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Nach der AKW-Katastrophe: Hoffnung auf Kernfusion?

Joe

Ist nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem anwachsenden Widerstand gegen AKWs wieder die alte Leier zu erwarten, die "unschädliche Kernenergie der Zukunft" sei die Kernfusion?

27.03.2011

Die Propagandisten der Atomtechnologie erhoffen nicht nur eine „Rückkehr des Atomzeitalters“ in Form von AKWs, sondern träumen auch von der Technologie der Kernfusion, die nach dem „Vorbild“ der Wasserstoffbombe, nur eben „gezähmt“, Energie erzeugen soll. Das wäre extrem kostspielig, in verschiedene Weise gefährlich und keineswegs „sauber“.

Der Preisanstieg bei nicht erneuerbaren Energieträgern und die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre (Klimaerwärmung) ermöglichen den Befürwortern der Kernfusion neue Medienpräsenz. Kernfusion ist jedoch keine umwelt- und menschenverträgliche Technologie! Für informierte Menschen sollte diese Variante der Atomkraft (die schon die Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre kritisiert und abgelehnt hat) unbrauchbar sein.
Forschungsgelder im Umfang von 10 Milliarden Euro (heutige Annahme) werden für die nächsten 10 Jahre in den Versuchsreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor; Selbstdarstellung: http://www.iter.org) fließen, der in Cadarache, einem AKW-Entwicklungszentrum in Südostfrankreich, gebaut wird. 10 Milliarden, die für die Entwicklung sozial- und umweltverträglicher Energie-Technologien fehlen.
Medial werden Erfolgserwartungen ausgestreut (zum Beispiel Ziel 2017: im Experiment mehr Energie freizusetzen als in die Kernreaktion hineingesteckt wird). Dies ist Zweckoptimismus, der den Weg zu den Forschungsmilliarden ebnen soll. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten blieben die angekündigten Erfolge aus. Schon 1978, dem Jahr der AKW-Volksabstimmung, wurde verkündet, dass man 1985 im Laboratorium in einer kontrollierten Kernfusion mehr Energie freisetzen können werde, als an Energie zur Erreichung der Fusionsbedingungen in die Reaktion hineingepumpt werden muss. Gleichfalls 1978 wurde die technische Beherrschbarkeit der Kernfusion für die 1990er Jahre prognostiziert. Dieses ungewisse Datum ist vorerst einmal auf 2060 vertagt…

Was ist Kernfusion?

Bei der Kernfusion geht es darum, die Atomkerne von schwerem Wasserstoff (Deuterium) und überschwerem Wasserstoff (Tritium) – Tritium ist radioaktiv – miteinander zu verschmelzen. Die dabei als Neutronenstrahlung frei werdende Energie wird aufgefangen. In der Wasserstoffbombe geschieht diese Energiefreisetzung explosionsartig. In der Sonne läuft ein ähnlicher Fusionsprozess von Atomkernen ab.
Es ist ungeheuer schwierig, eine Kernfusion kontrolliert ablaufen zu lassen. Zum Starten und Weiterführen der Reaktion muss unvorstellbar viel Energie gezielt zugeführt werden (um die starke gegenseitige Abstoßung der Atomkerne zu überwinden). Nach Meinung vieler Fachleute ist der Prozess technisch gar nicht machbar – ganz zu schweigen von „wirtschaftlicher“ Nutzung.
Um Kernfusion technisch möglich zu machen, müssen nämlich die Ausgangsstoffe im Vakuum auf mehr als 100 Millionen Grad erhitzt werden. Als „Reaktionsgefäß“ kommt nur der Einschluss durch ein extrem starkes Magnetfeld mit riesigen supraleitenden Magneten in Frage. Von alldem ist man auch nach 50 Jahren Fusionsforschung weit entfernt. Fest steht jedenfalls: Es sind (in Reaktoren von 10 Meter Durchmesser und mehr) gebündelt auf kleinstem Raum sehr große Mengen an Energie einzubringen, um die erforderlichen Fusionsbedingungen herstellen und aufrecht zu halten.

