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Mit Rat und Tat

Kurt Hofmann

Zur Diagonale 2022 in Graz

23.04.2022

Die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, präsentierte sich in der Ausgabe 2022 fast wie in alten Zeiten: Bei all der nach wie vor gebotenen (und vom Festival berücksichtigten) Vorsicht in Sachen Covid-19 strömten die Cinephilen (wieder) in die Kinos, angelockt von einem wie stets vielfältigen und dramaturgisch klugen Programm.

Fast wie in alten Zeiten: So fühlt sich auch der Schnulzensänger Richie Bravo. Aber die Betonung liegt auf dem „Fast“: Denn in Rimini, wo er in leeren Hotelrestaurants und Diskotheken seine Schlager zum Besten gibt, ist die Hauptsaison längst vorbei. Es ist Winter und Zeit für die Lückenbüßer im Unterhaltungsprogramm. Richie Bravo ist ein Yesterday-Man, aber, je älter die Songs, desto jünger fühlen sich seine treuen (vorwiegend weiblichen) Fans. Den extra nach Rimini angereisten Damen gegenüber ist Richie Bravo bei seinen Auftritten um Komplimente nicht verlegen. Sie sind ihm über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben, einige von ihnen werden in der After-Show in Bravos „Villa“ vom Charmeur belohnt, das persönliche Service ist allerdings nicht kostenlos ...
Ist Richie Bravo ein „Star“, war er das jemals? Seinen Status zu hinterfragen, hieße für den Selbstverliebten freilich, in der verhassten Gegenwart anzukommen …
Doch völlig lässt sich die Realität nicht ignorieren: Nicht im Fall des demenzkranken Vaters, der in einem Pflegeheim vor sich hinvegetiert und schon gar nicht, als plötzlich Bravos Tochter Tessa auftaucht, die einfordert, was ihr zusteht. Da ist der Lebenskünstler, welcher das Vorhandensein einer erwachsenen Tochter bis dahin weitgehend ausgeblendet hat, unversehens in der Bredouille. Aber der Ausstieg aus der Scheinexistenz „Richie Bravo“ ist nicht leicht ...

Ulrich Seidls neuer Film „Rimini“ erzählt über die Sehnsucht (nach einem anderen Leben). Wie bei jeder Sucht finden auch die Sehn-Süchtigen ihr Suchtmittel, im Fall von „Rimini“ sind dies die Schlager, die gescheiterten Existenzen Trost bieten. Richie Bravo wäre in diesem Bild der Dealer, der selbst an der Nadel hängt. Und das Auftauchen der Tochter ist möglicherweise ein Entzug, dem er sich stellen muss.

Es ist Winter in Rimini: Aber dem abgewrackten Schlager-“Star“, der sich nur über seine Nebentätigkeit als Gigolo einigermaßen über Wasser halten kann, bleibt auch noch die Hoffnung auf ein Wunder, die er so oft in seinen Liedern besungen hat...

Johannes kennt die Außenwelt nicht: Sein Universum ist eine abgeschiedene Almhütte in der er mit seiner Mutter, einer religiösen Fanatikerin, die sich mit zahlreichen Devotionalien umgibt, lebt. Aber, wo Gott wohnt und die Mutter hat diesem eine Alpenfestung errichtet, ist bekanntlich auch Satan nicht weit, den die Mutter beständig beschwört, aber halt nicht finden kann. „Wo isser denn, der Teufel?“ fragt Johannes dann ... Vielleicht steckt er ja im Detail, denn die Außenwelt meldet sich bei den EinsiedlerInnen in Gestalt von Drohnen. Die da draußen begehren das Einzige, das denen da drinnen gehört, wollen ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen wegziehen, Spekulation für Alpentourismus. Erst wird Geld geboten, dann gedroht, es folgen Handgreiflichkeiten. Da hilft dann kein „Weiche Satan!“... Die zahlreichen Rituale der Mutter helfen nicht gegen die vordrängende Profitgier der Ortsoberen. Johannes kann sich zwar kaum artikulieren, begreift aber, dass da etwas passiert, das der Kontrolle der allgegenwärtigen Mutter, die ihm durch das Auflegen seiner Hände an ihre Brüste beigebracht hat, was „Rhythmus“ist, entgleitet. Sollte der Teufel, der bekanntlich viele Gesichter hat, gar die Mutter infiziert haben ... ?

