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Trau, schau, wem

Kurt Hofmann

Anmerkungen zur ORF-Krise und zum Öffentlich-Rechtlichen Verständnis

24.04.2007

Berlin, Februar 2001, eine Telefonzelle im Freien: Ich wähle eine Nummer, als mir jemand auf die Schulter tippt. Mich umwendend, sehe ich Kameras auf mich gerichtet. Ein unangenehm grinsender Reporter hält mir das Mikro entgegen: "Singen Sie mir mal ihr Lieblingslied!" heißt die Aufforderung: ein Nein ist offenbar nicht vorgesehen. Als ich mich doch weigere, erfolgen die Hinweise auf die unermesslichen Möglichkeiten, derer ich mich durch eine Nichtteilnahme begeben würde. Tausende und Abertausende könnten meine Stimme hören, und mir, gefiele ihnen, was sie da hörten, mittels Voting eine Einladung für die Abendshow des Senders verschaffen, in welcher ich, gesetzt, mein Lied wäre mehrheitsfähig beim Livepulikum, ein ahnsehnliches Sümmchen gewinnen könnte. Noch während mir das erzählt wird, habe ich mich bereits wieder dem Telefon zugewandt und verwähle mich prompt. Den Hörer einhängend, vernehme ich, wie der abgewiesene Propagandist dies mit: "Der Schlingel tut offenbar nur so, als würde er telefonieren!" kommentiert. Viele fühlen sich berufen, wenige nur werden auserwählt: Dennoch sind die ersten Worte, die ich assoziiere, nicht Glücksfall und einzigartige Chance, sondern Nötigung und beispiellose Dreistigkeit...

Bei "uns" aber ist es heimelig und alles anders. Das Prinzip der Dualität zwischen Öffentlich Rechtlichen und Privaten habe sich bewährt, bemerkte Staatssekretär Morak, der das ja wissen muss, kürzlich in der ORF-Debatte des österreichischen Parlaments. Was aber ist Öffentlich Rechtlich in Zeiten drohender Verwechselbarkeit? Was hält die amtierende Generaldirektorin des ORF von (zumindest gelegentlicher) Quotenabstinenz und Qualitätskontrolle? Bereits anlässlich ihrer Amtsübernahme vertraut sie sich Armin Thurnher an: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Druck des Marktes sich gegen Qualität richtet. Sie können in einem Markt nicht Dinge positionieren, die keine Qualität haben." Und weiter: "Ich bin überzeugt davon, dass ein Großteil der österreichischen Bevölkerung ziemlich sauer reagieren würde, wenn man ihm sagt, dass der Musikantenstadl kein Qualitätsprogramm ist." (Falter 8/02, S. 15) Gut ist, was gefällt? Zum Vergleich einige allseits bekannte Parolen, die das freie Spiel der Kräfte anpreisen: Was für die Wirtschaft gut ist, ist auch für die Bevölkerung gut. Wenn die UnternehmerInnen weniger Steuern zahlen, werden mehr Arbeitsplätze geschaffen. Konkurrenz garantiert niedrige Preise. Usw, usf.