Gefahren und Nachteile der Kernfusion

Der – vielleicht machbaren Energieerzeugung – aus Kernfusion stünden hohe Gesundheits- und Umweltgefahren und soziale Kosten gegenüber:

  • Radioaktives Ausgangsprodukt: Für die Kernfusion wird eine radioaktive Form des Wasserstoffs, Tritium, benötigt. Dieser gesundheits- und umweltgefährdende Stoff muss erzeugt, verarbeitet und gelagert werden. Gelangt radioaktiver Wasserstoff in die Umwelt – was auf Dauer zumindest in geringen Mengen unvermeidbar ist – wird er, wie normaler Wasserstoff, in Wasser sowie in organische Stoffe eingebaut. Über die pflanzliche und tierische Nahrung, über Trinkwasser und Luftfeuchtigkeit würde das Tritium die radioaktive Belastung im Menschen erhöhen.
  • Atommüll in großen Mengen: Die mit Kernfusion – wenn überhaupt – gewinnbare Energie wird in Form von Neutronenstrahlung freigesetzt. Neutronenstrahlung macht alle Materialien, die sie trifft, radioaktiv („Neutronenaktivierung“) und mit der Zeit brüchig. Die inneren Bauteile eines Fusionsreaktors müssten (in Mengen von vielen tausend Tonnen) regelmäßig ausgewechselt und als Atommüll entsorgt werden. Dass dieser radioaktive Schrott „nur“ einige tausend Jahre lang strahlt, und nicht einige zehntausend Jahre wie der Plutonium-haltige Abfall „normaler“ AKWs, macht die Kernfusion auch nicht attraktiv.
  • Große Einheiten: Die Chancen, dass man aus einem Kernfusionsreaktor – wenn überhaupt – mehr Energie herausbekommt als in die Fusionsreaktion hineingepumpt wurde, steigen, soviel man bis jetzt weiß, mit der Größe des Reaktors. Sollte Fusionsenergie jemals „wirtschaftlich“ erzeugt werden können, so ist dies nur in sehr großen Kraftwerksblöcken denkbar. Neben einem Fusionskraftwerk würde das AKW Zwentendorf mickrig erscheinen.
  • Entsprechend starke und zahlreiche Hochspannungsleitungen wären für die Verteilung des zentralisiert erzeugten Stroms nötig. Das System großer Blöcke erfordert außerdem große Ersatzblöcke, die für einen Ausfall zur Verfügung stehen müssen.
  • Bewachung und Absicherung: Mit dem Grad seiner Zentralisierung wird das System auch angreifbarer und störungsanfälliger.
  • Keine billige Energie: Behauptungen, mit der Fusionsenergie werde eine billige Energiequelle zugänglich, müssen ins Reich unrealistischer Wunschvorstellungen verwiesen werden. Selbst Schätzungen, die der Kernfusion freundlich gesinnt sind, kommen auf Stromerzeugungskosten, die zumindest (!) gleich hoch sind wie die Kosten für „herkömmlichen“ Atomstrom. Sonnenenergie schneidet jedenfalls wesentlich besser ab als die propagandistisch als „Nachbildung der Sonne“ beworbene Kernfusion.
  • Versteckte Atombomben-Erzeugung:  Die starke Neutronenstrahlung im Fusionsreaktor macht es möglich, „nebenbei“ und versteckt, spaltbares Material (z.B. Plutonium aus minderwertigem Uran) zu erzeugen, das für den Bau von Atombomben verwendet werden kann.
  • Forschung an der Wasserstoffbombe:  Die Forschung am Fusionsreaktor dreht sich unter anderem um die Zündung der Fusionsreaktion. Diese Frage ist aber auch für die Zündung von Wasserstoffbomben höchst interessant. Bisherige Wasserstoffbomben werden nämlich durch eingebaute kleine Atombomben, deren Herstellung aufwändig ist, gezündet. Gelingt die Zündung der „friedlichen“ Kernfusion (z.B. mit Laser), könnte dies die Herstellung von Wasserstoffbomben vereinfachen und „verbessern“.

(Dieser Artikel erschien bereits 2007 in dielinke.at, hat aber nichts an Aktualität verloren)