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Die Sünden der Vergangenheit

Ein Wirtschaftskrimi. Kaum vorstellbare Mengen von Geld. Opportunismus, Korruption, Betrug, Inkompetenz und Arroganz. Die Fortsetzung der Konsum-Pleite. Ein Sittenbild einer Gewerkschaft. Ein Kommentar zum ÖGB und zur ÖGB-Krise von Thomas Kerschbaum

19.09.2007

Die Krise der Österreichischen Gewerkschaftsbewegung ist hausgemacht. Das ist richtig. Andererseits sind die Gewerkschaften europaweit seit Jahren in der politischen und organisatorischen Defensive. Die Debatte über die wirklichen, auch politischen Ursachen der existenzbedrohenden Krise des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und seiner Gewerkschaften, ist trotz oder vielleicht wegen der dramatischen Auswirkungen im ÖGB selbst zum Erliegen gekommen. Ein Versuch einer Bestandsaufnahme.

Die Krise

Ein Wirtschaftskrimi. Kaum vorstellbare Mengen von Geld. Opportunismus, Korruption, Betrug, Inkompetenz und Arroganz. Die Fortsetzung der Konsum-Pleite. Ein Sittenbild einer Gewerkschaft.

Von außen betrachtet ist der ÖGB in bemitleidenswertem Zustand. Fast bankrott und auf die Einnahmen durch die Mitgliedsbeiträge zurückgeworfen, wird die Organisation des ÖGB und der Einzel-Gewerkschaften auf ein leistbares Maß verkleinert. Alle gewinnbringenden Unternehmen im Zusammenhang mit dem BAWAG-Deal mussten verkauft werden. Die verschachtelten Unternehmens- und Finanzkonstruktionen müssen mühsam entflochten werden. Der Verkauf der BAWAG ist eine so dramatische Demütigung des ÖGB in der Öffentlichkeit, gegenüber der österreichischen Bundesregierung und vor allem gegenüber dem bürgerlichen Lager, dass sich eine Schockwelle innerhalb der Gewerkschaften ausbreitete. Der ÖGB konnte sich einige Monate nur mit der Haftung seitens der schwarz-blauen Bundesregierung über Wasser halten. Die VertreterInnen der Bundesregierung, allen voran der ÖVP-Bundeskanzler, demonstrierten ihre Macht, über das Weiterbestehen des ÖGB entscheiden zu können. Der ÖGB als Bittsteller. Immer wieder wurde das großzügige Verhalten des bürgerlichen Lagers und vor allem der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung gegenüber den Gewerkschaften in der Presse erwähnt. Die Sozialpartnerschaft lebt und hat ihren Preis.

Verzweiflung überall, Angst um die Gewerkschaften, Wut und Ärger über die FunktionärInnen an der Spitze. Aber, mit Abstand betrachtet, war eigentlich schon die Konsum-Pleite eine dramatische Niederlage der Gewerkschaften. Auch damals war der Schock groß innerhalb der Organisation, FunktionärInnen der mittleren und unteren Ebene forderten Konsequenzen, mehr Professionalität und Demokratie innerhalb des ÖGB. Schnell war damals auch die Diskussion vorbei. Noch im Herbst 2006 erlebten wir eine Prämiere im ÖGB: So genannte Reform-Konferenzen und eine groß angelegte Befragung der einfachen Mitglieder wurden organisiert, so genannte Reform-Arbeitsgruppen zu bestimmte Themen im ÖGB sollten Vorschläge für einen neuen - demokratisierten, offenen, transparenten - ÖGB erarbeiten. Dann der ÖGB-Kongress Anfang 2007: Eine von allen Gewerkschaften ausgearbeitete Reform-Resolution. Wenn man die politische Verfassung und Führung der Mehrheitsfraktion in Rechnung stellt, ist diese Reform-Resolution sehr "weitgehend" hinsichtlich der versprochenen Demokratisierung. Es mag jedoch unverständlich klingen: Aber mit der Abstimmung beim ÖGB-Kongress 2007 über diese Reform-Resolution war die Diskussion beendet. Es machte sich eine spürbare Erleichterung in den Funktionärsetagen des ÖGB bemerkbar, jetzt konnte man sich ausschließlich der einzig wichtigen Problemstellung widmen: der Finanzmisere.

