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Aussage gegen Aussage

Kurt Hofmann

Zu “Nader und Simin – eine Trennung” (Regie: Asghar Farhadi) Eine filmische Erzählung zwischen Wahrheit und Lüge. Über unterschiedliche Wahrnehmung bei unterschiedlicher sozialer Prägung. Kann es gar zwei gleichwertige Wahrheiten geben, die beide ebenso erlogen sind?

15.12.2011

Derlei in einem Land wie dem Iran zu fragen, ist ebenso couragiert, wie es spannende und unerwartete Antworten zeitigt. “Nader und Simin – eine Trennung” zählt zu den interessantesten Filmen, die derzeit in den Wiener Kinos zu sehen sind.

Nader hat die lange geplante gemeinsame (Aus-)Reise kurzfristig abgesagt, weil er seinen alzheimerkranken Vater nicht fremden Gesichtern ausgesetzt im Iran zurücklassen möchte. Simin, die alles unternommen hat, um die bürokratischen Hindernisse hiefür zu beseitigen, reicht darauf die Scheidung ein, wird zunächst abgewiesen und verlässt in der Folge die gemeinsame Wohnung. Nader, nunmehr alleinerziehender Vater der elfjährigen Termeh, ist mit der ebenfalls anstehenden Betreuung des dementen Vaters überfordert und sucht eine Pflegerin für diesen. Die tief religiöse Razieh übernimmt den Job, nachdem sie sich telefonisch bei der islamischen Hotline abgesichert hat, dass sie einen alten, geistig abwesenden Mann berühren darf… Als der heimkehrende Nader eines Tages seinen Vater alleingelassen und am Bett angebunden, hilflos nach einem Schlaganfall vorfindet, packt ihn die Wut und er kündigt der zurückkehrenden Razieh, die beteuert, das Haus nur für eine kurze Besorgung verlassen zu haben. Nachdem er sie auch noch des Diebstahls verdächtigt, ist diese nicht mehr zu beruhigen und wird von Nader, heftig widerstrebend, aus der Wohnung bugsiert. Sie fällt im Stiegenhaus. Am darauffolgenden Tag findet sich Nader, des Mordes an deren ungeborenem Kind beschuldigt, vor Gericht wieder. Die Schwangerschaft sei durch den Tschador nicht sichtbar gewesen, behauptet Nader. Sie habe ihn über ihren Zustand informiert, repliziert Razieh. Aussage gegen Aussage. Als Raziehs Mann, ein religiöser Fanatiker, schließlich auch noch Termeh vor der Schule bedroht, greift Simin ein. Sie will, um das Wohl des gemeinsamen Kindes besorgt, eine Lösung finden, welche die erbittert Streitenden das Gesicht wahren lässt, zumindest jedoch Zeit gewinnen. Doch Nader begreift ihre Intervention als feinseliges Eingreifen der Getrennten…

“Nader und Simin – eine Trennung”: ein Konfliktfall wird referiert, der ein bezeichnendes Bild auf den Iran unserer Tage liefert. Da ist der gutsituierte Nader, ein Intellektueller, dessen urbane Wurzeln in Teheran so gut wie in London liegen könnten, wäre da nicht der Konflikt mit Simin, ein Machtspiel, in dem er sich, trotz aller Distanz zum Gottesstaat, doch auf dessen Frauen benachteiligende Gesetze  verlässt… Und da sind Razieh und ihr Mann, vom Land kommend, gering gebildet, tiefreligiös… Mehr noch als deren Behauptungen empört Nader das Eindringen der staatlichen Ideologie in seine Lebenssphäre. Freilich kann er sich darauf verlassen, dass dem Richter die Klassenzugehörigkeit wichtiger ist als das religiöse Einverständnis, denn dass der eben aus dem Gefängnis entlassene arbeitslose Gatte Raziehs vor Gericht herumbrüllt und meint, es bedürfe keiner Beweisführung, denn es läge doch alles auf der Hand, macht diesen vor Gericht zum verhaltensauffälligen Regelverächter, dessen provinzielle Rage nervt, da hilft die Gläubigkeit nicht weiter… Und da ist die Frage nach Wahrheit oder Lüge, die, wie sich herausstellt, nicht so einfach zu beantworten ist, da alle Beteiligten die „Wahrheit“ zu ihren Gunsten manipulieren…

Wer glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben, irrt: Nicht weniger behauptet “Nader und Simin – eine Trennung” und somit lässt diese iranische „Rashomon“-Variante den Rückschluß vom Privaten aufs ganz Große zu, ohne ihn zu betonen, indem sie scheinbar stets auf den vorgegebenen Pfaden bleibt. Ein subversiver Film, fürwahr.