Die Angst, ein Tier zu werden und der Wunsch, ein Tier zu werden
Kurt Hofmann
Viennale 2015: Kurt Hofmann sprach für Die Linke mit Viennale-Direktor Hans Hurch.
19.10.2015
Auch die Viennale 2015 hat für jene, die es nicht erwarten können, die aktuellen Werke der "üblichen Verdächtigen" wie Woody Allen, Todd Haynes, Nanni Moretti,... im Angebot,. ebenso ist ausreichend für die Entdeckungs- und Experimentierfreudigen gesorgt, man lädt Hitchcocks bevorzugte Protagonistin Tippi Hedren als Gast, lockt mit zahlreichen Tributes und bietet schließlich zur alljährlichen Retro im Filmmuseum mit "Animals-Eine kleine Zoologie des Kinos'' eine Thematik an, deren Variationsreichtum wohl kaum zu toppen sein dürfte. Don't miss it! Das Festival findet von 22.0ktober bis 5. November 2015 in den Viennale-Kinos Gartenbau, Stadtkino im Künstlerhaus, (dem nun endgültig neu eröffneten) Metro, Urania sowie im Österreichischen Filmmuseum (Retro) statt. Infos, Kartenbestellungen: www.viennale.at
Die Linke: ''Wahrscheinlich ist das Tier als Metapher offener und widersprüchlicher, es sieht immer so zurück, wie es angesehen wird, nur etwas wilder, etwas unvernünftiger" notiert Georg Seeßlen in einer Vorbesprechung der kommenden Retro ''Animals-Eine kleine Zoologie des Kinos'' in ''Die Zeit" (Die Zeit Nr.38, 17.9.15, S. 58). Das Tier als Spiegel und auch als Projektionsfläche: eine vertraute Begegnung mit ungewissem Ausgang, also ein idealer Stoff für's Kino?
Hans Hurch: Das Kino beschäftigt sich mit den Tieren schon in seinen Anfängen, sie sind quer durch die Genres vertreten, Abenteuerfilm, Science Fiction, Animation, Essayfilm, in dokumentarischen Arbeiten, und ... die Liste ist endlos, und selbstverständlich darf dabei der Western und der Horrorfilm nicht fehlen. Kann man sich vorstellen, dass John Wayne im Film zu Fuß geht, mag man sich vorstellen, wie schmal der Grat zwischen der Angst, ein Tier zu werden und dem Wunsch, ein Tier zu werden ist ...? In das Tier wird viel an menschlicher Vorstellung hineininterpretiert, es steht als ''bester Freund'' ebenso zur Verfügung wie als ärgster Feind. Es wird von Menschen zur Waffe ummontiert wie bei Fuller, der von einem Rassisten trainierte "White Dog" und dient als Liebesobjekt wie für den einsamen Bauern in Thierry Zenos "Vase De Noces" dessen Sau ... Ich habe die Retro gemeinsam mit Alexander Horwath gewissermaßen im Pingpong-System programmiert, wir haben einander die "Bälle" zugespielt, es wären uns dabei die Ideen auch für eine noch umfangreichere Retro nicht ausgegangen ...
Die Linke: Leider gibt es diesmal kein Buch zur Retro ...
Hans Hurch: ... was Einsparungen geschuldet ist. lch bedaure das sehr, ausgerechnet bei dieser Retro, bei einem Thema mit so vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten. Für die nächste Viennale ist das Buch zur Retro aber wieder fix vorgesehen.
Die Linke: Der zum „Internationalfeiertag“ umgewandelte 26.Oktober sowie das Special Program „Griechenland – noch einmal mit Gefühl“ verweisen auf aktuelle Ereignisse, ohne dabei zu Schlagzeilenprogrammen im Zeichen einer vordergründigen political correctness zu verkommen…
Hans Hurch: …. weil es nur so, abseits von billigem Kleingeld, möglich ist, mittels eines Filmprogrammes einen unverstellten Blick zum einen auf Flucht, Migration, Vertreibung und Fremde und zum anderen auf Griechenland jenseits der Klischees zu werfen. Beim „Internationalfeiertag“ wird naturgemäß auch die unmittelbare Aktualität durch neue österreichische Dokumentarfilme wie „Last Shelter“, der dem Schicksal der Votivkirche-BesetzerInnen nachspürt, nicht vernachlässigt. Ein weiteres Beispiel wäre „Lampedusa im Winter“, das den Ort abseits der überregionalen Berichterstattung dabei zeigt, wie eine überschaubare Gemeinschaft, angeführt von einer couragierten Bürgermeisterin, die bisweilen einem Film von John Ford entstiegen scheint, versucht, Solidarität zu leben. Dem gegenüber stehen Filme, die abseits eines unreflektierten Haschens nach Rückmeldungen zum Tag imstande sind, gültige Aussagen zur Thematik zu liefern, wie Chaplins „The Immigrant“, „The Tramp“ und „The Vagabond“ (die zu einem Programm zusammengefasst sind), Kazans exemplarisches Auswanderer-Epos „America, America“ oder Jerzy Skolimowskis 1982 entstandener, weitgehend unbekannter, doch sehr zu empfehlender Film „Moonlighting“ über vier junge Polen im Londoner „Exil“…