Haus und Geld

Der Verkauf der BAWAG an den US-amerikanischen Investment-Konzern Cerberus ist zwar finanziell sicherlich das weitaus beste Angebot für den ÖGB gewesen, allerdings um einen hohen politischen und moralischen Preis. Nach dem so genannten Closing des Verkaufsprozesses Mitte Mai 2007 ist die so traditionsreiche Bank der österreichischen Gewerkschaftsbewegung Geschichte. Und das besonders tragische Element in dieser Geschichte ist nicht der endgültige Verlust dieser finanziellen Melkkuh, es ist die Tatsache, dass im Bewusstsein der vielen tausenden einfachen Mitglieder des ÖGB die BAWAG bereits vorher eine ganz normale Bank war. In der Öffentlichkeit ist zwar bekannt gewesen, dass ÖGB und die BAWAG oder auch das eine Reisebüro oder das andere Hotel irgendeine Verbindung haben, aber mehr auch nicht. Eigentlich sind die finanziellen Beziehungen des ÖGB zur BAWAG auch für die tausenden FunktionärInnen im Mittelbau des ÖGB bis heute eine undurchsichtige Angelegenheit geblieben. Zur Rettung des ÖGB muss nun die Organisation schlanker werden, müssen die Standorte des ÖGB und der Gewerkschaften "optimiert" werden, muss an allen Ecken und Enden gespart werden. Der ÖGB muss sich auch eine neue Bleibe suchen. Die Abfindung an die ÖGB-PensionistInnen, die auf ihre Zusatzpension verzichtet haben, konnte nur mit dem Verkauf der alten ÖGB-Zentrale in der Innenstadt finanziert werden.

Im Zuge der Re-Organisation des ÖGB ist ein schon lange schwelendes Problem an die Oberfläche gekommen: die Finanzierung des ÖGB und der Einzel-Gewerkschaften. Der ÖGB hat seit seiner Gründung ein Strukturproblem. Die tatsächliche Organisierung der ArbeitnehmerInnen erfolgt durch die Einzel- bzw. Fachgewerkschaften, die  bis heute jeweils unterschiedliche Strukturen, Organisationsphilosophien und -kulturen haben. Der ÖGB hat jedoch als Dachorganisation aller Gewerkschaften die Rechtspersönlichkeit, von der sich die rechtliche Stellung aller Gewerkschaften ableitet. Die Gewerkschaften des ÖGB sind eine Mischung von Industrie-Gewerkschaften, beruflicher und rechtlicher Standesvertretung, da sie zum Beispiel ArbeiterInnen und Angestellte getrennt organisieren. Zudem sind die Beschäftigten in der Privatwirtschaft getrennt von jenen des öffentlichen Dienstes organisiert. Die Finanzstruktur und finanzielle Situation der einzelnen Gewerkschaften ist daher sehr unterschiedlich. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben durch den hohen Organisationsgrad und der tendenziell höheren Mitgliedsbeiträge (vor allem die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten) viel höhere Einnahmen als jene Gewerkschaften in der Privatwirtschaft, die vor allem Beschäftigte in Niedriglohn-Bereichen, Frauen und atypisch Beschäftigte organisieren. Oder: Einige Gewerkschaften engagieren sich auch in eigenen Unternehmen - wie Wohnbau-Genossenschaften und Immobilien. Oder: Die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten hebt von ihren Mitgliedern auch einen 13. und 14. monatlichen Mitgliedsbeitrag ein, die meisten anderen Gewerkschaften nicht.

Der ÖGB hat diese finanziellen Unterschiede dadurch ausgeglichen, dass die "reichen" Gewerkschaften absolut viel mehr zur Finanzierung des ÖGB beigetragen haben. Seit der Krise ist alles anders: Die finanziell gut ausgestatteten Gewerkschaften drängen auf ein ÖGB-internes Finanz-Abkommen, um ihre Zahlungen zu reduzieren bzw. einzuschränken. Am Beispiel "gemeinsames ÖGB-Haus" für alle Gewerkschaften zeigt sich die Zerissenheit des ÖGB. Es gibt mittlerweile einige Gewerkschaften, die ihre bisherigen Häuser behalten werden und nicht in ein gemeinsamen ÖGB-Haus ziehen werden. Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst will mit einer Drohung nach einer organisatorischen Abspaltung vom ÖGB mehr finanzielle Eigenständigkeit erreichen. Und es scheint, als ob diese Strategie erfolgreich ist: GÖD und GdG werden ihre Beiträge an den ÖGB drastisch reduzieren.

