Vorher und nachher
Kurt Hofmann
30 Jahre nach „1989“
09.11.2019
Wer kennt diese Reklame nicht: Dem ersten Foto ein- und derselben Person wird ein zweites gegenübergestellt. Der erste, unscheinbare Eindruck weicht einem zweiten, spektakulären – Wunder der Kosmetik. Auch wenn beim Betrachter/der Betrachterin damit nicht immer die gewünschte Reaktion erzielt wird, gemeinhin gelingt der Coup. Vorher - Nachher: Schönheit hat ihren Preis.
2011: Das Reintegrationsprogramm für Aufständische in Kundus hat begonnen. Maulawi Nabi ist „ (…) so etwas wie ein Vorzeige-Talib (…) Nach seiner Ausbildung an einer Koranschule in Pakistan hatte er sieben Jahre lang gegen die ausländischen Truppen im Land gekämpft. Nun tritt er auf Pressekonferenzen auf und erklärt, dass der Einsatz von Selbstmordattentätern eine Sünde sei.“ Aber leider: „ Wie so oft in Afghanistan hapert es an der Umsetzung durch die lokalen Behörden. Maulawi Nabi wartet bislang vergeblich auf sein versprochenes ‚Begrüßungsgeld’, eine Zahlung von jeweils 80 bis 150 Dollar über drei Monate.“ (beide Zitate: FAZ, 15.11.2011, S.3 – „Begrüßungsgeld für Taliban“)
1989: Selbstverständlich ist das Begrüßungsgeld gezahlt worden. Hier ist das Original, nicht die Kopie, zuständig. Wenn die armen Verwandten aus dem Osten kommen, sollen sie sich mal was gönnen dürfen. Später, nachdem zusammengewachsen sein soll, was zusammengehört, verspricht man denen von „drüben“, auch noch die „blühenden Wiesen“ und allerlei andere schöne Dinge.
2009: Der „Deutsche Armutsatlas“ erscheint. Erstmals gibt es Zahlen für Regionen. Die „ostdeutschen Länder“ schneiden bei dieser Untersuchung signifikant schlechter ab als die „alten Bundesländer“ der wiedervereinten Republik. Als arm gilt, wem weniger als 60% des mittleren Einkommens zur Verfügung stehen. Mecklenburg-Vorpommern erweist sich mit einer Quote von 24,3 als die ärmste Region Deutschlands. Zum Vergleich: die Quote von Baden-Württemberg, der reichsten Region, beträgt 10,0 (siehe: forumgegenarmut.de)
2019: Nach wie vor ist es nicht egal, ob eines in den „alten“ oder in den „neuen“ Bundesländern lebt. Das betrifft die Arbeitslosigkeit ebenso wie die Aufstiegschancen bei Spitzenpositionen. Allerdings: Eine Pastorentochter und ein Pastor aus dem „Osten“ sind im besten Deutschland, das es je gab, zu Spitzenpositionen aufgestiegen. Angela Merkel, welche, lange, bevor sie mit „Wir schaffen das!“ zum Feindbild der Rechten mutierte, das neoliberale Europa (mit der Führungsmacht Deutschland) als „alternativlos“ charakterisierte und somit Andersdenkende als deplaciert erklärte, war die eine der Beiden. Und der andere, Joachim Gauck, erklärt, immer unter Verweis auf seine DDR-Vergangenheit, engagierten Linken gerne die Welt. Als die Occupy-Bewegung allseits präsent war, richtete er jener aus: „ich habe in einem Land gelebt, in dem die Banken besetzt waren!“ Aktuell ist er um die Ausgrenzung von Rechten besorgt: „Fragwürdig an dieser Auffassung scheint mir allerdings, dass ein Begriff von Normalität gesetzt wird, der in der Gefahr steht, die Demokratie seinerseits zu beschädigen. In ihrer Meinungsstärke gegenüber Rechten haben Linke und Linksliberale (…) offensichtlich kein Problem damit, eine Eingrenzung oder gar Aussetzung der Meinungsfreiheit zu fordern und zu praktizieren, die sie, beträfe sie Linke, Feministinnen, Queere, Migranten, lautstark angeprangert würden.“ (Joachim Gauck: Toleranz einfach schwer; Herder-Verlag,S.104) Immer noch muss Prediger Gauck an der Lernfähigkeit seiner Landsleute verzweifeln. Da trifft er, geraume Zeit nach dem Anschluß der DDR, eine Frau aus seiner ehemaligen Rostocker Kirchengemeinde und wird herb enttäuscht: “Irgendwann (fragte ich sie: ’Und was hast du gewählt?’ Ihre Antwort: ‚PDS’. (Gauck, a.a.O., S.87) Ogott, ogott!