Der von Vassily Bourikas kuratierte Schwerpunkt „Griechenland – noch einmal mit Gefühl“ versucht, sich über eine Auseinandersetzung mit dem griechischen Kino der letzten zehn Jahre auf eine Spurensuche in Sachen Griechenland zu begeben. In dem Special Program sind Filme zu sehen, die von sozialer Not, Ausgrenzung und Wut erzählen, aber gleichermaßen etwa auch das Porträt eines Chronisten der griechischen Populärkultur oder ein 1654 angesiedelter Historienfilm – ein Puzzle, dessen Gesamtbild dennoch Griechenland ergeben könnte…
Die Linke: In „Seit die Welt Welt ist“, dem neuen Film des österreichischen Filmemachers Günter Schwaiger wird das Leben eines Kleinbauern im Hochland von Kastilien gezeigt, der – inmitten der Krise - als „Selbstversorger“ versucht, so weiterzuleben wie seit jeher. Schwaigers Film lässt offen, ob das letztlich auch gelingen kann…
Hans Hurch: … und diese Ambivalenz, dieser berechtigte Zweifel sind auch eine große Stärke dieses Films. Bei aller nachvollziehbaren Sympathie, die Schweigers Film für das einfache Leben, für eine Existenz „zwischen den Zeilen“ erkennen lässt, wird doch deutlich, wie groß der Druck ist, dem „Einzelkämpfer“ wie der Kleinbauer Gonzalo ausgesetzt sind, und es scheint mir unvermeidlich, dass es da wohl auch ein Ablaufdatum gibt, selbst wenn es Gonzalo so weit wie möglich hinauszuzögern versuchen wird… Jedenfalls ein sehr schöner neuer Dokumentarfilm.
Die Linke: Nach der Vertragsverlängerung gab es – anlässlich der Sommerpressekonferenz – eine bemerkenswerte Ankündigung: für die letzten drei Jahre der Direktion Hurch würde jeweils eine Person von „außen“ , PhilosophInnen, DichterInnen,… deren Interesse für Film weit genug reicht, um sich einzumischen, eingeladen werden, Gegenpositionen im Programm zu setzen (einer der dabei genannten Namen war jener des Philosophen Slavoj Zizek, der ja auch regelmäßig über Film publiziert). Was ist aus diesem Plan geworden, bzw. wie weit ist er ausgereift?
Hans Hurch: Slavoj Zizek wäre sicherlich einer der „KandidatInnen“ für den Fall, dass diese Idee umgesetzt wird. Ein anderer Name, der mir in diesem Zusammenhang einfällt, ist Peter Handke, der für die Viennale ja schon die Reihe „Peter Handke geht ins Kino“ kuratiert hat und genau da kann man den Unterschied zu meinen Überlegungen für die Beteiligung eines/r Intellektuellen an der Gestaltung der Viennale der nächsten Jahre festmachen: es soll diese Person eben keine Reihe kuratieren, vielmehr soll er/sie einen Kontrapunkt setzen, in welcher Form das sein kann, wird man noch sehen… Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich sagen, dass der Plan weiter besteht, es aber noch dauern wird, bis er klare Konturen erhält…
Die Linke: Zum Abschluss wie jedes Jahr die Frage nach einem „Geheimtipp“ des Direktors…
Hans Hurch: Ob es einen „Geheimtipp“ im üblichen Sinne ist, weiß ich nicht, denn die ProtagonistInnen dieses Films sind wohl bekannt, aber „Valley of Love“ mit Gerard Depardieu und Isabelle Huppert in der Regie von Guillaume Nicloux hat mancherorts einen schlechten Ruf. Ein Paar, seit vielen Jahren getrennt, trifft einander wieder, weil der Sohn Selbstmord begangen hat und seine Eltern in einem Abschiedsbrief ersucht, eine Reise zu unternehmen, an deren Ende sie ihn „treffen“ würden. Die Eltern heißen Gerard und Isabelle, und damit fängt es schon an: Wie Gerard Depardieu und Isabelle Huppert, die das letzte Mal 1979, also vor 36 Jahren in Pialats „Loulou“ gemeinsam besetzt waren, miteinander umgehen, wie Nicloux, ähnlich seinem Film über Michel Houellebecq, Fiktion und Biographie geschickt vermischt, das ist zugleich bemerkenswert wie berührend. Auch „Loulou“ wird bei dieser Viennale wieder zu sehen sein. Man kann die beiden Filme getrennt, oder, und das ist möglicherweise für viele ein Anreiz, hintereinander, als Double Feature („Loulou“: Sa, 24.10., 23h, Gartenbau, „Valley of Love“: So, 25.10., 1h, Gartenbau) ansehen.
Wir danken für das Gespräch.