Am Puls der Zeit
Kurt Hofmann
Zur Diagonale 2012
29.03.2012
Dass der Diagonale mit A1 ein wesentlicher Sponsor abhanden gekommen ist, mag man den Folgen der Telekom-Affäre zuschreiben, der Festivalleiterin Barbara Pichler hätten derartige Erklärungsversuche ohnedies nicht weitergeholfen. Sie wollte trotz reduziertem Budget ein vollwertiges Programm anbieten, und das ist ihr auch gelungen. Naturgemäß dienten da die Festivalerfolge von herausragenden Filmen der Jahresbilanz wie Markovics' „Atmen“, Schleinzers „Michael“ oder Beckermanns „American Passages“ (s. a. „Die Linke“) als Vorzeigemodelle, aber auch die Premieren konnten sich durchwegs sehen lassen, und die den Festivalgästen Avi Mograbi und Ferry Radax gewidmeten specials fanden ein interessiertes und diskussionsfreudiges Publikum. Die Diagonale blieb auch in ihrer fünfzehnten Ausgabe mit ihren Schwerpunktsetzungen am Puls der Zeit.
Jemandem nach dem Leben trachten, Zwietracht säen, eine Tracht Prügel beziehen: schon die Sprache ist verräterisch. Hinter der Inszenierung von Dirndl und Lodenjanker für die touristische Außenwelt, die zahlenden BesucherInnen aus aller Herren/Frauen Länder, steckt Kalkül. Eintracht, Ein-tracht: "Wir tragen Niederösterreich" verkündet der mächtige Landesfürst Erwin Pröll und meint damit wohl in autokratischer Manier seine Partei, die ÖVP, signalisiert aber auch, wie Kleider im ländlichen Umfeld Leute machen und zu "Uniformierung und Abgrenzung dienen. Othmar Schmiderers "Stoff der Heimat" (Österreich 2011) interessiert sich zum einen für die verlogenen, geschichtsrevisionistischen Rituale, die niemals hinterfragt werden. Wenn etwa in Tirol die Schützen aufmarschieren und an "Freiheitskämpfer" wie Andreas Hofer erinnern, für den Menschenrechte ausländisches Teufelswerk waren, welche Glauben, Kaiser und Vaterland in den Grundfesten bedrohten, oder der "Kärntner Abwehrkampf" gefeiert wird und PolitikerInnen aller Coleur einträchtig dem rechten Mythos zuklatschen, dann wird die Tracht zur Uniform, zum Stoff, aus dem die reaktionäre Gesinnung ist. "Mir san mir" heißt es in dieser Angelegenheit im benachbarten Bayern, doch ebendort findet Schmiderer ein schwules Paar, das Mitglied im örtlichen Trachtenverein geworden ist. Ja, derf denn des sein? Zum anderen, meint Schmiderer, der im Salzburgischen aufgewachsen ist, dort, wo US-TouristInnen immer noch "Edelweiß, Edelweiß" singen und an alles Ecken und Enden die Trapps vermuten, muss man die Tracht aus der Geiselhaft der Rechten befreien. Freilich wollten diese alles, was das genormte Bild stört, schon in den zwanziger Jahres des vergangenen Jahrhunderts aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannen, wie lange vor Hitler entstandene Pamphlete Salzburger Trachtenvereine, denen jüdische Frauen im Dirndl ein Dorn im Auge waren, belegen.
Doch wenn österreichische Muslimas mit Kopftuch und Tracht, lachend und selbstbewusst, die krachledernen AusgrenzerInnen daran erinnern, dass deren Deutungshoheit ein Ablaufdatum hat, keimt Hoffnung auf. Dass dem urbanen Betrachter von Othmar Schmiderers "Stoff der Heimat" dennoch vieles suspekt bleibt, liegt wohl in der Natur der Sache.
1934 bei einem (gescheiterten) Putschversuch durch Nazis ermordet, gilt der austrofaschistische Diktator Engelbert Dollfuß vielen in der ÖVP als Märtyrer, gar als Freiheitskämpfer. Sein Bild hängt auch immer noch im Parlamentsklub dieser Partei, der stellvertretende Nationalrats-(Parlaments)Präsident aus deren Reihen hat kürzlich einem Abgeordneten für die Verwendung des Begriffs "Austrofaschismus" einen Ordnungsruf erteilt. Erst im Vorjahr, 73 Jahre nach dem Ende der austrofaschistischen Diktatur, wurden überlebenden Opfern des Regimes Entschädigungen zugesprochen und Urteile kassiert. Dass die Austrofaschisten den Hitlerfaschisten den Weg ebneten, darf ebensowenig gesagt werden wie auch eine Aufarbeitung dieser Jahre nach wie vor unerwünscht ist.