Der ÖGB wird in Zukunft ein noch schwächeres Dach der zum Teil bereits fusionierten derzeit neun Einzel-Gewerkschaft sein. Die finanzielle Zukunft des ÖGB und so mancher Einzel-Gewerkschaften steht noch immer in den Sternen. Die politischen Diskussionen sind angesichts der finanziellen und organisatorischen Misere in den Hintergrund getreten. Der ÖGB ist hin und her gerissen zwischen den organisatorischen Interessen der Bürokratie der Einzelgewerkschaften - diese Konflikte bestehen vor allem innerhalb der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen selbst - und den Interessen einer Gesamtorganisation. Diese organisatorischen Konflikte lähmen den ÖGB politisch - und derzeit können wir eine Renaissance der Sozialpartnerschaft erleben, die auf fruchtbaren ÖGB-Boden fällt. Die ÖGB-Führung flüchtet sich in die Arme der "Sozialpartner" Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Die ÖGB-Führung verhandelt wie in den "guten, alten" Zeiten der Sozialpartnerschaft hinter verschlossenen Türen, auf der Ebene der "Präsidenten" für die Regierung Gesetze aus - Arbeitszeit-Flexibilisierung, Ladenöffnungszeiten, Sparmaßnahmen in der Sozialversicherung ... Man hätte ja das Pouvoir durch ÖGB-Bundesvorstands- und Konferenzbeschlüsse. Die Einzelgewerkschaft und selbstverständlich die tausenden BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und Mitglieder erfahren von den Ergebnissen der so genannten Verhandlungen wieder nur aus den Medien. Die so genannten Erfolge werden dann in den Gewerkschaftsmedien gefeiert, gerechtfertigt und den noch immer kritischen FunktionärInnen im ÖGB-Nachrichtendienst "erklärt". Für kritische Meldungen - als offizielle ÖGB-Meinung - ist kein Platz. Die kritischen Meldungen aus den Reihen der BetriebsrätInnen und "kleinen" FunktionärInnen zum Beispiel zur Arbeitszeit-Flexibilisierung erscheinen neuerdings in der Rubrik "Leserbriefe" in der Solidarität - natürlich mit einem Kommentar der Redaktion. Auch nichts neues.

Ein Aspekt dieser politischer Rückbesinnung ist die Erkenntnis, dass es so etwas wie den Streikfonds nicht gegeben hat in den letzten Jahren. Dieser so genannte Streikfonds bestand zuletzt in BAWAG-Aktien, also in Anteilen des eigenen Eigentums. Bei einem Streik hätte der ÖGB also sowieso einen Teil der Bank verkaufen müssen. Ein Puzzlestein, warum die ÖGB-Führung derart kompromissbereit und entgegenkommend gegenüber dem Kapital und den Verbänden des "Klassenfeindes" war. Nun ist es offensichtlich: Es gibt keinen Streikfonds und keine Rücklagen, um einen längeren Arbeitskampf finanzieren zu können. Da der ÖGB allerdings im Fall eines vom ÖGB-Bundesvorstand autorisierten Streiks auch finanzielle Verpflichtungen gegenüber den betroffenen Mitglieder hat, fördern diese Zusammenhänge eine "konservative", sozialpartnerschaftliche Einstellung in Sachen Arbeitskämpfe. Eigentlich eine politische Konkurs-Erklärung der Gewerkschaft.

Politischer Problemkomplex

Die Organisation des ÖGB und der Einzel-Gewerkschaften hat ihre Wurzeln in der politischen Lage in Österreich, die das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs gewesen ist. Der ÖGB ist eine Gründung von Parteien: insbesondere der SPÖ und der ÖVP sowie, geschuldet der politischen Bedeutung der "Siegermacht" Sowjetunion, auch der KPÖ. Die in der Arbeitsverfassung geregelte Kollektivvertragsfähigkeit erhält der ÖGB durch Anerkennung durch den österreichischen Staat. Das Arbeitsverfassungsgesetz ist hinsichtlich der Kollektivvertragsfähigkeit auf den ÖGB hin formuliert. Dieses zentrale Recht einer Gewerkschaft ist in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich geregelt, eine derartig staatlich regulierte Form der Tarifverhandlungen auf Grund der Kollektivvertragsfähigkeit ist in Europa selten. Der ÖGB ist als quasi Staats-Gewerkschaft gegründet worden, als einheitlicher, alle staatsgründenden politischen Kräfte umfassender Gewerkschaftsbund. Die innere Struktur war und  ist extrem zentralistisch. Ohne auf die komplexen Zusammenhänge mit dem politischen System in Österreich einzugehen, die österreichische, institutionalisierte Form der Sozialpartnerschaft wäre ohne diese zentralistische, aus der Sicht der Mitglieder undemokratische Organisation nicht möglich gewesen. Die Gründung des ÖGB fällt in die Phase des Kalten Krieges, in die Zeit des Antikommunismus sowie der politischen Konflikte in der SPÖ um den pro-westlichen Kurs und war demnach nicht nur den allgemeinen politischen Entwicklungen in Österreich ausgesetzt, sondern auch intern Schauplatz von ideologischen, (partei-) politischen und sozialen Auseinandersetzungen.

