Was bleibt: Zum Tod von Walter Kanelutti (1955-2017)
Kurt Hofmann
Wenn die tödliche Diagnose da ist, versagen alle Hilfskonstruktionen in der Kontaktnahme. Ein unbefangenes Gespräch miteinander ist nicht mehr möglich, wohl beidseitig, denn „es“ steht immer dazwischen, auch wenn es tabuisiert wird, bleibt der Dialog ein „gebrochen durch“. Der Ungerechtigkeit der Erkrankung folgt („in bester Absicht“) jene der Reduktion des Gesagten durch das „Wissen um“.
11.07.2017
Und nun, post mortem, die „Letzten Worte“? Ein vorhersehbares Ungenügen des „Nachrufenden“: Denn erneut ist hier eine Einschränkung (auf einen „Ausschnitt“ der erinnerten Person) unvermeidlich, dem Erinnerten und Behaupteten wird wohl jede/r dies Lesende ein Eigenes an Erinnerungen und Behauptungen entgegensetzen, naturgemäß.
Im Folgenden dennoch ein Versuch
I
Definitionsfragen
Was ist ein Coach? Im Sportlichen ist das der Betreuer, der das Team auf den
Gegner einstellt, dessen mögliche Schwächen analysiert und unter
Berücksichtigung der Stärken der eigenen Mannschaft die Taktik ausrichtet. Aber
damit ist es nicht getan: Am Spieltag muss dieser oft auf unerwartete
Entwicklungen reagieren, was in der Theorie überzeugend schien, besteht nun in
der Praxis nicht, er muss umdenken (dabei hilft ihm seine Fähigkeit zur
Analyse), um noch erfolgreich zu sein.
Im Beruflichen ist der Coach einer, der Einzelpersonen oder Gruppen dabei
hilft, etwas auf den Punkt zu bringen, Klarheit zu erlangen.
Zu analysieren, mit wem man es zu tun hat, eine Taktik gegen den (politischen)
Gegner entwickelnd, dabei stets um das Missverhältnis zwischen Theorie und
Praxis wissend: das ist, und das wusste Walter, eine Grundvoraussetzung für den
politisch Agierenden.
Etwas auf den Punkt bringen, um Klarheit zu erlangen: Dank dieser Fähigkeit
Walters war es uns fast zwei Jahrzehnte lang (bis zum Ende der Printausgabe von
„Die Linke“ im Jahr 2006) möglich, alle vierzehn Tage eine Zeitung
herauszubringen, unter Berücksichtigung aller schönen Pläne sowie der vielen
Unabwägbarkeiten während der Produktion...
In seiner beruflichen Laufbahn, dem Coaching – zuvor war Walter Verlagslektor
und Geschäftsführer (der „Kinderfreunde“) - erfolgreich (und viel „gebucht),
erschien ihm doch Anderes wichtiger. Worauf er seine Energie konzentrierte, war
vielmehr stets einer Aufforderung (Brechts) geschuldet; „Ändere die Welt: Sie
braucht es!“
II
Schriftproben
Schon von ihrem Selbstverständnis her hatte eine Zeitung wie „Die Linke“ keinen
Chefredakteur und verfügte über keinen Leitartikel. Aber einen, der alles
zusammenhielt und sich schreibend den zentralen Ereignissen widmete (sie „auf
den Punkt brachte“), hatte sie in Walter.
Doch hat das Geschriebene (Walters wie von uns anderen) über die Jahre hinweg
Bestand? „Wenn man einige Monate lang die Zeitungen nicht gelesen hat, und man
liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen
Papieren verdirbt.“ schreibt Goethe und dem ist aufs Erste nicht zu
widersprechen. Allerdings ist vieles von dem, was Walter für den Tag hin
analysierte und niederschrieb, beim Herauslösen aus dem seinerzeitigen Kontext
auch heute noch gültig, und spricht für seine Fähigkeit, die Dinge „auf den
Punkt zu bringen“, um Klarheit zu erlangen.