1988: In der DDR erscheint „Der Erste“, eine Reportage des Thüringer Autors Landolf Scherzer über den ersten Kreissekretär Hans-Dieter Fritschler. Vier Wochen lang darf Scherzer diesen begleiten und dabei beobachten, wie jener, trotz besten Absichten, immer wieder an der Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität scheitert. Dieser ungeschönte Bericht über einen, der will, aber nicht kann, wird breit diskutiert. Es entsteht eine „interne“ DDR-Debatte in Zeiten der „Glasnost“ in der Sowjetunion, die auch „extern“ in der BRD, Aufsehen erregt. Der DDR-Ausgabe im Greifenverlag zu Rudolfstadt folgt eine bei Kiepenheuer & Witsch. Denn es ist brisant, was der „Erste“ zu sagen hat: „Wir sitzen alle nur deshalb hier und reden uns nur deshalb die Köpfe heiß, damit das Ideal, das wir vom Sozialismus haben, und unsere Wirklichkeit immer mehr übereinstimmen. Aber Ideal und Wirklichkeit nähern wir uns nicht dadurch, dass wir statt 101 Dienstleistungen stolz 103 melden und dabei die wochenlangen Wartezeiten für die Bürger unterschlagen“ erklärt Fritschler im Rahmen einer Ratssitzung den GenossInnen. (Landolf Scherzer: Der Erste – Eine Reportage aus der DDR; Kiepenheuer & Wietsch, S.40) Und als im Westfernsehen ein vom sowjetischen Fernsehen übernommener Bericht über Festnahmen wegen Rauschgifthandels in der SU, von denen auch Regierungsbeamte betroffen waren, gezeigt wird, herrscht Erklärungsbedarf. Den Vertuschungswünschen einzelner Funktionäre tritt „Der Erste“ entschieden entgegen: „Es wird dir aber nichts anderes übrig bleiben. Wir haben schon genug damit zu tun, unsere Probleme so zu formulieren, dass sie die Leute nicht erschrecken.“ (Scherzer, a.a.O., S.209)
2006: 17 Jahre nach dieser Erkundung über die „Mühen der Ebene“ erscheint „Der Grenz-Gänger“ (Aufbau-Verlag, 2005). Landolf Scherzer bricht zu einer Wanderung entlang des ehemaligen Grenzstreifens zwischen Thüringen, Bayern und Hessen auf, durchquert 440 km zu Fuß, hält während dessen fünfzehn Mal zwecks Befragung und Beobachtung deutscher Grenzexistenzen an. Dabei erfährt Scherzer, wie einer, der nur ins Nachbardorf gezogen ist, sich in der Wahrnehmung seiner Verwandten nun in der „Ostzone“ befindet, trifft auf einen Adeligen, der sich darüber empört, dass er „seine“ Besitztümer in Thüringen nicht gratis wiedererhalten hat, und gleichzeitig seine und der treuen Hände Verdienste um den „Aufbau Ost“ hervorhebt. Landolf Scherzers Verweis auf die nicht gehaltenen Versprechen der Einheitsdeutschen weist er empört zurück. Alles sei bestens. Und auf Scherzers Nachfrage, wie denn hiezu die geschlossenen Betriebe und die Arbeitslosen passen würden, antwortet der Freiherr von Stein: „Es ist normal. Wenn eine Firma pleite geht, werden alle Beteiligten erst mal entlassen. Und ihre Firma, die DDR, war eben pleite!“ (Landolf Scherzer: Der Grenz-Gänger, S.239; Aufbau-Verlag)
