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Risse im Gemäuer

Kurt Hofmann

Zur Diagonale 2023

29.03.2023

Das war die letzte von Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber zusammengestellte Diagonale. Keine Frage: die Beiden werden, mit ihrem Mut, neue Wege zu gehen und ihrem Sinn für Innovatives fehlen.
Auch in diesem Jahr kuratierten sie wieder ein vielfältiges Programm abseits der Routine.

Los Angeles in einem Tonstudio: Manus, das selbsternannte Genie, will hier den Audiokommentar zu seinem neuen Film , naturgemäß ein Meisterwerk, einsprechen. Die Filmkritikerin Babette möchte ihn, als störendes Element aus dem Off, dazu befragen, liegt naturgemäß aus der Sicht von Manus immer falsch, lässt sich aber dennoch nicht von ihm beirren. Als Drehort hat Manus den Rohrwald bei Korneuburg ausgesucht. Dort findet man die sogenannten Schwedenlöcher – Erdställe, in denen sich Familien während des Dreißigjährigen Krieges versteckten...
Soweit die Grundkonstellation in „Razzennest“, ein Horrorfilm mit historischem Anliegen (Regie: Johannes Grenzfurthner; AT 2022), der durch die Trennung von Bild und Tonspur funktioniert. Während Grenzfurthner auf der Tonspur ein Furioso entfacht und ungeniert zwischen den Jahrhunderten hin- und herbalanciert, seine gegenwärtigen Figuren mit den Kontrahenten im Dreißigjährigen Krieg konfrontiert, ist Angst und Schrecken (scheinbar) ausgespart, die Kamera folgt den historischen Spuren oder was noch von ihnen übrig geblieben ist. Immer wieder zeigt Grenzfurthner die unzähligen „Marterln“ in der Gegend, die nicht nur auf religiösen Wahn, sondern auch auf „Marter“ verweisen, die parallel in der Tonspur beschworen wird...
„Razzennest“ macht Spaß, auch im Sinne von „Vergnügen am Denken“, weil Grenzfurthners Film, obwohl er alle Genreelemente bedient und der Trash nicht zu kurz kommt, im Schrecken auch den Horror des Krieges sichtbar werden lässt.

Die alte Pospisil geht allen auf die Nerven: ihrem Sohn, der endlich die Wohnung haben will, der neugierigen Hausmeisterin, die „nur helfen“ will und dennoch von der Pospisil nicht in die Wohnung gelassen wird und der Polizei, welche die Pospisil wegen „merkwürdiger Geräusche“ in der Wohnung zu einem Einsatz genötigt hat...
Die Wohnung, das ist der Rückzugsort der alten Pospisil, die über die Jahre hinweg zu einer Menschenfeindin geworden ist. Vermutlich hat sie ihre Gründe, aber ihr Misstrauen gegenüber allem, was sich außerhalb ihrer vier Wände bewegt, wächst geradezu stündlich. Die Wohnung ist ein wenig verwahrlost und so, verwundert es nicht, wenn sich plötzlich ein Riss in der Tapete zeigt. Ameisen kriechen heraus und werden zum neuen Feindbild der Pospisil, welche diese, teils fachgerecht, teils brachial, zu bekämpfen versucht... Der Grant der Pospisil steigt, aber auch der eben zugekleisterte Riss bricht wieder auf. Nächtens hört die Pospisil dumpfe Geräusche. Hinter der Tapete wird ein seltsames Etwas sichtbar...
In „Der Riss“ (AT 2022; Regie: Paul Ertl) wird von einer merkwürdigen Freundschaft erzählt. Wie sich eine alte Frau mit einem Monster, das hinter einer Mauer in ihrer Wohnung lebt und durch den Riss in ihrer Tapete sichtbar wird, anfreundet und eine Misanthropin wieder Freude am Leben findet... Freilich existiert dieses unförmige Wesen nur in ihrem Kopf, aber nun stellt sie sich vor, wie schön es wäre, wenn ihr wieder einer/s Interesse entgegenbrächte, der/das sie nicht wie ihre menschliche Umgebung als Restmüll betrachtet...
„Der Riss“ pendelt zwischen der Tragödie des Altwerdens (und: Alleinseins), ohne dabei Sentiment zu bemühen und einer Satire über eine unbelehrbare Grantlerin, verwendet dabei Horror- und Fantasy-Elemente (The Granny and the Beast...) - nichts davon wirkt aufgesetzt.