Hier die Belege:
Gegeninformation:
Hamburg/G-20, 2017: „Viel wurde nicht bekannt, was hinter den
Konferenztüren(... ) konferiert wurde. Die Diskussion um Terrorismus und
moralische Ansprüche kann getrost ignoriert werden, die Propaganda mit diesen
Begriffen ist (… ) wohl auch dem Wohlmeinendsten klar geworden.
(… ) wurde zu einer belagerten Stadt gemacht. Polizeipanzer und Wasserwerfer an
zentralen Punkten sollten Demos ebenso im Keim ersticken wie die massive
Ansammlung von zivilen und uniformierten und schwer ausgerüsteten
Polizeieinheiten (… ) Die Medien taten das ihre, um die Situation zu
verschärfen. Die DemonstrantInnen wurden durchwegs als „Randalierer“
bezeichnet, (… ) die Polizei setzte alles daran, gewalttätige
Auseinandersetzungen zu provozieren. Bis spät in die Nacht hetzte die Polizei
DemonstrantInnen durch die Straßen, kesselte sie stundenlang ein und nahm
Verhaftungen vor... „ (Diktat der neuen Weltordnung – Zur
Nato-Sicherheitskonferenz 2002 in München/Die Linke 22.2.2002, S.10)
Alt und abgeschoben:
Missstände in Pflegeheimen/2017: „Doch um die zentrale Problematik kommt
niemand herum, der/die sich ernsthaft Lösungen überlegt: menschliche Zuwendung
benötigt Zeit, und Zeit ist gemäß den modernen Pflegekonzepten zu kostspielig.
Wer (zu Recht) verlangt, dass PflegerInnen mit Pflegebedürftigen, die nicht
inkontinent sind, auf die Toilette gehen, verlangt, dass eine Pflegeperson bis
zu einer Viertel Stunde beschäftigt ist. Wer (zu Recht) verlangt, dass alte
Menschen nicht an ihre Rollstühle gebunden werden, verlangt, dass eine
Pflegeperson ständig die Aufsicht hat, dass der alte Mensch nicht
unkontrolliert aufsteht und aus dem Rollstuhl fällt. Der Beispiele gäbe es
viele, um zu verdeutlichen, wie wenig sich ein humaner Umgang mit
pflegebedürftigen Menschen mit Profitlogik vereinbaren lässt.
Wer aber weiß, dass es bereits auf Sekunden durchgerechnete Pflegepläne gibt,
die intensive Beschäftigung mit einzelnen Personen nicht zulassen, der muss
wohl am Bestreben der Gesellschaft an einem humanen Umgang mit den Alten
zweifeln.“ (Bankrott der Menschlichkeit; Die Linke, 26.9.2003. S.3)
Das Schreiben und das Lesen:
PISA, 2017: „Was jedenfalls an den PISA-Untersuchungen kritisch zu bemerken
ist, ist die Voraussetzung hoher Lesekompetenz in der Testsprache. Die Aufgaben
sind als Textaufgaben formuliert, häufig wird – auch bei mathematischen und
naturwissenschaftlichen Aufgaben eine ausformulierte Begründung verlangt. „PISA
lebt in einer einsprachigen Welt“ formulieren ExpertInnen ihre Kritik. Damit
fließen aber auch kulturspezifische Faktoren nicht in die Erhebung ein.
