Was noch zu sagen wäre
Kurt Hofmann
Zum Tod von Manfred Rakousky
03.09.2023
„Bring mir was zum Lesen!“: das war Manfreds Wunsch an mich vor einem Besuch im Krankenhaus. Aber was er da am Telefon sagte, war kein Wunsch, vielmehr ein Verlangen, entstanden aus einer lebenslangen Neugier an Texten, über die man mehr über den Zustand der Welt erfahren könnte. Und diese Neugier war stets verbunden mit einer Neugier nach Menschen, auf die er offen zuging. Sich austauschen, ohne sich dabei täuschen zu lassen.
Letzte Worte über einen, den man gekannt hat, einen langjährigen Freund gar: das ist nicht unproblematisch. Was könnte man dabei vergessen haben, was hätte man besser weggelassen?
Das Große Ganze und die kleinen Einzelheiten: eines muss man dabei vernachlässigen.
Zum Großen Ganzen: Sich nicht damit zufrieden geben, mit dem, was da ist. So hätte ein Lebensmotto Manfreds lauten können. Und ein anderes, profan, doch zutreffend, ist dem Slogan eines deutschen Spartensenders, konkret eines Sportsenders, entlehnt: Mittendrin statt nur dabei... Da war der Wunsch nach Veränderung, nach einer anderen, gerechteren Gesellschaft. Und da war das unbändige Verlangen, sich einzumengen, wenn sich, selten genug, etwas bewegte oder zu bewegen schien.
Wer hierzulande einen radikalen Anspruch hat, der/die kann ihn allenfalls behaupten, nicht aber einlösen.
Die häufigen Reisen des jungen Manfred nach Italien, wo es für eine unentwegt diskutierende (und agierende) Radikale Linke stets um Alles oder Nichts ging, haben ihn geprägt. In Bologna gab es den Sender „Radio Alice“, der etwa in seiner Ausgabe vom 20.3.1976 das „Kommunique Nr.2“ aus dem Gefängnis von St.Giovanni veröffentlicht, in dem einer, den sie zum Terroristen erklärt haben, entgegnet: „Einen Anschlag gestehe ich, verübt zu haben: den Anschlag auf die Trennung des Lebens von den Wünschen, auf den Sexismus in den individuellen Beziehungen, auf die Reduktion des Lebens auf eine Leistung gegen Lohn.“ (Kollektiv A/traverso: Alice ist der Teufel – Praxis einer subversiven Kommunikation; Merve Verlag, S.57)
Zurückgekehrt nach Österreich erlebt Manfred die besetzte Arena: „Nix is schena wia unsa Arena!“ hört er da von den Arenaut:innen...
Aber auch, wenn es bei der Besetzung eines ehemaligen Schlachthofes, der zuvor von den Wiener Festwochen bespielt wurde, nicht um die gesellschaftlichen Umwälzungen geht, für die Jugendlichen, die hier, unterstützt von Künstler:innen ein völlig neues Projekt entwickelt haben, geht es dennoch um viel: es gibt für sie im Wien der 70er Jahre keinen Platz, geschweige denn einen Ort, wo sie selbstverwaltet „ihr Ding“ machen können. All dies wird bald durch die Stadt Wien beendet, doch ein Statement ist gesetzt – niemand kann so tun, als wäre nichts gewesen.
Der politische Mensch: Wissend um die politischen Realitäten in diesem Lande einen Anspruch stellen und der heißt allemal Veränderung. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt: Da sind die Hausbesetzungen in der Gassergasse und der Ägidigasse, da ist die von Manfred mitorganisierte Wiederbesetzung des Amerlinghauses, als dieses kommerziell zu versanden droht, da sind viele von ihm mitorganisierte Demos und da sind vor allem seine medienpolitischen Aktivitäten.
Schon beim „Piratenradio“ ist er mit dabei. Ab 1989 wird im Medienzentrum der TU die „ANNA“ (vollständiger Name: Andere Nachrichten) hergestellt, die alternative Nachrichten vermittelt, abrufbar unter dem eigenen Anschluss oder in der Telefonzelle (once upon a time in der handylosen Zeit).
Ab 1990 steht eine Antenne auf dem Dach der TU: ab jetzt wird im Medienzentrum „Radio TU“ produziert. Ein täglicher Schwerpunkt: das linke „Mittagsjournal“ im Kontrast zum allseits bekannten des ORF-Radios – ein aufschlussreicher Vergleich. Sichtbar wird: Die Welt ist nicht so schematisch einordenbar, wie es die offiziellen Medien suggerieren, nichts ist „alternativlos“...
Die TU ist für Manfred über Jahre hinweg ein wichtiger Ort, von dem aus er operiert. Auch der TU-Club, den ein Kollektiv (weitgehend) autonom betreibt, eignet sich durch sein offenes Konzept zu Vernetzungszwecken. Hier trifft sich die Szene, auch kulturell ist einiges los – von Elliott Sharp bis HC Artmann kommen viele in den TU-Club, bis er an internen Zwistigkeiten, die prompt von rechten Fachschafter:innen für ihre Zwecke instrumentalisiert werden, die sich den TU-Club als „Wohnzimmer“ der TU-Student:innen (und zwar ausschließlich für diese – ein „ständisches“ Konzept) vorstellen. Am Ende trifft man einander vor Gericht...
Und da ist das TU-Kino, in dem Manfred und ich jahrelang zusammen gearbeitet und über 18 Jahre im Stück den „Filmtag Kuba“ veranstaltet haben – das war auch ein klares Statement der Solidarität mit dem revolutionären Kuba. Von mir kuratiert, sorgte Manfred dafür, dass es – Jahr für Jahr – auch ein Fest wurde.
Einige Jahre lang ist Manfred Bezirksrat der Grünen. Seine Beliebtheit im Sechsten Bezirk reicht weit über die Parteigrenzen hinaus. Da ist einer in Detailfragen sattelfest und sich nicht wegduckend. So überrascht es nicht, dass die Bezirksgruppe der Grünen ihn vor den nächsten anstehenden Wahlen als Spitzenkandidat nominieren will. Durch eine gezielte Intrige verhindern das grüne Funktionäre: ein Linker als Spitzenkandidat – unvorstellbar...
Wo es linke Einigungsprojekte gibt, ist Manfred mit dabei, doch so mancher Aufbruch ist bald wieder vorbei. Das Scheitern – bei vielerlei Gelegenheiten – gehört zum politischen Alltag. Aber Manfred hält es mit dem Beckett’schen „Besser Scheitern“, dem immer wieder auf’s Neue Ansetzen.
Da ist einer, den alle kennen und der trotzdem allseitiges Vertrauen genießt. Einer, dessen umfangreiches theoretisches Wissen stets zu wenig genutzt wurde. Einer, der innerhalb, vor allem aber außerhalb der Institutionen versucht, etwas zu bewegen – Schritt für Schritt. „Aber wenn er geht, fehlt er!“ heißt es einmal bei Brecht und einer wie Manfred könnte auch gemeint sein – wir werden ihn vermissen.