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Der Schein trügt

Kurt Hofmann

Zur Viennale 2021 (21. - 31.10.2021)

18.10.2021

Auch wenn die pandemische Entwarnung fehlt, kann die Viennale doch deutlich entspannter in ihre neue Saison gehen. Dort wartet auf ein neugieriges Festivalpublikum neben neuen Filmen „üblicher Verdächtiger“ wie Francois Ozon, Lav Diaz, Paul Verhoeven, Hong Sangoo, Bruno Dumont, Apichatpong Weerasethakul,... viel Entdeckenswertes und Wieder-Entdeckenswertes.
Die Retro im Österreichischen Filmmuseum ist diesmal Amos Vogel gewidmet, oder vielmehr seiner Idee von „Film As A Subversive Art“ in Zeiten wie diesen.
In den Festivalkinos Stadtkino im Künstlerhaus, Urania, Metro und Österreichisches Filmmuseum gilt die 2,5G-Regel (geimpft, genesen oder PCR-Test, der mindestens bis Filmende gültig ist), im Gartenbaukino gilt die 2G-Regel (geimpft oder genesen). In allen Bereichen der Kinos ist ein Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Maske zu tragen.
Vorverkaufsstelle: Gartenbaukino. Infos, Onlinetickets: viennale.at

Im Anschluss einige Tipps aus einem ebenso vielfältigen wie spannendem Programm.

Hans ist homosexuell und das gilt unter den Nazis als ebenso strafwürdig wie in der Bundesrepublik Deutschland, dafür sorgt schon der berüchtigte Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern unter Strafe stellt. So „übersiedelt“ Hans 1945 vom KZ ins Gefängnis, nun hat er zwar – auf dem Papier – Rechte, viel geändert hat sich für ihn jedoch nicht. In der Zelle begegnet er einem, der ihn erst sogar attackiert, aber bald entdeckt, dass beide Opfer eines unbarmherzigen (Gefängnis-)Systems sind. Über die Jahre hinweg kommen sie einander näher.
Sebastian Meises „Grosse Freiheit“ (Östereich/Deutschland 2021) ist mehr als ein Gefängnis-Drama und geht auch über die Schilderung der Diskriminierung und Ausgrenzung Homosexueller (gesetzlich in der BRD bis in die 1970er Jahre) hinaus. Zum einen, weil faschistische Kontinuitäten – hier eben am Beispiel des Strafvollzugs – im Nachkriegsdeutschland namens BRD sichtbar werden, zum anderen, weil Meise ebenso sensibel wie beharrlich vorführt, dass Menschlichkeit und Zuneigung im Knastsystem (welches bekanntlich nur eine Unterabteilung der „Großen Ordnung“ ist...) nur durch konsequenten Regelbruch möglich ist. Der aber versteckt, in kleinen Gesten, unerlaubten Hilfestellungen, später gemeinsamen Codes erfolgt. Wie zwei einander entdecken, abseits eines stumpfen und stets überwachten Alltags, aber auch der – vagen – Hoffnung auf die „Grosse Freiheit“ da draussen, wie sie ihre eigenen Freiheiten definieren, das erzählt Sebastian Meise einfühlsam und nachdrücklich, nicht zuletzt dank seiner intensiven Protagonisten Franz Rogowski und Georg Friedrich.

Zufälligkeiten: Wie Meiko während einer Taxifahrt mit ihrer besten Freundin entdeckt, dass deren neuer Freund, von dem sie schwärmt, ihr ehemaliger Freund, ihre große Liebe, ist. Wie Nao einen Uniprofessor, der auch Autor eines erotischen Bestsellers ist, öffentlich bloßstellen will, weil er ihren Freund durchfallen ließ, bis sie jenen – und damit sich selbst – besser kennenlernt. Wie Aya und Natsuko einander nach zwanzig Jahren wiedertreffen und vermeinen, die jeweils andere, wie schon zu Schulzeiten, vertraut zu kennen – eine Schimäre...
„Guzen To Sozo“ (Wheel Of Fortune and Fantasy; Japan 2021; Regie: Hamaguchi Ryüsuke) ist ein Episodenfilm über den Schein, der trügt. In allem Ausgesprochenen ist stets auch das Nicht-Gesagte, der Subtext, präsent und die Täuschenden sind immer auch die Ge- und schließlich Enttäuschten. „Wheel Of Fortune and Fantasy“ erweist sich als raffiniertes Vexierspiel der Gefühle, in kammerspielartigen Szenen verdichtet.