Demokratie bedeutet Vielfalt und volle Regale: Dabei fällt die Wahl zwischen Waschmittel A und Waschmittel B ebenso schwer wie jene zwischen Strache und Westenthaler oder zwischen der Quizsendung des ORF und dem identen Format auf RTL. Man kann über alles sprechen, auch öffentlich (immer wieder auch Öffentlich-Rechtlich). Stetig steigend die Zahl jener, die coram publico ihre Schuld, andere betrogen, belogen, beleidigt zu haben, gestehen: "Es gab übrigens zu allen Zeiten öffentlich vorgetragene Bußen. Virtuose Bußheilige – denken Sie an die gesamte Geißlerbewegung, die durch die Städte gezogen sind. Die haben sich öffentlich auf dem Marktplatz gegeißelt, für die Sünden der Menschheit, aber auch für die eigenen Sünden. Das nennt man auch Bußvirtuosen. Dazu gehört immer die Öffentlichkeit und das Reinigungsritual, also [im Fall der Talkshow, K.H.] der Auftritt und das Sich-Riskieren im Fernsehen, also auch das sich zu entblößen." (Prof. Dr. Jo Reichertz, Kommunikationswissenschaftler, in: "TV – Die Undercover-Religion", 22.12.2000, RTL) Zu den redseligen Geläuterten drängen sich jene, die nach Gerechtigkeit dürsten. Abseits der hässlichen Realität armer Würstchen, die vor den Schranken des Gerichts in die Schranken gewiesen werden (der dazu passende, wenn auch stets als unpassend empfundene Begriff heißt Klassenjustiz), gibt es die Fernsehgerichte. Echte Richter mit Qualitätsprüfsiegel, weil in den Sälen der Justiz erprobt, mimen hier echte Richter, die selbst den heikelsten (erfundenen) Fall souverän lösen. Immer wieder werden Unschuldige durch plötzlich auftauchende ÜberraschungszeugInnen rehabilitiert, verhaspeln sich die wahren Schuldigen im Lügengestrüpp ihrer Intrigen. Da wird beteuert, geheult und gebrüllt, "was das Zeug hält" (zum Leidwesen vieler Gerichte vermeinen die Gerichtsshow-Freaks, dies sei auch bei den real stattfindenden Prozessen nicht anders, platzen mitten in die Verhandlung und schreien herum...).

Das Fernsehen wird hier zum zur Ersatzreligion und zum Problemloser, persönliche und gesellschaftliche Defizite verschwinden wie von Zauberhand. Wenn sich eine Gruppe junger Menschen zum Gaudium des Publikums rund um die Uhr überwachen lässt, hat das offenbar Unterhaltungswert und – ein Ablaufdatum. Da wird dann kaum mehr nachgefragt, wenn der Staat (selbstverständlich zum Schutze seine seiner Bürgerlnnen) unlimitiert und -kontrolliert, ohne vorherige Einverständniserklärung, im Öffentlichen Raum und mit Lauschangriffen beobachtende Kameras und Mikros installiert. Sie ("Wir") haben doch nichts zu verbergen... Fernsehen mit Vorbildwirkung: Hoffentlich kann beim nächsten Sozialabbau in Deutschland noch die positive Stimmung "mitgenommen" werden, die Klinsmann und seine Fußballnationalmannschaft, potenziert durch "public Viewing", während der WM vorgelebt haben...

Abseits der Shows, im Nachrichten- und Informationsbereich begänne das eigentliche Revier des Öffentlich-Rechtlichen, heißt es. Was zu sehen ist, hat "wirklich" stattgefunden. Alles über die ("Große") Welt und die kleine, österreichische (in der die große ihre Probe hält), ist hier, objektiv und im öffentlich-rechtlichen Sinne, zu erfahren. Man muss nicht erst auf Auswahl, Formulierungen, gar Manipulationen, Naheverhältnisse verweisen, um dies – grundsätzlich – anzuzweifeln: "Etymologisch meint Nachricht: Sich nach etwas richten, das man nur in dem Maß zu verstehen braucht, als man im Nach-Richten, im Nachvollzug der Richtung, sich selbst ausrichtet.[…] Der Befehlscharakter des Nachrichtenbildes […] verweist uns direkt auf die Machtwirkungen des Fernsehens: Zu nennen wäre die soziale Funktion des Fernsehens (die Herstellung eines universalen Konsenses in Form des 'jedermann weiß'), dessen Übertragungsstruktur (die gleichzeitige Ausstrahlung in alle angeschlossenen Haushalte) sowie die Komplizenschaft, die es mit seinem Publikum unterhält (die direkte Anrede, mit der der Moderator/Staatsmann sich an die Zuschauer wendet)."(Vrääth Öhner/Dreimal Fernsehen, Meteor 2/1996)