Nun aber, in der Experimentierfilm-Abteilung der "Diagonale", Benjamin Swiczinskis Animationsfilm "Heldenkanzler". Da wäre ein kleinwüchsiger Gernegroß, der eine nach Beratung durch sein italienisches Vorbild im Schwarzhemd erstellte Checklist für Diktatoren Punkt für Punkt zu erfüllen bemüht ist. Immer wieder nimmt er Anlauf, um dann vor immer neuen Hürden zu stehen. Es ist nicht leicht, ein schwerer Held zu werden... Dollfuß und Mussolini als Protagonisten einer Satire: es ist der Moment der Demaskierung, wenn die Posen der Faschisten dem Gelächter preisgegeben werden. Was einst bedeutenden Regisseuren wie Lubitsch oder Chaplin gelang: derlei Vorbilder wären für den dreißigjährigen Benjamin Swiczinski wohl unerreichbar, doch könnte er sich bei seiner Dollfuß-Satire durchaus an Franz Novotnys 1977 entstandenem Fernsehspiel "Staatoperette" orientiert haben - damals war es ein veritabler Skandal, Dollfuß sowie den "Prälaten ohne Milde" und ArbeiterInnenmörder Ignaz Seipel ("Keine Gnade!" zu persiflieren.
"Alles!" war einst die Antwort Tucholskys, auf die Frage, was Satire denn dürfe. Swiczinskis ebenso witzige wie geschichtsbewusste Arbeit "Heldenkanzler" macht Lust auf mehr. Ernsthaft, etwas mehr an scharfem und genauem Witz könnte der stets zu Schwermut neigende österreichische Film durchaus vertragen...
...wie auch der heurige Eröffnungsfilm "Spanien" (Österreich 2012) von Anja Salomonowitz einmal mehr unter Beweis stellt. Sava, ein Moldavier, der für die illegale Fracht nach Spanien viel Geld bezahlt hat, findet sich nach einem Busunfall in einem Feld in Niederösterreich wieder. Dort wollte er nicht hin, verständlicherweise. Vom Ortspfarrer als Holzschnitzer engagiert, trifft er in der Kirche auf die Ikonenmalerin Magdalena (!). Deren Exmann Albert, ein Fremdenpolizist, hat sie einst verunstaltet und verfolgt sie nun mit wahnwitziger Eifersucht. Da ist noch Gabriel (!), ein spielsüchtiger Kranfahrer, ein geborener Verlierer, am Automat wie im Leben. Einsame, Entfremdete allesamt, unvermeidlich, dass das Schicksal zuschlägt...
Dass Anja Salomonowitz, eine der größten Begabungen des österreichischen Films, bei ihrem ersten langen Spielfilm zuviel wollte und gemeinsam mit Dimitré Dinev ein klischeeüberladenes Drehbuch verfasst hat, dessen Umsetzung statt des erhofften Gegenentwurfs zum landesüblichen Kinorealismus ein Gemisch aus erdenschweren Dialogen und mystischer Symbolik ergibt, ist bedauerlich, doch dem Scheitern ist der ambitionierte Versuch implizit. Frei nach Beckett: Wieder versuchen, besser scheitern!
Als Kameramann und Co-Regisseur dreht der exilierte "Altösterreicher" Charles Korvin 1937 an der Seite der Internationalen Brigaden den halbstündigen Dokumentarfilm "Heart of Spain", in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts ist Korvin, der als Schauspieler u.a. mit Hitchcock, Dieterle und Stanley Kramer gedreht hat, blacklisted. Ihm war das diesjährige Historische Programm von Synema gewidmet.
1948 ist er in einer zentralen Rolle in Jaques Tourneurs an Originalschauplätzen gedrehten "Berlin Express" (USA 1948) zu sehen.
Ehemals führend in der Widerstandsbewegung tätig, wird Dr. Bernhard, der Leiter einer Fact-Finding-Mission, in Frankfurt von einer Bande im Untergrund agierender Neonazis entführt. Vorbild dieser Gruppe dürften die "Werwölfe" (denen sich auch Lars von Triers 42 Jahre später entstandener Film "Europa" widmete) gewesen sein, eine verstreute Terrorgruppe fanatischer Nazis. "Berlin Express", ein spannender Thriller voll überraschender Wendungen, ist natürlich kein analytisches Werk, aber ein beabsichtigtes Nebenprodukt von Tourneurs Film ist der unverklärte Blick auf das befreite Nachkriegsdeutschland. Die Nazis, sie sind nicht verschwunden oder geläutert - keineswegs. Erst sechs Jahre später läuft "Berlin Express" in den deutschsprachigen Kinos an, entsprechend umsynchronisiert. Die Naziverschwörer sind nun eine Kunstfälscherbande...