Die Stärke des ÖGB hinsichtlich der Mitgliederzahl ist bis heute im Kern durch die institutionellen Verbindungen mit dem Staat, quasi-staatlichen Institutionen wie Arbeiterkammer und Sozialversicherungen, sowie mit den großen Parteien gekennzeichnet, obwohl es seit Jahren und, beschleunigt durch eine Austrittswelle auf Grund des BAWAG-Skandals, eine sinkende Mitgliederzahl gibt. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen seit Ende der 70er Jahre treiben die Gewerkschaften europa- und weltweit in die Defensive, aber eine Gewerkschaft mit sozialdemokratischer und christlich-sozialer Führung muss doppelt "zahlen". Durch die Verbindung mit den parteipolitischen Strukturen, gekennzeichnet durch die Mehrfach-Funktionen der SpitzenfunktionärInnen in Partei, Kammer und Gewerkschaften, muss die Gewerkschaftsbewegung schon im Vorfeld sozialer und wirtschaftlicher Konflikte "klein beigeben".

Eine Gewerkschaftsbewegung, die nie kämpft, mit einer Führung, die immer Verständnis für die Politik der Regierenden und "Sozialpartner" auf der Basis des Neoliberalismus hat, hat tendenziell aufgehört wie eine Gewerkschaft zu denken und zu leben. Die finanzielle und organisatorische Krise geht einher mit einer noch viel größeren politischen Krise. Die politische Fraktionierung des ÖGB hat sich natürlich seit Ende der 70er Jahre auch weiter entwickelt. Auf der Basis der Verdrängung, Ausschaltung und Repression der kommunistischen Teile der Gewerkschaftsbewegung hat sich bis heute ein undemokratisches, repressives und zentralistisches System im Inneren aufgebaut, das Opposition im ÖGB kaum an die Oberfläche lässt. Der ÖGB wird in der breiten Öffentlichkeit und auch in der veröffentlichten Meinung im Wesentlichen als SPÖ-Organisation, die GÖD als ÖVP-Organisation wahrgenommen. Die politische Krise hat zu einem dramatischen Absinken der Mitgliederzahlen und des Organisationsgrads insbesondere in der Privatwirtschaft - besonders im Bereich der Dienstleistungen, neuer Technologien und im Sozialbereich - geführt. Der ÖGB ist politisch schwach und leistet sich zudem eine Führung, die die Gewerkschaften noch schwächer macht. Die Übernahme politischer Konzepte der Regierenden durch die ÖGB-Führung lässt nicht zu, dass die Gewerkschaften wie in anderen europäischen Ländern zumindest ein oppositioneller Sammelpunkt gegen neoliberale Politik wird. Die ÖGB-Politik schwächt somit die gesamt-gesellschaftliche Opposition gegen den Neoliberalismus (insbesondere im Bezug auf sozialdemokratische Regierungen). Keine sozialen und wirtschaftlichen Kämpfe zu führen und keine Streiks zu organisieren, gehört nicht zur Normalität einer Gewerkschaft - auch nicht in Europa. Die sozialdemokratische Führung des ÖGB hat insofern einen österreichischen Sonderweg der Gewerkschaftsbewegung entwickelt, als sie völlig auf eine eigene gewerkschaftspolitische Positionierung des ÖGB verzichtet.