„Die da drüben“: Anhand eines Fragebogens über Zukunftswünsche und Nachbarschaftsverhältnisse, der von SchülerInnen in Sonneberg-Köppelsdorf (Thüringen, ehemals DDR) und Neustadt (Bayern, ehemals BRD) beantwortet wurde, erzählt Scherzer eine Geschichte über den Irrwitz im „neuen Deutschland“. Mädchen 1: „Ich möchte keinen Freund aus Sonneberg, weil ich schon mal einen Freund aus dem ‚Osten’ hatte, und wenn ich mich mit ihm unterhalten habe, habe ich fast nichts verstanden. Außerdem war er total dumm, weil im Osten ‚die Realschüler nur so viel wissen wie die Hauptschüler im Westen’.“ (Scherzer, a.a.O., S.134) Mädchen 2: „Ich möchte einen Freund aus Sonneberg lieber als einen Freund aus Neustadt. Weil, in Neustadt sind viele Türken.(…) Sie sind sehr frech und haben ein großes Maul.“ (Scherzer, a.a.O., S.135) Nur je drei SchülerInnen konnten sich eine Vereinigung der Nachbarorte zu einer Stadt vorstellen…
14.10.1989: Christoph Hein hält eine Rede vor dem Schriftstellerverband der DDR. Es geht um Geschichte, es geht um Grundsätzlicheres; „Geschichte interessiert uns um der Gegenwart willen. Geschichtsbetrachtung ist stets ein Benennen des augenblicklichen Standorts. Die Wertungen der Geschichte sind von aktuellen Interessen nie frei und wirken auf die gegenwärtige Gesellschaft ein. Das offiziell verbreitete Geschichtsbild, sich zu den „Siegern der Geschichte“ zu erklären, verwirft der Redner: „Das damit verbundene Sieges – und Glücksgefühl wird nicht nur durch ein paar Widrigkeiten des Alltags konterkariert; verwunderlich ist die fehlende Dialektik dieser Geschichtsschreibung die sich überdies auf die Dialektik beruft.“ Und widmet sich in der Folge einem tabuisierten Thema: „Keine Macht und kein Mensch hat der Sowjetunion und der kommunistischen Idee schwereren, nachhaltigeren Schaden zugefügt als Stalin. (…) Stalin, das ist auch ein Problem des deutschen Sozialismus, der DDR.“ Noch eines vergisst Hein nicht zu erwähnen, wir schreiben den 14.September 1989:“ Es macht mich krank, es macht mich physisch und psychisch krank, in einem Land und in einer Stadt zu wohnen, in denen fortwährend Bürger Ausreiseanträge stellen und ausreisen. Es macht mich krank, die besorgten oder hämischen Kommentare in unseren Zeitungen zu lesen, die den Vorgang zu banalisieren und zu erklären versuchen, indem sie nicht die Ursachen nennen, sondern die Folgen.“ (zitiert nach: Der Freitag, 17.10.2019, S.16) Erst am 5. November wird Heins Rede im „Sonntag“ nachgedruckt…
2019: Christoph Heins neues Buch „Gegen-Lauschangriff – Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“ (Suhrkanp) erscheint und hätte Hein sich mit seinen Erinnerungen an die DDR begnügt, wären die Kritiken wohl positiver ausgefallen. Aber er erzählt auch über das Danach. Etwa die Begegnung mit einem Bonner Kulturoffiziellen, der die Sichtung und Bewertung von DDR-Kultureinrichtungen zu verantworten hatte: „ (…) er kam eines Morgens mit schreckgeweiteten Augen auf mich zugestürzt. ‚Herr Hein!’ rief er mir zu. ‚Ich komme gerade von einer Reise nach Thüringen und Sachsen zurück. Dort gibt es ja alle dreißig, vierzig Kilometer ein Symphonieorchester! Das müssen wir schnellstens auf bundesdeutsches Niveau bringen!“ (Christoph Hein: Gegenlauschangriff – Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege, S.91; Suhrkamp)