„Das österreichische Schulsystem ist nicht dazu angetan, soziale Unterschiede
auszugleichen“ lautet der Kommentar der PISA-AutorInnen. Diese Kritik ist
sicher schwerwiegender als die Frage, ob Österreichs SchülerInnen „besser“ oder
„schlechter“ als die finnischen oder andorranischen SchülerInnen da stehen. (…
)
Das Schulsystem in Österreich war nie darauf ausgerichtet, soziale Unterschiede
aufzuheben oder auch nur auszugleichen. (… ) In Österreich ist das gar nicht
Thema. Es geht nicht darum, den Bildungsstand aller Kinder – auch der
MigrantInnen – zu verbessern, sondern es geht darum, eine breite Masse für den
Arbeitsprozess herzurichten und durchs Schulsystem zu schleusen, und für eine
schmale Schicht Eliteschulen und – universitäten mit bestmöglichen Mitteln zur
Verfügung zu stellen.“ (Die Gscheiten und die Dummen; Die Linke, 17.2.2005,
S.3)
III
Abseits des Tagesaktuellen
Das waren drei Beispiele des „Wiedererkennens“ (abzüglich der aktuellen
Propaganda zu diesen Themen... ) anhand eines immer noch aktuellen Schreibens
gegen den Strom.
Aber Walter hatte auch noch eine verspielte Seite. Mit großem Vergnügen
erinnere ich mich daran, wie wir gemeinsam an einem satirischen
Found-Footage-Comic-Strip über die Ausreden des skandalumwitterten
Polizeipräsidenten Bögl gebastelt haben. (Bögl – Die wahre Geschichte.. ; Die
Linke, 2.2.1990, S.16) Und nichts hat mich mehr überrascht als Walters
Vorschlag, für die letzte Nummer eines Jahres Sinn und Unsinn des bekanntesten
Festes des Jahres „aus anderer Warte“ zu beleuchten...
Aber Walter konnte auch wütend werden, schreibend „aus der Rolle fallen“, wie
im Fall des gewaltsamen Todes eines Sandlers in Innsbruck. Zwei Jugendliche
hatten diesen mit Latten und Eisenstangen erschlagen, einfach so. Und Rudi
Warzilek, der Sicherheitssprecher der Innsbrucker ÖVP, beklagte „... dass die
schönste Straße der Welt von den Einheimischen und den Touristen gemieden wird,
nur weil eine Minderheit eine Mehrheit terrorisiert“, meinte aber damit nicht
die mörderischen Jugendlichen, sondern, unter anderen, „die gewalttätige
Sandlerszene“ (Rathaus-Hintergründe 4/94). Das aber war Walters Reaktion: „Die
Innsbrucker SandlerInnen sitzen wieder benommen vom billigen Rotwein hinter der
Markthalle. Sie werden sich gegen diese Gesellschaft nicht wehren. Sie warten
auf ein Wunder, oder dass ein Rowdy mit Springerstiefeln ihrem Leben ein Ende
macht, beschrieb Helmut Dahmer ihre triste Perspektive.
Die faschistoiden Hetzer vom Schlage eines Warzilek aber sitzen breitarschig
auf den bequemen Sesseln der Macht. Wer sich angesichts dessen nicht mit dem
Gedanken radikaler Änderung dieser bestehenden Ordnung beschäftigt, hat kein
Herz.“ (Der Tod eines Sandlers; Die Linke, 19.3.1994, S.5)
IV
Der Internationalist
Was ihr ja wisst: Dass Walter Nicaragua-Brigadist war, dass ihm nach einem
Algerien-Aufenthalt die Veränderungen in diesem postrevolutionärem Land stets
nahe gingen, dass Walter die SOAL mehrfach beim Weltkongress der Vierten
Internationale als Delegierter vertreten hat, dass er jene verachtete, die
nicht über ihre eigene Nasenspitze hinaussehen konnten und kleinliche
Machtkämpfe im (österreichischen) Hinterhof einer internationalistischen
Perspektive vorzogen...
V
Letzte Worte
In Zeiten wie diesen, die keine guten sind, ist einer, dem wir vertraut haben,
gegangen.
Unser Freund und Genosse Walter Kanelutti wurde 62 Jahre. Wir werden ihn nicht
vergessen.
Die
Verabschiedung erfolgt am 14. Juli, 12 Uhr, Zentralfriedhof Tor 2, Halle
2