Religiöser Wahn, Inzest, Profitgier: Wir befinden uns im ländlichen Österreich und der Film heißt „Luzifer“. Regisseur Peter Brunner hat in diesem so unterschiedliche Genres wie Heimatfilm, Western und Horrorfilm (es ist ein Exorzismus zu sehen, der aber wieder, nicht unoriginell, an den Wiener Aktionismus erinnert...) fugenlos zu vereinen. Sichtbar wird: der österreichische Wahnsinn – nicht zufällig heißt der Produzent von „Luzifer“ Ulrich Seidl …

„Für die Vielen“ zeigt die AK als Festung, als Zufluchtsstätte für viele, die nicht weiterwissen und hier nicht nur auf weiterführende Informationen, sondern ebenso auch stets auf Empathie zählen können.

Indes: Die AK repräsentiert ebenso (historisch gewachsenen) Glanz wie Elend der österreichischen Sozialdemokratie. Das wird in einer Sequenz des Films ebenso deutlich wie es sich auch in einer der Diagonale-Premiere von „Für die Vielen“ folgenden Publikumsdiskussion zeigte. Im Film ist zu sehen, wie ein neuer Werbespot die AK einem jugendlichen Publikum näherbringen soll. Da kämpft eine Superheldin (die personifizierte AK) gegen das Böse in der (Arbeits-) Welt. Renate Anderl ist begeistert, fürs Publikum im Grazer Schubert-Kino war das naheliegenderweise ein Lacher.
Und das Zielpublikum des Spots? Da sind in „Für die Vielen“ Lehrlinge während einer kultur-politischen Aktion im AK-eigenen Akzent-Theater zu sehen. Beim Verlassen der Veranstaltung gehen sie an einem Monitor vorbei, der den „Superheldinnen“-Spot zeigt: Keine/r beachtet ihn...
In der Publikumsdiskussion wiederum antwortet ein AK-Funktionär auf die Frage nach ausgetragenen Konflikten, die sich aus den Beschwerden der Hilfesuchenden ergeben könnten, in den meisten Fällen finde man doch den Konsens, die Einsicht obsiege.
Erkennen sie die Melodie: Da wurde – im Zusammenhang mit der hundertjährigen Arbeiterkammer – sichtbar, wohin die österreichische Sozialdemokratie historisch abgebogen ist... Keine sensationelle Enthüllung, schon gar eine neue Erkenntnis, aber kämpferische Superheldinnen sehen halt ein wenig anders aus...

Zurück zum Film: „Für die Vielen“ erläutert die Notwendigkeit einer Institution wie der Arbeiterkammer. Beratung, Hilfe, Empathie und das Vermitteln der Erkenntnis, dass es sich lohnt, sich zu wehren: Das ist schon was. Das ist nicht wenig.

Die Zahl der Demonstrationen in Wien sei sprunghaft gestiegen, erzählt uns Gerald Igor Hauzenberger. Really? Eine Reminiszenz: Mitte der 1980er Jahre kursierte eine Statistik, die Wien als Demonstrationshauptstadt Europas auswies. Ursache: Die vielen kleinen Demonstrationen, weitgehend unbeachtet. Erkenntniswert gestern wie heute: Null.
Leider lässt sich das auch über Hauzenbergers Film „Denn sie wissen, was sie tun“ sagen, ein ambitioniertes, aber gescheitertes Unterfangen. Eigentlich sollten jene porträtiert werden, die Impfen als Verbrechen sowie die Pandemie als Erfindung betrachten und dies im Rahmen der Freiheit Woche für Woche rauskrakeelen – eine rechtslastige Zusammenkunft. Aber hier fängt es schon an: Hauzenberger will mehr, ein Kaleidoskop einer durch ihn definierten vielschichtigen Wiener Demo-Szene (mit-)darstellen und verzettelt sich prompt.
Dabei ist es schwer genug, unter denen „...die wissen was sie tun“, AnsprechpartnerInnen zu finden. Hauzenberger findet Herrn E., einen rechtskatholischen Schwurbler. Der trägt bei all seinen Auftritten einen Hut als Hommage an sein Idol Andreas Hofer.
Hier nachzuhaken, wäre vielversprechend, war doch Hofer, den man auch schon als „Alpen-Taliban“ (eine treffliche Analogie) bezeichnet hat, so borniert wie gefährlich, eine düstere Gestalt der Gegenaufklärung. Aber Hauzenberger steigt da nicht ein, bietet Herrn E. vielmehr die Gelegenheit zur Selbstdarstellung, 120 Minuten Film als Speakers Corner für Herrn E., der zu Filmende von Hauzenberger auch noch für seinen (angeblichen) Ausstieg aus der Szene gelobt wird, weil er sich von der rechten (Nazi-)Gewalt distanziert habe...
Auf die Idee, dass ein höflicher und „zivilisierter“ Zeitgenosse wie Herr E. innerhalb der rechten Demoszene den Querverbinder darstellt, der diejenigen bindet, denen Küssel zu radikal, aber die Verleugnung der Realität dennoch ein Herzensanliegen ist, kommt Hauzenberger gar nicht.
Denn die Falle für DokumentaristInnen, die rechte ProtagonistInnen zum Sprechen bringen wollen und notgedrungen viel Zeit mit diesen verbringen, schnappt bei Hauzenberger zu: Es entsteht Nähe.
Bei aller Gegensätzlichkeit zu den Ideen des Herrn E. ist die gewachsene Sympathie für die Person E. bei Hauzenberger unverkennbar. Man duzt sich schließlich und der Regisseur bringt seinen Protagonisten sogar zur Publikumsdiskussion mit (Die Leitung der Diagonale hat sich von diesem nichtangekündigten Schritt distanziert).
Dass gut gemeint häufig das Gegenteil von gut ist, erweist sich auch im Fall von Gerald Igor Hauzenbergers „Denn sie wissen, was sie tun“.