Die Geschichte dieser Kinoauswertung, eine Fälschung, ist ein neuer Nachspann, der ein bezeichnendes Licht auf die schon in "Berlin Express" geschilderte Stimmungslage im eben "entnazifizierten" Deutschland wirft.
Die Halle im Tiefgeschoß: menschenleer. Kleine gelbe Wagen beginnen loszurollen. Eine computeranimierte Stimme warnt: „Achtung, automatischer Transport! Bitte gehen Sie zur Seite!“ Science Fiction: All dies wirkt wie der Beginn eines Hollywood-Movies, in dem sich die Maschinen anschicken, die Herrschaft der Welt zu übernehmen, und doch ist es der Beginn von Nikolaus Geyrhalters neuester Arbeit „Donauspital“, die das SMZ Ost, ein Spital im 21. Jahrhundert, ausgerüstet für alle Eventualitäten von der Wiege bis zur Bahre, porträtiert. Jeder Handgriff scheint perfektioniert, während einer Operation überwacht ein Mitglied des Operationsteams die Vorgänge auch noch am Monitor – umfassende Kontrolle. Für die schnelle Eingreiftruppe bei Fällen höchster Priorität ist ein Hubschrauberlandeplatz vorhanden.
In der Krankenhausküche rinnt roter Saft aus einem Rohr. Sauce vom Mischpult, denkt man, während schon die vom Fließband rollenden Teller, wartend auf ihre Befüllung, gezeigt werden. Automation, Überwachung, Fließband, Hubschraubereinsatz. Was kann da noch an Ungeplantem passieren: Eine Nachbesprechung enthüllt, wie sich die automatisch geregelte Stationseingangstür für das wegen akutem Herzalarm eingetroffene Notfallteam nicht geöffnet hat, weil das computergeregelte Zeitfenster nur auf wenige Sekunden eingestellt war. Daran verzweifelt die Stationsschwester, die nicht weiß, was sie zuerst in Angriff nehmen soll: die Reanimierung oder die Türöffnung. Mensch und Maschine. Die falsche Einstellung: erst bei der Maschine, dann bei der nicht codierbaren Krankenschwester. Und dann die Sprache: Befremdlich, doch nachvollziehbar, wenn das krebsdurchwucherte Gewebe in der Pathologie in high grade und low grade aufgeteilt wird. Aber was ist von „Zentralisolation, unreine Seite“ zu halten? Da sind wohl MenschenrechtsaktivistInnen und TheologInnen gleichermaßen gefordert … Apropos TheologInnen: Die Krankenhausseelsorge des SMZ Ost hat für das unbillige, weil potentiell brandstifterische Verlangen christlicher KrankenhausbenützerInnen und Angehöriger, zu Allerseelen oder zum evangelischen Totengedenken ein Kerzerl anzuzünden, eine Lösung gefunden. Die Kerzen werden virtuell zum Leuchten gebracht! Freilich, nicht alles ist durch das (weitgespannte) Netz einfang- bzw. umsetzbar, wie das in „Donauspital“ vorgeführte Beispiel der Alten im Sterbebett, welche die Krankensalbung (der im Volksmund einst übliche Ausdruck „letzte Ölung“ wurde ja kirchlicherseits mittlerweile tabuisiert, ist aber dessenungeachtet bei den Betroffenen immer noch weit verbreitet) empfängt, zeigt, die den Pfarrer und die Klosterschwester anfeuert: „Jetzt müaßt euch schon a weng tummeln!“ …
Den jährlich 2000 Geburten stehen 1000 Todesfälle gegenüber, 2:1, das ist eine herzeigbare Bilanz für den Krankenhausmulti im 22. Bezirk, der in zwölf Monaten 50.000 PatientInnen stationär und 400.000 PatientInnen ambulant aufnimmt.
Nikolaus Geyrhalters „Donauspital“ wertet nicht, sondern zeigt die Maschine Spital als Teil der allgemeinen Maschine. Überwachung, Kontrolle, Automation, Hubschraubereinsatz. Der Apparat wird bedient, allerdings, es kommt darauf an, von wem und zu welchem Zweck. Ein Rädchen grift ins andere. Modern Times.