Gouvernanten
Kurt Hofmann
Locarno – ein notwendiger Nachtrag
19.08.2022
Wann, in welcher Situation ist es sinnvoll, Andere zu warnen? Denkend an den kommenden Herbst und eine mögliche neue Infektionswelle, ist da eine Antwort rasch zur Hand.
Überraschenderweise hat jedoch auch das Filmfestival Locarno Sorgen um das Befinden seiner BesucherInnen. Bei zahlreichen Filmen (übrigens auch beim diesjährigen Siegerfilm) findet sich im Katalog folgender Warnhinweis: „This film features scenes that could shock the sensitivity of some viewers.“
Nun ist hierzulande, wann auch Jahrzehnte zurückliegend, manchen wohl noch die Besorgnis der Katholischen Filmkommission („Nur für die reifere Jugend geeignet!“) in Erinnerung.
Ein anderes sind die aktuell in den USA durch fundamentalistische „Parents“ ausgesprochene Warnhinweise gegen Filme, die „christliche Werte“ oder zarte Kinderseelen bedrohen könnten (und von vielen als Qualitätshinweis der Filme betrachtet werden... ).
Doch aufgeregte Gouvernanten mitten in Europa, bei einem A-Festival? Zur Charakteristik von FestivalbesucherInnen: sie kommen ins Kino, um nicht nur den Film zu sehen, der dann die Jahresbilanz ausmacht, sondern wählen aus, diskutieren häufig untereinander das Gesehene.
Sie sind adult viewers, durchaus imstande, den Kinosaal zu verlassen, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Es müssen daher auch keine Sanitäter im Saal sein, wenn ein Film „schockierende Szenen“ enthält...
Das Festival in Locarno könnte zukünftig aber durchaus noch gefährlicher (subversiver) werden. Dann wäre allerdings kein Warnhinweis, sondern ein Ausrufezeichen angebracht.