Dass nur ein westdeutscher Regisseur den ultimativen Film über die DDR machen konnte, stand für das Feuilleton längst fest. Als Auskunftsperson für „Das Leben der Anderen“ fungierte Christoph Hein. Dass seine Erzählungen grob verfälscht und historisch inkorrekt wiedergegeben wurden, worauf er in seinem Beitrag „Mein Leben, leicht überarbeitet“ im Rahmen von „Gegen-Lauschangriff“ hinwies, ist ungnädig aufgenommen worden. Ein differenziertes Bild der DDR jener Tage war nicht gefragt… (vgl. Hein, a.a.O., S.102-106) Zehn Jahre danach bespricht ein Germanistik-Professor mit seinen StudentInnen Heins legendäre Anti-Zensur-Rede aus dem Jahr 1987. Die StudentInnen glauben ihrem Professor nicht, dass Hein dafür keine Gefängnisstrafe erhielt. Dann sei die Rede wohl erst nach der Wende gehalten worden, sagen sie. Der Professor verneint: „Das sei unmöglich, beharrten die Studenten, so könne es nicht gewesen sein, sie wüssten das ganz genau, weil sie ja den Film ‚Das Leben der Anderen’ gesehen hätten.“ … (Hein, a.a.O., S.106)
9.11.1989: Am Tag des Mauerfalls ist Sabine Rennefanz fünfzehn Jahre alt, Uwe Mundlos ist sechzehn. Beide leben zu diesem Zeitpunkt in der DDR.
31.12.2011: Einen Monat, nachdem man den NSU-Terroristen Uwe Mundlos tot aufgefunden hat, schreibt die Autorin Sabine Rennefanz „Uwe Mundlos und ich“ (Berliner Zeitung, 31.12.2011) und hinterfragt die Argumente jener, die schon bald die eigentlich Verantwortliche für die Nazi-Morde entdeckt haben: die DDR. Wie sich das ausgehen kann: „Uwe Mundlos war 16, als die Mauer fiel. Er war 18, als er seine Lehrstelle beim Optikerunternehmen Carl Zeiss verlor.(…) Danach hat Uwe Mundlos 21 Jahre im vereinigten Deutschland gelebt.“ Doch nüchterne Fakten sind nicht gefragt. In der „Südddeutschen Zeitung“ erscheint ein Artikel mit dem vielsagenden Titel „Das Gift der Diktatur“: „Darin wird behauptet, die Terrorserie sei ein Rachefeldzug der postsozialistisch erzogenen Jugendlichen gegen die pluralistische Gesellschaft im Westen. (…) Ähnlich klingt das bei Klaus Schroeder, einem Historiker und Politikwissenschaftler (…) ‚Verwahrlosung, Gewaltbereitschaft und fremdenfeindliche Einstellungen waren schon im Kern vor 1989 in der DDR stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik’, schreibt er in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“. Er führt das Neonazi-Potential auf die Vollerwerbsfähigkeit der Mütter und die Einbindung in ‚staatliche Institutionen’ zurück. Staatliche Institutionen, das klingt, als wären Kinderkrippen Gefängnisse gewesen. Ausbildungslager für kleine Neonazis. Das Tora Bora des Ostens.“ Aber: „Ostdeutscher zu sein ist ein Label, das an einem klebt, das man nicht los wird, selbst wenn man sich bemüht.“ Was die beiden „Ostkinder“ verband? Vielleicht, meint Rennnefanz, war dies „die Sehnsucht (…) nach einem klaren Weltbild“, welche Mundlos in die Neonaziszene und Rennefanz in jene der christlichen Sekten (mehr darüber in: Eisenkinder – Die stille Wut der Wendegeneration; Luchterhand) abdriften ließ. Rennefanz verweist auch auf Studien des Psychotherapeuten Hans-Joachim Maaz: „Nach der Wende sind viele Menschen degradiert worden. Ihren Frust kriegen dann auch die Heranwachsenden ab, die sich dann an anderen abreagieren“, sagt Maaz. Er ist überzeugt, dass es noch lange zwei Deutschlands geben wird. Es wird noch lange eine Mauer geben.“ Die recherchierten und die offiziellen Zahlen über Opfer rechtsextremer Gewalt seit der Wende differieren erheblich: „Die Diskrepanz scheint niemand zu interessieren. Die einzige Partei, die über die Jahre immer wieder wegen der rechten Tötungsverbrechen bei der Bundesregierung nachgehakt hat, war die Linkspartei. SPD und Grüne haben sich wenig für das Thema interessiert. Ist ja auch ein Ost-Thema, das nicht mit dem Westen zu tun hat“ resümiert Rennefanz in ihrem mit dem Deutschen Reporterpreis, Kategorie Essay, ausgezeichneten Beitrag. (Zitate: www.reporterforum.de)
