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Alle Zeichen stehen auf weiter kämpfen

Bernhard Schmid

Beide Seiten haben sich kurz gegenseitig gemustert und dann Aufstellung bezogen: So lässt sich zu Anfang dieser Woche die Situation beschreiben, die auf die so genannte «Dialogeröffnung» zwischen französischen Gewerkschaften und konservativem Regierungskabinett vom Ende voriger Woche folgt. Alles wird nunmehr vom Ausgang des Streik-, Aktions- und Demonstrationstags (28. März) abhängen.

24.04.2007

ber auch von den im Anschluss beschlossenen Folgeaktionen und weiteren Etappen des Konflikts, falls das Kabinett unter Premierminister Dominique de Villepin den geplanten "Ersteinstellungsvertrag" oder CPE ( Contrat première embauche ) nicht alsbald zurückzieht. Die "Nationale Koordination der Studierenden, OberschülerInnen, jungen Arbeitenden und Prekären" beschloss auf ihrem Delegiertentreffen am zurückliegenden Wochenende in Aix-en-Provence bereits neue Aktionstage am 30. März und (mitsamt Streikaufruf) am 4. April. Fraglich ist hingegen noch, wie die Gewerkschaftsapparate sich in der Folge verhalten werden
Erwartungsgemäß kam es am Freitag nachmittag nicht zu einer raschen Einigung, als die Repräsentanten der fünf größeren Gewerkschaftsdachverbände beim Premier empfangen wurden. Insgesamt 75 Minuten dauerte der Empfang, in dessen Verlauf rasch klar wurde, dass de Villepin nicht gewillt war, Eingriffe n den harten Kern des CPE-Projekts (d.h. die Infragestellung des Kündungsschutzes) vorzunehmen - sondern nur über die näheren Modalitäten seine Umsetzung und Deteilpunkte "gesprächsbereit" war.
Unterdessen erlaubt es die Tatsache des Stattfindes eines solchen – obwohl von vornherein aussichtslosen – "Dialogsversuchs" es der Regierung dennoch, ihre Gesprächsbereitschaft öffentlich zu präsentieren. "Eine Stunde und 15 Minuten Zusammentreffen, das genügt, um den Beginn eines Dialogs anzukündigen", zitiert ‘Le Monde' in ihrer Ausgabe vom Samstag abend (ungenannte) Mitarbeiter des französischen Präsidialamts im Elysée-Palast. In größeren Teilen der Öffentlichkeit dürfte dies im Moment jedoch wohl nicht verfangen.

Reaktionen der Gewerkschaftsführungen

Die Gewerkschaftsführungen sprachen im Nachhinein unisono von einer sinnlosen Gesprächsrunde: "Der Premierminister hatte uns nichts zu sagen. Er lädt uns zu einem neuen Zusammentreffen nach dem Dienstag ein und fordert uns (dadurch) in gewissem Sinne dazu auf, dass unsere Demo ein guter Erfolg wird!" antwortete CFDT-Generalsekretär François Chérèque dazu auf entsprechende Nachfragen. (Er sagte wohl "unsere Demo", und nicht "unser Generalstreik am Dienstag"...!) Maryse Dumas, die "Nummer 2" im Apparat der CGT, erklärte am Freitag abend, dass es "keine weitere Verabredung" mit dem Premierminister ohne Rücknahme des ‘ Contrat première embauche ' geben werde. Beim drittgrößten französischen Gewerkschaftsbund, bei Force Ouvrière (FO), verlautbarte Generalsekretär Jean-Claude Mailly bereits, seine Organisation werde ab Dienstag abend zu einer Fortsetzung des Ausstands aufrufen, falls der CPE nicht zurückgenommen worden sei. Allerdings ist man es bei FO gewohnt, eine Kombination aus gern gepflegtem Verbalradikalismus und gleichzeitiger besonders «moderater» Realpolitik hinter den Kulissen vorzufinden. Auf starke Sprüche von ihrem Generalsekretär sollte man also in diesem Falle noch nicht viel geben.
Positiv im Hinblick auf die nähere Zukunft der Auseinandersetzung ist erst einmal, dass die Ablehnungsfront aus Gewerkschaften der Arbeiter, Angestellten und der Studierenden bisher nicht auseinander gesprengt werden konnte. Anders als bei der Auseinandersetzung rund um die "Prensionsreform" im Frühjahr 2003 zeichnet sich bisher nicht ab, dass die CFDT oder eine andere "moderate" gewerkschaftliche Kraft Anstalten machen würde, auszuscheren und im Alleingang einen (Billig-)"Kompromiss" zu akzeptieren. Die verschiedenen Gründe dafür sind in diesem Medium bereits mehrfach erläutert worden. (Stichworte: heran nahende Kongresse der CGT und der CFDT; der Wille der französischen Sozialdemokratie, soziale Kämpfe ausnahmsweise nicht oder jedenfalls nicht von Anfang an abzubremsen, da sie die Wahlen im kommenden Jahr gewinnen möchte; und natürlich auch der gravierende Charakter des Eingriffs in den Kündigungsschutz selbst...).