Auf einer geteilten Leinwand ist der Tagesablauf eines älteren Ehepaars zu sehen. Der Mann, ein Schriftsteller und Filmkritiker, arbeitet an seinen Lebenserinnerungen, seinem opus magnum. Die Frau steht ratlos in einem Laden, weiß nicht, wo sie ist und was sie dort will. Später wird der Mann, als er ihr Verschwinden bemerkt hat, sie ins Haus zurückholen. So sehr er weiß, dass sie im Vergessen versunken ist, genügt es ihm zu wissen, dass sie noch weiß, wer er ist... Das ändert sich, als er entdeckt, dass sie sein Manuskript in das Klo hinuntergespült hat... Der hinzugezogene Sohn schlägt eine Heimunterbringung der Mutter vor, doch der Vater will, ungeachtet der Konsequenzen, nichts am Status quo ändern... Vielfach sei die Mutter schon getestet worden, es gebe Atteste, ihre Krankheit betreffend, bescheidet er dem Sohn auf dessen Fragen, als dieser insistiert, wird offenbar, dass der Vater lügt... Nichts sehen, nichts hören, nichts reden: der Schriftsteller ist ein Ignorant aus Liebe, erfindet sich eine Geschichte der Kontinuitäten, wo nur noch Leere ist.
Caspar Noé verschließt sich in seinem Alzheimer-Drama, anders als Michael Haneke in „Amour“, einem dramaturgisch feinziselierten Aufbau. Da sind Leerstellen, die nicht ausgefüllt, Wunden, die nicht verschlossen werden. Da ist ein unsichtbarer Feind, der nicht besiegt werden kann... „Vortex“ (Frankreich 2021).

Die Zeit ist aus den Fugen: In einem Jahr, nicht ferne den pandemischen Zeiten, ist JJ, ein führender US-Militär, damit beschäftigt, die Welt zu retten. Das geht nicht ohne Kollateralschäden... JJ's Bruder ist ein Widerstandskämpfer (beide werden von Ethan Hawke verkörpert), welcher in einem Verlies gefangengehalten und gefoltert wird. Bewaffneter Sachzwang vs. Gesinnung: davon erzählt Abel Ferrara in seiner Dystopie „Zeros and Ones“ (Deutschland/GB/USA 2021) und lässt an seiner Skepsis über den Zustand der Welt keinen Zweifel.
Der gefangene Bruder kann geortet werden, er ist klar im Bild zu erkennen. Wenn JJ auf seinem Smartphone mitverfolgt, wie der wesensfremde Bruder Verhören unterzogen und misshandelt wird, ist das ein großer Moment in Ferraras Film. Zwar ermöglicht es ausgefeilte Technik (Satellitenbeobachtung des Feindes) zu sehen, was geschieht, doch das unmittelbare Eingreifen ist JJ versagt. Gewohnt, maschinenhaft für vage benannte Ziele zu agieren, sieht er da einem zu, der weiß, weshalb er in Gefangenschaft ist und kann ihm, dem Bruder, weder helfen noch ihn verstehen...

Mit sechsundzwanzig Jahren gründet Amos Vogel gemeinsam mit seiner Frau Marcia den Filmclub „Cinema 16“, dessen Einfluss Generationen junger FimemacherInnen ebenso prägt wie er die Neugierde von Cinephilen weckt, die mehr sehen wollen, als es der Monopolist Hollywood zulässt. Als Verleiher sorgt Vogel dafür, dass ein interessiertes bzw. zu interessierendes Publikum über jene hinaus, die er bereits „angesteckt“ hat, diese Filme auch anderswo, in Schulen, Museen und Kulturvereinen sehen kann. Sein Standardwerk „Film As A Subversive Art“ ist bis heute eines der einflussreichsten Bücher über ein wider den Stachel lökendes Kino.
Die Filmmuseums-Retro „Film As A Subversive Art 2021“ setzt nun – wohl durchaus im Sinne Amos Vogels – nicht bei den alten (immer noch wichtigen) Antworten an und bewegt sich daher auch nicht auf den Spuren von dessen filmischen Empfehlungen und Vorlieben, sondern hinterfragt, was heute ästhetisch wie politisch subversiv sein könnte. Die (Gast-)KuratorInnen Nicole Brenez, Go Hirasawa, Kim Knowles, Birgit Kohler, Roger Koza und Nour Ouayda untersuchen aus verschiedenen Blickrichtungen, wie Film sich heute radikal definiert – ein spannendes Unterfangen.

Kurt Hofmann