Widerstand und Opposition im ÖGB

Die langen Jahre der politischen Entmündigung der eigenen Mitglieder, durch ein inneres repressives System und durch die Sozialpartnerschaft als Leitideologie, lassen derzeit das Entstehen einer breiten oppositionellen innergewerkschaftlichen Bewegung gegen diese alte, "neue" Führung des ÖGB nicht zu (die eigentlich auch die finanzielle Krise verantworten müsste). Die innergewerkschaftliche politische Opposition ist in zwei kleinen Fraktionen des ÖGB organisiert: Gewerkschaftlicher Linksblock (GLB) und Unabhängige GewerkschafterInnen (UG). Diese Opposition ist derzeit organisatorisch zu schwach und wird vom ÖGB-Apparat durch die rationierte Zuteilung der Ressourcen auch zu schwach gehalten, um eine Trendwende im ÖGB durch die ÖGB-Gremien anzustoßen. Im Bereich der Einzelgewerkschaften hat die innergewerkschaftliche Opposition keinen Zugriff auf die Ressourcen der Gewerkschaften. Auf Grund der Versprechen im Zuge der so genannten ÖGB-Reform musste die ÖGB-Führung diesen Fraktionen allerdings einige Rechte in der Organisation zugestehen, aber eine reale Auswirkung auf den politischen Kurs ist nicht zu bemerken. Abgesehen davon: Es nützt wenig, einen oder zwei Sitze mehr in ÖGB-Gremien zu haben, wenn andererseits zu wenig Geld und Ressourcen für die Minderheitsfraktionen bereit gestellt wird. Die linke Opposition im ÖGB fordert auch Wahlen im ÖGB und vor allem in den Einzelgewerkschaften. Es sollen auf regionaler Ebene Versuche stattfinden, Wahlen in ÖGB-Regionalgremien zu erlauben. Aber das Wie steht noch in den Sternen. Da die Macht auf Veränderung in den Fach- bzw. Einzelgewerkschaften liegt, wären die Gewerkschaftswahlen auf dieser Ebene der Schlüssel für Veränderung. Es gibt derzeit nur in einigen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes Wahlen, die mit den Wahlen für die Personalvertretung und die Betriebsräte gekoppelt sind, jedoch vielfach nicht ein entsprechendes demokratisches Niveau erreichen. Wegen dieser Umstände sind die UG-Organisationen und der GLB auch außerhalb des ÖGB aktiv und positionieren sich als eigenständige Organisationen.

Die Frage ist: Muss auch der ÖGB völlig am Boden liegen, um eine Chance auf eine Neuorientierung zu haben? Als Vertreter einer dieser Minderheitsfraktionen im ÖGB muss ich leider abschließend konstatieren, dass die Lernbereitschaft der FSG/ FCG-ÖGB-Führung gegen Null tendiert. In vielen Bereichen sehen wir sogar eine Rückentwicklung, deutlich sichtbar durch die Renaissance der so genannten Sozialpartnerschaft auf der Basis eines immer schwächer werdenden ÖGB. Beispiele: Sozialpartner-Einigung in der Arbeitszeit-Flexibilisierung, Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, Stellungnahme zum Programm der Koalitionsregierung. Die Tragik der österreichischen ArbeiterInnen-Bewegung ist, dass es keine realistische Alternative zum ÖGB als bestehender Gewerkschaftsorganisation gibt. Die Perspektive geht daher in Richtung Veränderung der ÖGB-Gewerkschaften und Aufbau der Gewerkschaftsfraktionen der Unabhängigen GewerkschafterInnen.

Die weitere Schwächung, Zerschlagung und Auflösung der bestehenden Gewerkschaften würde eine derartig politische Niederlage der ArbeiterInnen-Bewegung darstellen, dass eine schnelle neoliberale Umgestaltung der österreichischen Gesellschaft möglich wäre. Es scheint jedoch, dass die inneren Reformkräfte des ÖGB derzeit viel zu schwach sind, um eine für die Öffentlichkeit und Mitglieder bemerkbare Reform zu bewerkstelligen. Aus meiner Sicht ist daher notwendig: der Aufbau einer stärkeren innerorganisatorischen Alternative mit Hilfe neuer, noch nicht organisierter Schichten der - drücken wir es traditionell aus - ArbeiterInnenklasse, wieder Orientierung auf die betriebliche Organisierung der Beschäftigten und Unterstützung durch die zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen, die auch ein elementares Interesse an einer lebendigen Gewerkschaftsbewegung haben müssten. Die österreichische Gewerkschaftsbewegung ist sicherlich nicht am Ende ihrer Geschichte angelangt, es bedarf nur einer radikalen Aufarbeitung und Neuorientierung. Wie heißt es so schön im Jargon der Unternehmensberater: Notwendig ist eine Konzentration auf die Kernbereiche einer Gewerkschaft - auch in der politischen Orientierung.