Gewerkschaftliche Einheitsfront bisher nicht aufgebrochen

Am Freitag vormittag hatten sich zunächst die 12 Gewerkschaftsorganisationen getroffen, die derzeit als institutionalisierte Träger des Protests (neben der Streikkoordination, die dem studentischen Selbstorganisierungsprozess entspringt) auftreten. Also ein paar Stunden, bevor die 5 vom Gesetzgeber als "repräsentativ" anerkannten Gewerkschaftsverbände beim Premier empfangen wurden. Dabei hatte diese ‘intersyndicale' (also der "gewerkschafts-übergreifende Zusammenschluss") den Premierminister dazu aufgefordert, alle an ihr beteiligten Organisationen zu empfangen. Dies wurde von ihm jedoch abgelehnt. Die ‘intersyndicale' umfasst 8 Gewerkschaftsbünde oder –zusammenschlüsse von abhängig Beschäftigten, von den linken Basisgewerkschaft SUD-Solidaires bis zum christlichen Gewerkschaftsbund CFTC, sowie 2 Studierenden- und 2 Oberschülergewerkschaften. Die vier zuletzt genannten sind die UNEF, die Confédération étudiante (ein Ableger der CFDT im studentischen Bereich), die FIDL und die UNL; alle sind sozialdemokratisch dominiert.
Auf Drängen der Gewerkschaftsbünde bei dem Treffen am Freitag nachmittag erklärte Premierminister de Villepin sich dann aber bereit, auch die Oberschüler- und Studierenden-Verbände zu empfangen. Dazu lud der Premier für den Samstag, neben den oben genannten Organisationen (mit sozialdemokratischer Haupttendenz), auch rechte Studentenverbände ein wie die Aktivistentruppe UNI (konservativ dominiert, mit rechtsextremen Einsprengeln zumindest in der Vergangenheit).

Villepin "dialogier" mit ausgewählten Studierenden

Doch die an der Protestbewegung beteiligten Studierenden- und OberschülerInnengewerkschaften schlugen seine Einladung aus. So fand der Regierungschef sich am Samstag allein mit bürgerlichen Verbänden wieder, darunter der rechten UNI (die ungefähr 10% der Mitglieder wie die sozialdemokratisch dominierten Studierendengewerkschaften aufweist) und der «moderat» bzw. "unpolitisch" ausgerichteten FAGE. Letztere bezeichnete der Regierungschef dabei als «größte Studierendengewerkschaft». Dafür gibt es ein formales Argument: Bei den Wahlen zu den universitären Verwaltungsgremien, die vom Dienstag bis Donnerstag voriger Woche stattfanden, hatte die FAGE die höchsten Stimmenanteile erhalten. Doch muss man dazu wissen, dass die UNEF als die mit Abstand größte Studierendenorganisation zum Boykott dieser Wahlen aufgerufen hatte. Denn während der Streik an den meisten Universitäten fortdauert und mindestens 7 Hochschulen (darunter die Sorbonne, Nanterre...) administrativ geschlossen worden sind, betrachtet sie die Abhaltung der Wahlen als illegitim. Aufgrund der aktuellen Situation bleiben nämlich viele Studierende zu Hause, vor allem (und notgedrungen) an den durch ihre Verwaltung dicht gemachten Hochschulen.
Mit dem "Dialog" ist es also im Moment nicht weit her. Dass die Studierenden- und Oberschülerorganisationen mit sozialdemokratischer Haupttendenz die Einladung beim Premierminister gänzlich ausschlagen, dürfte aber auch damit zu tun haben, dass sie ihrerseits durch die Dynamik der Streikbewegung mächtig unter Druck gesetzt werden.