Zwei Täter wechseln einander ab in Erzählungen über Gräueltaten im Krieg. Der eine, dargestellt von Christoph Bach, ist ein Handlanger, der sich auf Befehle und „Notwendigkeiten“ beruft, aber dennoch „allzeit bereit“ im Krieg war. Der andere, dargestellt von Cornelius Obonya, war ein Verantwortlicher im Krieg und spricht voll Verachtung über die primitiven Handlanger, die „nichts verstanden haben“. An Tischen sitzend, referieren sie über „ihren“ Krieg, ereifern sich bisweilen, sehen sich jedenfalls gerechtfertigt.
Was Selma Doborac in „De Facto“ (AT/DE 2023) zeigt, vermeint man, vom Tonfall her zu kennen. Im Mittelpunkt der Kriegssuada steht Demütigung und hier wieder die Demütigung von Frauen. Das Stakkato von Bachs Vortrag ist ein bewährtes Stilmittel, ein Verfremdungseffekt, der „Einfühlung“ vermeidet. Obonyas Vertraulichkeit gegenüber den anonymen Zuhörer*innen, seine Distanzierungen vom „Hässlichen Alltag“ kann an Kriegsverbrecher wie Speer erinnern, der zwischen der (taktisch angebrachten) Distanzierung vom „Ganzen“, die eigene Verwicklung kleinzureden versuchte oder auch nur den Auschwitz-Kommandanten Höß, der in seinen Erinnerungen „Brutalitäten“ verurteilt und, in Kottulas Film „Aus einem deutschen Leben“ (wo Höß Lang heißt), bevor er mit der Familie und einer Sklavin Weihnachten feiert, noch rasch (ermordete) Einheiten Juden abrechnet...
Und in all den Berichten über erniedrigte Frauen im Krieg ist Theweleit („Männerphantasien“) allgegenwärtig. Aber es ist ja nicht dieser Krieg, es ist „Der Krieg“, den Selma Doborac da zeigen will und all das bekannt klingende ist durchwegs gescriptet. „De Facto“ wurde bei der Berlinale 2023 mit dem Caligari-Preis ausgezeichnet, durchaus zu Recht, was den formalen Ansatz und die dramaturgischen Mittel betrifft. Problematisch wird es, wenn Doborac die „menschliche Natur“, gewissermaßen über Jahrhunderte hinweg bemüht, denn „das Böse“ ist nicht Ursache, sondern Teil von stets aus Interessen heraus betriebenen Schlächtereien und das Verbrechen hat immer noch „Name und Anschrift“ (Brecht).

Peter Nestlers neuer Film „Unrecht und Widerstand“ (DE/AT 2022) erzählt vom Danach. Dem „Tausendjährigen Reich“ folgt die Bundesrepublik Deutschland und alles soll nun anders sein. Nazis erhalten ohne Probleme „Persilscheine“, denn man ist supersauber, es war nur ein böser zwölfjähriger Spuk. Dumm nur, dass die Gespenster der Vergangenheit nicht still zu kriegen sind. Obwohl man ja so gerne zur Tagesordnung übergehen würde. Also spricht man von Aufarbeitung und beauftragt damit diejenigen, die sich zuvor schuldig gemacht haben – gute Beamte sind rar.

Peter Nestlers neuer Film „Unrecht und Widerstand“ erzählt vom Danach. Wie in der neuen, supersauberen Bundesrepublik die Roma und Sinti immer noch Zigeuner genannt werden und immer noch, Interviews mit Passant*innen zeigen es, die alten Ressentiments gegen sie da sind. Wie eine, die einst für „Sonderbehandlungen“ zuständig war, nun ein Heim für schwer erziehbare Kinder leitet, in dem sich ihre alten „Schützlinge“, Roma und Sinti, befinden (bzw. deren Kinder... ). Wie Akten, die von Gräueltaten gegen Roma und Sinti berichten, hinter Verschluss gehalten werden, „eigentlich“ nicht existieren... Peter Nestler porträtiert in „Unrecht und Widerstand“ mit Romani Rose einen, der sich gegen den Geschichtsvergessenen entgegenstellt und Gerechtigkeit für Roma und Sinti einfordert, mit seinen Aktionen auch immer wieder riskiert, dort zu landen, wo die guten Deutschen Roma und Sinti am liebsten sehen: im Gefängnis.
Peter Nestlers Film über einen Unerbittlichen macht selbst keine Kompromisse und zeigt, wie bis weit in die 1970er und 1980er Jahre Roma und Sinti in der BRD als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden (und wohl, trotz aller „Einsicht“, vielfach auch heute noch werden).

Die filmgeschichtlichen Reihen von Synema sind immer zu loben. Diesmal widmet sich Synema dem früh verstorbenen Dokumentaristen Bernhard Frankfurter. 1984 entsteht „SS-Nr. …“ (Ein SS-Arzt in Auschwitz). Ein Gespräch vor dem Kamin: Frankfurters Gesprächspartner ist der ehemalige SS-Arzt Hans Wilhelm Münch, der von 1943 bis 1945 Leiter des „Hygieneinstituts“, der Waffen-SS in Auschwitz war und dort, wie sein gemeinhin bekannterer Kollege Mengele, so manche medizinische „Experimente“ durchgeführt hat. Frankfurter konfrontiert Münch, den einige der überlebenden Opfer entlastet und in der Folge sogar zu einem Freispruch verholfen haben, mit dessen Widersprüchen höflich, auf dessen Charade als kaum beteiligter „Beobachter“ des Grauens eingehend, so, als hätte er einen Staatsgast vor sich, von dem man weiß, dass diesem trotz seiner Funktion Blut an den Händen klebt. „Diplomatisch“, aber unerbittlich treibt Frankfurter Münch mit seinen Fragen in die Enge. Und das Kaminfeuer flackert auf – kein Höllenfeuer, aber ein Limbus, immerhin.

Kurt Hofmann