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Nahrungskrise: Die Hungerprofiteure

Hadrien Buclin

"Wenn die Regierung die Lebenshaltungskosten nicht senken kann, muss sie abdanken. Und wenn die Polizei und die UN-Truppen auf uns schießen wollen, ist das nicht so wichtig, denn wenn uns die Kugeln nicht töten, sterben wir vor Hunger.” Diese Worte, aufgeschnappt in Port-au-Prince (Haiti), könnten sehr gut auch von einem Demonstranten in Mexiko, Usbekistan, Burkina Faso, der Elfenbeinküste, Ägypten, Indien oder Thailand stammen, um nur einige der 35 Länder zu nennen, die von „Hungerrevolten” gebeutelt wurden.

21.06.2008

Laut UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon droht diese Krise „zu einem komplexen Problem zu werden, das das Wirtschaftswachstum, den sozialen Fortschritt und sogar die politische Sicherheit auf der ganzen Welt beeinträchtigt” Dennoch veröffentlichen dieselben Medien, die solche Zitate wiedergeben, Werbungen wie diese: „Der Rohstoffsektor kann euer Kapital retten und es sogar verzehnfachen! Die Rohstoffkurse heben ab: Profitiert vom größten Boom des 21.Jahrhunderts!"
"Rettet euer Kapital” — steht es doch wegen der „Subprimekrise” schlecht da. Kapitaleigner mussten sich deshalb auf die Suche nach einem neuen Spekulationssektor begeben. Ähnlich wie im Jahr 2001, als sich die Investoren, nachdem die Internetblase geplatzt war, auf Immobilien stürzten, werfen sich nun im Jahr 2007 nach dem Platzen der Immobilienblase die Spekulanten weltweit auf die Rohstoffe. So funktioniert der Kapitalismus unter der Hegemonie des Finanzkapitals: Auf eine Krise folgen neue Profitmöglichkeiten — stets zum Schaden der Ärmsten. Die Krise der Subprimes hat mit voller Wucht die einfache Bevölkerung in den USA getroffen — vor allem Schwarze und Latinos, Hunderttausende Familien landeten dadurch auf der Straße und wurden ihres Grundrechts auf Obdach beraubt. Jetzt bedroht der Boom der Preise für Grundnahrungsmittel sogar das Überleben von Millionen Menschen, denen der Hungertod droht.
Zur Finanzspekulation gesellt sich eine neuer produktivistischer Wahn: die Agrotreibstoffe. Sie absorbieren jetzt schon 10% der Weltproduktion von Mais und werden von den reichen Ländern verschlungen, um einer anderen Krise zu begegnen: der Ölkrise. Rechnet man dann noch die Trockenheit hinzu, die aus dem Klimawandel folgt, und die Explosion des weltweiten Fleischkonsums (für 1 kg Rindfleisch benötigt man die gleiche Menge an urbarem Boden wie für 8 kg Weizen), hat man alle Faktoren der Preissteigerungen zusammen, die auf den Allerärmsten lasten.
Der Preis für Weizen ist von März 2007 bis März 2008 um 130% gestiegen. Auf Druck der Welthandelsorganisation (WTO) verzichten die Länder des Südens schon lange auf ihre Ernährungssouveränität und sind deshalb immer stärker von den Exporten der USA, der EU, Australiens, Argentiniens und Kanadas abhängig geworden. Die Länder des Südens sind auf die entwickelten Länder angewiesen, um ihre Bevölkerung zu ernähren. Laut einem Bericht der UNO haben sich die Lebensmittelimporte der afrikanischen Länder im Zeitraum 2000—2007 um 90% erhöht!
Es sind aber nicht nur die Verlierer der Preissteigerungen bekannt, sondern auch ihre Gewinner: Die Kornproduzenten der USA und der EU haben ihre Einnahmen im Jahr 2007 fast verdoppelt. Eine Handvoll Firmen, die den weltweiten Getreidemarkt kontrollieren, erzielen fantastische Preise. Genf ist die Drehscheibe dieses Warenverkehrs, hier spielen sich 30% der weltweiten Transaktionen ab. In der Geneva Trading and Shipping Association (GTSA), die 2006 gegründet wurde, sammeln sich die Giganten der Branche, der Finanzplatz Genf bietet ihnen höchst raffinierte Werkzeuge und sehr günstige Steuerbedingungen.
Die entwickelten Länder haben in wohlfeilen Erklärungen ihrer Regierungen höhere Nothilfen angekündigt. Aber sie weigern sich, die zusätzlichen 500 Millionen Dollar zu zahlen, die das Welternährungsprogramm fordert, das 70 Millionen Menschen mit Nahrung versorgt. Dafür brachten sie viele Milliarden auf, um die Finanzunternehmen zu retten, die von der Krise der Subprimes bedroht sind. Serge Halimi, Autor von Le monde diplomatique, macht uns darauf aufmerksam: Diese 500 Millionen sind nicht einmal „13,5% dessen, was allein John Paulson, Leiter eines Spekulationsfonds, im letzten Jahr verdient hat, der schlau genug war vorauszusehen, dass mehrere hunderttausend Amerikaner demnächst vor der Immobilienpleite stehen würden”
Die derzeitige Nahrungsmittelkrise und die daraus resultierende Hungersnot zeigen wie notwendig es ist, eine neue antiimperialistische internationale Solidarität zu schaffen, die die Regierungen zwingen kann, die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen — auf Kosten der privaten Profite einer Minderheit.

Aus: SolidaritéS (Genf), Nr.127, 8.Mai 2008 (www.solidarites.ch )