Wettlauf zwischen Studierendengewerkschaft und Selbstorganisierung

Vor allem im studentischen Bereich, aber auch tendenziell unter den Oberschülern macht ihnen nämlich die aus einem Selbstorganisierungsprozess entstanden Koordination das Terrain streitig. Nach Delegiertentreffen in Rennes, Toulouse, Paris-Jussieu, Poitiers und Dijon trat die "Nationale Koordination der Studierenden, OberschülerInnen, jungen Arbeitenden und Prekären" nun am vorigen Woche an der Universität Aix-Marseille zusammen. Dort beschloss sie, im Falle einer Nicht-Rücknahme des CPE nach dem dienstäglichen Streiktag bereits zu weiteren Aktionen aufzurufen. Und zwar für Donnerstag, den 30. März (Mobilisierung von Studierenden und Oberschülern) und Dienstag, den 04. April (allgemeiner Ausstand unter Teilnahme der Lohnabhängigen). Gleichzeitig fordert die Koordination nunmehr auch explizit den Rücktritt der Regierung de Villepins, der grundsätzlich das Misstrauen auszusprechen sei. Damit hat sie von ihrer Seite, indem sie diese Regierung als illegitim präsentiert, die Türen für ein "Kompromissabkommen", das die Rücknahme des CPE vermeiden würde, geschlossen.
Seit dem vorvergangenen Wochenende verfügt die Koordination jetzt erstmals auch über einen 18köpfigen SprecherInnenausschuss. Dies soll es ihr ermöglichen, auch zwischen dem Zusammentreten der Delegiertenkonferenzen mit mehreren hundert in Vollversammlungen gewählten Delegierten (an den Wochenenden) handlungsfähig zu sein und Stellungnahmen abgeben zu können. Dem Vernehmen nach gehören dem SprecherInnenausschuss an: drei VertreterInnen der UNEF-Mehrheit (die dem Mitte-Links-Flügel innerhalb der französischen Sozialdemokratie nahe steht), drei VertreterInnen der JCR (Jeunesses Communistes Révolutionnaires, trotzkistisch-undogmatisch), 1 Verteter der anarcho-syndikalistischen CNT, 1 Vertreter von LO (Lutte Ouvrière, trotzkistisch-traditionsmarxistisch und eher arbeitertümelnd), 1 Vertreter der LCR (trotzkistisch-undogmatisch, Erwachsenenorganisation der JCR), 1 Mensch vom anti-neoliberalen linken Flügel der Sozialdemokratie (um Mélenchon), 3 SympathisantInnen der radikalen Linken ohne Organisationsmitgliedschaft. Die französische KP ist nicht vertreten, aber hat in diesen jüngeren Generationen ohnehin kaum noch Sympathien.

Notnagel Verfassungsgericht?

Zur Erinnerung: Das Gesetz zur Einführung des CPE ist seit dem 10. März von beiden Parlamentskammern mit ihrer erdrückenden konservativen Sitzemehrheit verabschiedet. (Eine Sitzemehrheit dank des Mehrheitswahlrechts, denn in der Nationalversammlung entspricht sie nur den Stimmen von 29,5% der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2002.) Es ist aber noch nicht von Präsident Jacques Chirac unterschrieben und müsste, um anwendbar zu sein, auch noch von Ausführungsdekreten begleitet sein, deren Ausstellung der Regierung obliegt.
Unterdessen ist es auch noch möglich, dass die 9 Richter am französischen Verfassungsgerichtshof (Conseil constitutionnel) das Gesetz aufgrund der Verfassungswidrigkeit mancher Bestimmungen aus dem Verkehr ziehen. Ihre Entscheidung wird momentan für Ende dieser Woche erwartet – also nach dem entscheidenden politisch-sozialen Kräftemessen vom Dienstag. Sollte es (aus staatlicher Sicht) wirklich "hart auf hart" kommen, dann könnte sich dies für die Regierung sogar noch als eine Art rettender Notnagel erweisen.

Quelle: www.labournet.de


28-03-2006, 17:58:00 |Bernard Schmid (Paris, 27.3.2006)