Stets sehenswert sind die historischen Projekte von Synema. Diesmal widmeten sich Brigitte Mayr und Michael Omasta dem Phänomen von „Thaliwood“, dem Versuch, nach 1945 eine „Filmstadt“ auf dem Gelände des Grazer Flughafens Thalerhof zu errichten. Die ersten – nicht verwirklichten – Pläne sind noch ambitioniert, doch weder über die österreichische Widerstandsbewegung noch über die Atombombe darf knapp nach Kriegsende im österreichischen Film geredet werden. Zunächst soll der „gehobene“ Unterhaltungsfilm forciert werden, bald schon sind die vorbelasteten Ufa-Größen Gustav Ucicky und Wolfgang Liebeneiner mit an Bord, „bewährte Kräfte“, von wegen Widerstandsbewegung. Im Sommer 1953 ist Schluss mit dem Austro-Hollywood, die Wiener Creditanstalt finanziert auf dem Gelände ein „Siedlungswerk für Heimatvertriebene“...

Neben Lotte Schreibers Kurzdoku „tracing THALERHOF“ (AT 2014), die den historischen Hintergrund des Flughafens Thalerhof beleuchtete, wurden für die Diagonale 2022 zwei Kriminalfilme sowie der „Klassiker“ der Besatzungsära „Die Vier im Jeep“ ausgewählt.
Beobachtungen am Rande: In „Prämien für den Tod“ (AT 1949; Regie: Curd Jürgens), fast ein österreichischer film noir frei nach Gogol, ist in einer Nebenrolle Werner Krauß zu sehen, der wenige Jahre zuvor im NS-Hetzfilm „Jud Süß“ antisemitische Klischees mit darstellerischer Perfidie beförderte. Sein Auftrittssatz: „Ich bin vollkommen rehabilitiert!“ ...
In „Schuss durchs Fenster“ (AT 1949; Regie: Siegfried Breuer) wird am Ende der hinterhältige Gangsterboss, gespielt vom jüdischen Schauspieler Fritz Eckhardt, durch den Vertreter von Recht und Ordnung, gespielt vom Ufa-Naziliebling Siegfried Breuer (der auch bei den Castings für „Jud Süß“ einer der Kandidaten für die Hauptrolle gewesen sein soll) dingfest gemacht... Und in „Die Vier im Jeep“ (AT/CH 1951; Regie: Leopold Lindtberg) wird tunlichst zwischen guten und bösen (sprich: russischen) Besatzern differenziert, es gibt aber auch einen guten Russen, welcher im alliierten Jeep mitfährt (Yossi Yadin, der zwei Jahrzehnte später Tevje, den Milchmann, in der Wiener „Anatevka“-Aufführung spielte, ein Musical, das so manche/n Zuschauer/in erstaunt zurückließ, weil darin von einem Pogrom an Juden die Rede war – das hörten die doch zum ersten Mal...). Und der aus einem Kriegsgefangenenlager geflüchtete Heimkehrer in „Die Vier im Jeep“ ist selbstverständlich kein Nazi gewesen – bewahre...
„Thaliwood“: das war der Versuch eines filmischen Beginns, der keiner war. Alles beim Alten: In der Gesellschaft wie im Kino...