Dazu passt, was der ehemalige Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe am 3. November 2019 in der „Welt am Sonntag“ von sich gibt: „Und noch ein Relikt aus DDR-Zeiten ist wieder auferstanden: der sogenannte Antifaschismus, der immer mehr an die Stelle des antitotalitären Konsenses der alten Bundesrepublik tritt. Allein das Bundesfamilienministerium fördert den Kampf gegen echte oder vermeintliche Nazis in diesem Jahr mit 115,5 Millionen Euro, während der linke Extremismus fast völlig ausgeblendet oder, wie von der Linkspartei, sogar unterstützt wird (…) Diese politische Einäugigkeit hat (…) dazu geführt, dass inzwischen alles und jedes als rechts abgestempelt und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit dadurch spürbar eingeengt wird.“ (Hubertus Knabe/Auferstanden aus Ruinen; Welt am Sonntag, 3.11.2019, S.13)
Gedenken: Wie kann es sein, dass die Erinnerung an jenen anderen 9. November, den Reichspogromtag 1938, von manchen so lautstark übertönt wird?
Vorher und Nachher: Viele haben die DDR verlassen oder wurden dazu gedrängt. Bei weitem nicht alle wurden danach zu MeaCulpa-Linken wie manche allseits bekannte Protagonisten. Da war einer wie Ernst Bloch, der stets, auch später im „Westen“ auf der Seite der Erniedrigten und Beleidigten stand und 1951, noch in der DDR, mit „Unterschied des Tagtraums vom Nachttraum“ für die Zeitschrift „Sinn und Form“ (Sinn und Form, 3. Jahr, 6.Heft, S.48) einen vielschichtigen Text verfasste: “Wenn der Hang, das uns Gewordene zu verbessern, selbst im Schlaf nicht schläft – wie sollte er im Wachen?“ heißt es da und war nicht missverstehen. Da war einer wie Thomas Brasch, der in der DDR von seinem eigenen Vater, dem Kulturminister, als Staatsfeind denunziert wurde und doch später, als er die DDR entgültig verlassen hatte, betonte, er sei nicht gegangen, weil er in der DDR zu viel, vielmehr, weil er zu wenig Sozialismus erlebte. Mehr noch: Als Brasch später für seine Filme vom bayrischen Staat ausgezeichnet wurde, der Überreicher des Preises war ausgerechnet Franz-Josef Strauß, erklärte Brasch in seiner Dankesrede, ohne die hervorragende Ausbildung, welche ihm die DDR in Sachen Film ermöglichte, stünde er jetzt nicht hier…
Und da ist noch einer – der geblieben ist – dessen „Guevara“-Stück (1977) verboten wurde und der mit „Die Übergangsgesellschaft“ (1982) viele später virulente Diskussionen über Fehlentwicklungen erst einleitete – Volker Braun. Er hat 1990 mit seinem zweiten Arbeitsbuch, nun einem politischen Tagebuch nach der Wende, das sich kritisch mit den güldenen neuen Zeiten auseinandersetzt, begonnen. Am 1.7.1990 verfaßt er aber noch ein Gedicht, über sein Land, das „in den Westen“ geht. Zwei Zeilen daraus: „was ich niemals besaß wird mir entrissen,/ was ich nicht lebte, wird ich ewig missen.“ (Volker Braun: Werktage 2, S.54; Suhrkamp)