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EU-Grenzpolitik: Organisierter Massenmord an Flüchtlingen

Der tödliche Wahnsinn der EU-Grenzpolitik vollzieht sich derzeit in drei Schritten: 1. abwehren, 2. wegschauen und 3. kriminalisieren. Zur Abwehr der "Botschafter der Ungerechtigkeit" sind ganze Flotten von See- und Luftfahrzeugen unterwegs. Sie haben den Auftrag, die unerwünschten Besucher "zu stoppen und zur Umkehr zu bewegen". Dass es bei den meist nächtlichen Begegnungen zwischen Kriegsschiffen und Flüchtlingsbooten immer wieder Tote gibt, liegt in der Natur der Sache: Wer Migrationsbewegungen mit militärischen Mitteln stoppen will, der nimmt Todesopfer von vornherein in Kauf. Dass die EU-Behörde mit Sitz in Warschau, die diesen organisierten Massenmord koordinieren soll, den Namen Frontex trägt, lässt nicht von ungefähr an Ungezieferbekämpfung und Vernichtungsfeldzug denken. Der "Krieg gegen Flüchtlinge" ist längst europäische Realität.

07.10.2007

Weggeschaut wird bspw., wenn wieder einmal eines jener jämmerlichen Boote, überladen und vom Kurs abgekommen, in Seenot geraten ist. Dann geben zwar die Seefunkstellen die genauen Koordinaten der driftenden, sinkenden Kähne durch — doch nur in Ausnahmefällen wird versucht, den verzweifelt um ihr Leben kämpfenden Menschen zu Hilfe zu kommen. Aber woher stammen die überaus exakten Positionsangaben in den entsprechenden Navtex- Meldungen (Navigational Warnings via Telex), die auf jedem Schiff empfangen werden? Das Mittelmeer und die Meeresgebiete vor den Kanaren werden von Schiffen, Flugzeugen und Satelliten lückenlos überwacht. Irgendjemand sitzt also vor seinem Radarschirm, seinem Monitor mit Satellitenbildern und beobachtet, wie sich die täglichen Dramen ihrem schaurigen Ende zubewegen — unternimmt aber nichts. Es genügt ja, in aller Ruhe abzuwarten, bis sich der Fall buchstäblich von selbst erledigt hat: keine Spur mehr von Boot und Besatzung, keine Zeugen, keine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung.
Bleibt noch das dritte, hochwirksame Werkzeug des europäischen Grenzregimes: die Kriminalisierung von Flüchtlingen und Helfern. Jene sieben tapferen tunesischen Fischer, die das Leben von 44 Männern, Frauen und Kindern retteten [siehe Seite 15], waren nicht die ersten und sie werden nicht die letzten sein, deren Rettungstat mithilfe rigider "Schlepperparagrafen" zur Straftat umgedreht werden soll. Sie fanden sich prompt vor derselben Strafkammer wieder, die auch den "Fall Cap Anamur" verhandelt. Dass nun fünf der sieben Fischer aus der Haft entlassen wurden, ist ein schönes Ergebnis breiter internationaler Solidarität. Aber es ändert nichts daran, dass das brutale Kalkül der Gesetzgeber am Ende doch aufgeht.
Denn die diversen Schauprozesse gegen Lebensretter dienen allzu offensichtlich einzig der Abschreckung von Nachahmungs-"Tätern". Und diese Funktion erfüllen sie auch ohne rechtskräftige Verurteilung. Allein die Aussicht, sich vor Gericht wiederzufinden, wird immer mehr Seeleute davon abhalten, ihrem Impuls zur Hilfeleistung zu folgen. Und die drohende Beschlagnahmung der Fischerboote — einzige Einnahmequelle vieler Familien — tut ein Übriges, die in Todesangst schreienden Schiffbrüchigen ihrem Schicksal zu überlassen.
Flüchtlingskonvention? Menschenrechte? An Europas Grenzen existiert nicht einmal mehr das Menschenrecht auf Leben. Und die EU-Strategen feiern diesen moralischen Bankrott ihrer Grenzpolitik zynischerweise als Erfolg, schließlich kommen ja immer weniger der unerwünschten Migranten auf dem Seeweg bei uns an. Derweil werden die Toten auf dem Meeresgrund, in den Fischernetzen und an den Stränden immer mehr, auch wenn sie in keiner offiziellen Statistik vermerkt sind.
Die Opfer des brutalen EU-Grenzregimes sind zumeist junge Menschen, die in ihrer Heimat keine Perspektiven mehr für sich sehen. Die Verelendung weiter Teile der Welt ist aber unmittelbare Folge (auch) europäischer Politik. Wer aber gewohnheitsmäßig seinen Wohlstand auf die Ausplünderung anderer Kontinente baut, wer durch Agrarsubventionen und Handelshemmnisse den Nachbarregionen die Lebenschancen nimmt und durch seinen (selbst)mörderischen Lebenswandel zum Klimawandel beiträgt, wer schließlich Millionen Menschen aus ihren Heimatländern vertreibt, dem fällt es freilich schwer, sich den Konsequenzen eines solchen Verhaltens zu stellen.
Angesichts von Tausenden Toten und "Verschwundenen" an unseren Grenzen haben wir aber keine andere Wahl.

Elias Bierde

Der Autor ist ehemaliger Vorsitzender von Cap Anamur, steht nach der Rettung von 37 schiffbrüchigen Afrikanern im Juni 2004 wegen angeblicher "Schlepperei" auf Sizilien vor Gericht. Er ist Mitbegründer der Organisation "borderline europe — Menschenrechte ohne Grenzen e.V.", die sich speziell mit den tödlichen Folgen der EU-Abschottungspolitik auseinandersetzt (www.borderline-europe. de).

Quelle: SOZ