlern aber weint ein Alter bitterlich:
Eben hat er, wohl nicht zum ersten Mal, im Passionsspiel den tragischen
Tod des aufrechten Märtyrers gesehen und versteht nicht, wie das
Schicksal so grausam sein konnte, dessen Tod zuzulassen....
Sudabeh Mortezais Debutfilm ist eine (filmische) Rückkehr in den Iran,
die Widersprüchliches zu Tage fördert. Abseits den selbst geschaffenen
und auswärts gepflegten Klischees lässt sich im Iran die ebenso
selbstbewußte wie allen Isolationsbestrebungen der Staatsverwalter
abholde junge Generation (die auch die Bevölkerungsmehrheit bildet)
nicht mehr gängeln und benützt Gelegenheiten wie den Moharram als
Schlupflöcher zur Unabhängigkeit durch die eng gezogenen
Verhaltensgrenzen. Gleichzeitig sind die Kontrollorgane des
Gottesstaates allgegenwärtig, dessen Spitzel stets unterwegs. Dennoch
ist absehbar, dass die Hochzeit der Einschüchterer vorbei ist. Die
Kinder des Propheten wollen ihren eigenen Weg finden, das zeigt
"Children of the Prophet", ein aufschlußreicher Blick hinter die
Kulissen des Iran unserer Tage.
In Transsylvanien, dort, wo die durch die Bildungswerkstätte Kino
erleuchteten (allenfalls) Graf Dracula vermuten, wird (auch) Deutsch
gesprochen. Seit dem 11. Jahrhundert leben hier die Sachsen. Der alte
Mann, hoch in den Achtzigern, weiß, wie er sterben will. Im Einklang
mit der Natur soll sein Leichnam in seinem Garten den Tieren zum Fraß
angeboten werden. Nichts soll von ihm bleiben, sein Platz von Anderen
eingenommen werden. Wie aber hat er gelebt? Bilder, Überzeugungen:
Einer, der nichts gelernt hat. Dem seine Überzeugung, dass es Höher-
und Minderwertige auf dieser Welt gibt, keiner nehmen kann, schon gar
nicht der junge Mann, der den Film über ihn dreht. Auschwitz: für ihn
ein Ammenmärchen, die Vernichtung der Juden der Holocaust sei schon
"technisch" nicht machbar gewesen... Die Nachbarn "Zigeuner", denen der
nette Nachbar hilft, auch wenn er von der ältesten Tochter eine
Gegenleistung erwartet und die Sinnhaftigkeit von deren Existenz
bezweifelt. Bilder einstigen Glanzes, die schöne SS-Uniform, die der
alte Alte als Junger getragen hat. Die geschichtliche Größe der Sachsen
in seiner Version der Historie. Eine Mausefalle hat er entwickelt, in
der das Tier, der Schädling, sich letztlich selbst erhängt...
Und noch eine, die ihre Traditionen pflegt in Rumänien. Eine Landlerin.
Altösterreicherin aus kaiserlicher Tradition. Im 18. Jahrhundert wurden
die Landler, ursprünglich aus dem Salzkammergut, Karinen und der
Steiermark stammend, deportiert, weil sie dem protestantischen Glauben
nicht abschwören wollten. Die Alte pflegt ihren Garten, braut ihren
Schnaps, erklärt, dass es unvorstellbar für sie gewesen wäre, einen
Rumänen zu heiraten. Unten im Dorf singen sie die alten Lieder, ganz
so, als sei kein Tag seit „damals“ vergangen, die Jahreszahl auf dem
Kalender eine Schimäre...
„Einst süße Heimat – Begegnungen in Transsilvanien“
von Gerold Igor Hautzenberger, ein Höhepunkt der diesjährigen
Diagonale, stößt im neuen EU-Staat Rumänien auf gemeinsame Geschichte
und versucht, nach verschütteten Erinnerungen zu graben.
Starr hat das Gedächtnis der Alten ihre Überzeugungen und Traditionen
festgehalten. Bald schon – auf Begräbnissen spielen die Dorfmusikanten
noch, denn Hochzeiten gibt es keine mehr - wird nichts mehr von ihrer
Existenz künden ausser verlassene Gräber.