"Eine pluralistische Information ist nur denkbar durch einen demokratisch organisierten Rundfunk, nicht aber in einer hierarchischen Organisation, die Versuche, den Standpunkt nicht genehmer Interessensgruppen zu artikulieren, im Keim erstickt. Weit davon entfernt, den demokratischen Ansprüchen eines freien Journalismus zu genügen, welcher auf der Eigenverantwortung jedes Autors beruht, wird diese Organisationsform nicht einmal den Prinzipien modernen Managements gerecht, das auf der Delegierung von Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen bis in die mittleren und unteren Ebenen fußt. Im ORF sind Journalisten zu Befehlsempfängern degradiert." Wie Werner Mück offenbar als zentraler Chefredakteur mit Durchgriffsrecht im ORF agiert, schildern hier Lutz Holzinger, Michael Springer und Jörg Zeller in ihrer " 'Zeit im Bild'–Analyse–Information im Fernsehen", erschienen 1973 im Verlag Jugend und Volk... "Wir" müssten uns die "Bildermaschine ORF wieder zurück erobern", meinte Andrea Dusl anlässlich einer Podiumsdiskussion während der diesjährigen Diagonale. An diesem Bild stimmt nichts: Weder haben "wir" die "Bildermaschine ORF" jemals besessen, noch wurde sie für "uns" gebaut, geschweige gab es ein "wir" und "uns" mit den einstigen ORF-Spitzen vor Lindner, sei es nun Bacher, Oberhammer, Podgorski, Zeiler oder Weis. Wer meint, mit dem Weggang und Lindner und Mück wäre das Problem gelöst, hat seine/ihre Illusionen noch bewahrt. (Freilich wäre der Tag des Abschieds der Beiden dennoch ein Freudentag...) Wenn bei der Viennale 2005 im Rahmen der Reihe "ORF 3" Nischenproduktionen von hoher Qualität aus den 1970er Jahren (darunter auch ein Essayfilm von Elfriede Jelinek über die Ramsau!) zu sehen waren, so sagt das wenig über den ORF jener Tage aus, in dem sie Ausnahme – und nicht Regelfall waren, geriet jedoch zum Offenbarungseid für den heutigen ORF, der selbst für Nischenproduktionen keinen Platz mehr hat, weil es die alles diktierende Quote verbietet.
Aufwendige Produktionen wie die "Alpensaga" oder das "Dorf an der Grenze" wären heute ohnedies nicht mehr vorstellbar, weniger aus Gründen der politischen Zensur (für die man, siehe Kronenzeitungs–Film oder "Artikel 7" naturgemäß in schwarz-blau-orangen Zeiten nicht lange nach Beispielen suchen muss), denn aus der Behauptung, dass "das" die KonsumentInnen des Programmes nicht sehen wollten: "Man kann und muss im Namen der Demokratie gegen die Einschaltquote kämpfen. Das scheint sehr paradox, denn die Parteigänger der Einschaltquote behaupten, dass es nichts Demokratischeres gebe […], dass man den Leuten die Freiheit lassen müsse, zu wählen ('Bloß eure elitären intellektuellen Vorurteile lassen euch all das als verächtlich erscheinen'). Die Einschaltquote ist die Sanktion des Marktes, das heißt einer externen und rein kommerziellen Legalität. […] Das unter der Herrschaft der Einschaltquote stehende Fernsehen trägt dazu bei, die als frei und aufgeklärt unterstellten Konsumenten Marktzwängen auszusetzen, die, anders als zynische Demagogen glauben machen wollen, mit dem demokratischen Ausdruck einer aufgeklärten, vernünftigen öffentlichen Meinung, einer öffentlichen Vernunft, nichts zu tun haben." (Pierre Bourdieu / Über das Fernsehen, S. 95; edition suhrkamp)



P.S.: Drei Stichworte zum Tagesgeschäft
  1. Wildwuchs: Wird das einzig noch existierende öffentlich–rechtliche Refugium Öl von Niederösterreichs Landeshauptmann Pröll genannt
  2. Feinjustierung: Ist wohl die elegante Einkürzung einer Nachricht des ORF-Teletextes für die ZiB l über zwei Banken–Einladungen an Grasser gemäß Pilz, von der für die Hauptnachrichtensendung nur das Dementi der einen, nicht die Bestätigung der anderen Bank übrig bleibt.
  3. Unabhängigkeit: Peter Westenthaler hat seine Liebe zu einem freien und unabhängigen ORF entdeckt. Frei und unabhängig – wovon?


02-08-2006, 20:15:00 |Kurt Hofmann