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Abstand halten! Anmerkungen zu einem falschen „Wir“

Kurt Hofmann

Nun also alle gemeinsam ab ins „Team Österreich“. Eine gemeinsame Fahrt durch einen Tunnel steht an, am Ende wartet ein Licht. Gemeinsam werden Wir nach dem Lockdown den Breakdown vermeiden und beim Showdown triumphieren.

21.09.2020

Freitag, 18.9.2020: Eine Pressekonferenz der vier Unentwegten. Alles wie gehabt, mahnendes Raunen mischt sich mit vager, aber süßer Hoffnung. Schließlich übernimmt Karl „There's a New Sheriff in Town“ Nehammer, klagt über Reisewarnungen, sieht einen bald dahinsiechenden Tourismus, der ein dahinsiechendes Land zur Folge haben könnte. Wenn nicht: “Es braucht unser gemeinsames Zusammenwirken, dass wir das im Sinne des Gemeinsamen in den Griff bekommen und durch diesen Schulterschluss der Bevölkerung auch tatsächlich gemeinsam erreichen!“ Das ist, wie stets, elegant formuliert, zeigt eine Perspektive auf (naturgemäß mit einem Partner, der Polizei, bereit, an alle Türen zu klopfen) und erreicht in der Aussagekraft ein berühmtes Raimund'sches Wort aus „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“: „Ich bin dein Vater Thersises und ich habe dir nichts zu sagen als dieses!“ … Auf der Zauberinsel Österreich, der Insel der Seligen, galt das von Nehammer beschworene Gemeinsame inmitten des worst case allerdings nicht für sozial Ausgegrenzte, Alte und Behinderte, jene, welche die neoliberalen Effektivitätskriterien auch sonst nicht erfüllen. Zu schweigen von den Gefangenen, deren schon üblicherweise eingeschränkte Rechte während des Shutdown (und noch darüber hinaus) zu einer Totalisolation ohne Besuchsrecht führten, was anwaltliche Kontakte miteinschloss.

O selig, ein Kind noch zu sein: Schafft ein zwei, viele Kinder , war schon stets die Parole der ÖVP. Was wunder, dass die Marketingexperten, denen die Aufbereitung der „Mitteilungen der Bundesregierung“ obliegen, den Babyelefanten erfunden haben. Der Babyelefant hieß früher Elefantenbaby und war vor allem beim Mobben korpulenter SchülerInnen sehr beliebt. Auch das mehrfach literarisch verewigte Kätzchen wurde mittlerweile, von kindlichem Tremolo begleitet, in „Babykatze“ (Mama schau, eine Babykatze!) umgetauft und kann sich nicht dagegen wehren... Wenn „Baby“ einem Wort vorangestellt wird, stellt das eine Assoziation zu süß und unschuldig her – ein Gegensatz zum schrecklichen und schuldigen Virus. Gleichzeitig ist damit der Weg zur Infantilität geebnet. Naheliegend, dass ein etwa dreizehnjähriger Junge in den „Mitteilungen der Bundesregierung“ zur Bevölkerung spricht und Gewichtiges mitzuteilen hat: „Jetzt heißt es, durchhalten und zusammenhalten. Deshalb wasche ich mir auch weiterhin regelmäßig die Hände.“ Und davor? Hygienische Abgründe in Österreichs Familien tun sich auf... Auch der ehemalige Volksschullehrer Anschober ist konsequenterweise in Sachen Infantilisierung zuständig, wenn er am 25.6.2020 im Ö1-Mittagsjournal zum Thema Verhalten im Urlaub feststellt, hilfreich wären jedenfalls „(...) die Hygienemaßnahmen, die wir gelernt haben“...

Wir, wir alle: “Wir alle können dankbar sein, wie gut wir bisher über die Pandemie gekommen sind!“ erklärt unser aller Kanzler am 14.9.2020 im Parlament und das klingt zunächst wie ein Satz auf einem Geburtstagsbillett. Allerdings ist ein Dank stets adressiert, er richtet sich an jemanden und sei es ein wie auch immer definiertes „Höheres Wesen“. Der Verdacht, dass das Fehlen des Adressaten in diesem Fall bedeutet, dass jener mit dem Adressanten ident ist, liegt nahe bei einem, der nur das Ich kennt und hier das Wir bemüht. Dass sich so viele Frauen während der Pandemie, insbesondere aber zu Zeiten des Lockdowns in die 1950-er Jahre zurückversetzt fühlten, dass sozial abgehängte Kinder während des Telelearnings noch mehr ins Abseits kamen, dass die xenophobe Schuldzuweisung an den „Westbalkan“ ebenso gut funktionierte wie einst das (antisemitische) freiheitliche Pendant der „Ostküste“: all dies kennzeichnet das ideologische Hoch der Türkisen während der Krise ebenso wie deren Verständnis eines „Wir“, das auf Ausgrenzung beruht. Jede/r auf seinem/ihrem Platz, alles soll so bleiben, wie es seit jeher war.

Daher heißt es konsequent Abstand halten gegenüber den Eingemeindungsversuchen ins „Team Österreich“, es ist ebenso notwendig wie in der Virusprävention.

Freilich, es gibt sie noch, die wahren PatriotInnen, die wissen, was ein Wir wert ist. Chris Yorke, Chef der Österreich Wein Marketinggesellschaft, erzählt im Interview mit Gerhard Hofer (Die Presse) von ihnen: “Hofer: 'Wie viel Wein wurde in den österreichischen Supermärkten verkauft?' Yorke: `Im März und April ist dort der Absatz von österreichischem Wein im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gestiegen!´ Hofer: ´in der Krise wurde also patriotisch Wein getrunken?´ Yorke:'Ja, die österreichischen Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber sind äußerst loyal.'“(Die Presse , 28.7.2020,S.19)

Saufen für's Vaterland, das ist ein Bekenntnis zum Wir, das beeindruckt. Und es steht in einer österreichischen Tradition der Seuchenbekämpfung: in einer Pestgrube liegend und reichlich mit Schnaps ausgerüstet, allerdings ohne patriotischen Ambitionen, hat bekanntlich auch der Liebe Augustin eine Pandemie überlebt...

Kurt Hofmann (to be continued)