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Kapitalistische Wegwerfkultur in Zeiten der Ressourcenknappheit

Leergefischte Ozeane, globale Erwärmung und steigende Rohstoffpreise: Das befeuert die wachsende Erkenntnis, dass die Ressourcen auf unserem Planeten endlich sind. Auch bürgerliche Wissenschaftler wollen mittlerweile den Ressourcenverbrauch reduzieren. Allerdings wollen sie trotzdem am kapitalistischen Wachstumskurs festhalten. Und es ist auch kein Zufall, dass bei ihren zahlreichen Vorschlägen zur Ressourceneffizienz die tägliche Verschwendung durch kapitalistische Obsoleszenz - eingeplanten Verschleiß - nicht auftaucht.

11.10.2011

 

K. Hasse   

01.10.2011

 

 

Unter Obsoleszenz versteht man den gezielten Verschleiß und die geplante Verringerung der Lebensdauer von Produkten. In einem Zustand der Marktsättigung sorgen die kapitalistischen Produzenten damit für einen künstlichen Nachfrageschub. Ein lehrreiches Beispiel von Obsoleszenz ist für den Glühbirnenmarkt dokumentiert. 1924 schlossen sich die damals größten Glühbirnenhersteller der Welt zu einem Kartell zusammen. Es wurde „Phöbus“ benannt. Im Jahr der Gründung lag die durchschnittliche Lebensdauer von Birnen noch bei 2500 Stunden. Durch technische Tricks gelang es dem Phöbus-Kartell bis 1926 die Lebensdauer auf 1500 Stunden zu senken. Anfang der 40-er Jahre wurde das Glühbirnenleben noch einmal gesenkt: Auf 1000 Stunden. Obwohl das Kartell aufflog und der Konzern General Electric sogar verurteilt wurde – die gesenkte Lebensdauer wurde nicht zurückgenommen: 1000 Stunden gelten bis heute. Nur in der DDR lag die Lebensdauer von Glühbirnen bei 2500 Stunden. Nach der Wende wurden die produzierenden Ostunternehmen sofort abgewickelt und das lästige Vorzeigebeispiel zerstört. Allerdings nicht ganz, denn die in China gefertigten Glühbirnen halten bis heute 5000 Stunden.

 

Das Beispiel zeigt, was Konzerne mit der geplanten Obsoleszenz erreichen wollen: Ein Produkt wird so ausgelegt, dass es für die Kunden nach einer definierten Zeit seine Funktion verliert. Sie werden gezwungen, das Produkt immer wieder zu kaufen. Diese Form der Obsoleszenz wird auch „funktionale Obsoleszenz“ genannt. Für diese kapitalistische Marketingstrategie lassen sich auch heute – im 21. Jahrhundert – zahllose Beispiele finden.

 

Die Verwendung von moderner Elektronik und Software schafft den Herstellern neue raffinierte Obsoleszenzmöglichkeiten. Tintenstrahldrucker sind ein bekanntes Beispiel. Viele Tintenpatronen haben eingebaute Rechnerchips, die die gedruckten Seiten mitzählen. Ab einer festgelegten Zahl weigert sich das Gerät, weiter zu drucken und meldet, dass die Patrone gewechselt werden muss – auch wenn noch genug Tinte in ihr enthalten ist. Die Patrone muss ausgetauscht werden, obwohl Untersuchungen gezeigt haben, dass sie in den meisten Fällen noch halb voll ist. Und neue Patronen sind überteuert – sie können sogar fast soviel kosten wie der Drucker selbst.

 

Auch aufladbare Akkus sind ein beliebtes Mittel der Konzerne, um Geräte vorzeitig unbrauchbar zu machen. Beispiele sind elektrische Zahnbürsten, Rasierapparate, MP3-Player oder PDAs1 . Der Trick besteht darin, die Akkus fest in das Kunststoffgehäuse einzuschweißen. Das macht es für den normalen Benutzer unmöglich, sie zu wechseln, wenn sie ihre Lebensdauer überschritten haben. Aber selbst hier wird noch manipuliert: Einige der Akkus sind mit Mikrorechnern verbunden, die die Ladezyklen mitzählen und sie begrenzen – noch bevor die endgültige Lebensdauer erreicht worden ist. Damit ist bei einem leeren Akku auch z. B. auch das Lebensende der Zahnbürste erreicht. Sie landet im Elektroschrott.

 

Eine andere sehr effektive Form der Obsoleszenz, die von den kapitalistischen Konzernen eingesetzt wird, ist die sog. „technische Obsoleszenz“. Das Vorbild sind Methoden, die bei Softwareprodukten angewandt wird und die wir alle nur zu gut kennen. Die Software-Unternehmen geben in rascher Folge immer neue Programmversionen mit kleinen Änderungen heraus. Das geschieht oft im Wechselspiel mit der Computerindustrie, die sich der gleichen Strategie bedient. Ein Programm veraltet so nach kurzer Zeit. Daten können aufgrund von Formatänderungen nicht mehr mit anderen Rechnern oder neueren Programmen ausgetauscht werden. So ist der Benutzer gezwungen, sich in regelmäßigen Abständen ein neues Software-Update zu beschaffen. Damit werden aber wieder neue Änderungen in die Welt gesetzt, die dann wiederum anderen Anwendern Schwierigkeiten machen.

 

Diese Obsoleszenzstrategie wird zunehmend in andere Bereiche der Technik eingeführt. So erleben wir momentan bei Videorecordern den Übergang von DVDs zur Blue-Ray-Disk – obwohl der Übergang von Magnetkassetten zu DVDs noch nicht lange zurückliegt. Die jetzt viel gepriesenen Blue-Ray-Scheiben haben eine höhere Auflösung – aber das ist überhaupt erst ab einem 55"-Fernsehbildschirm bemerkbar. Und während die Einführung der Blue-Ray-Disk gerade erst am Anfang steht, plant die Elektronikindustrie bereits die Einführung von SSD-Speichern (Solid State Drive), die den heutigen USB-Sticks ähneln. Und bei jeder dieser abgekarteten Markt­einführungen wandern Millionen von unbrauchbar gewordenen alten Videoplayern in den Elektronik-Schrott.

 

Ähnliche Strategien werden auch bei Fernsehgeräten angewandt: Vom Röhrengerät zum LCD-Flachbildschirm – der immer riesiger wird – dann zum hochauflösenden Standard HDTV, danach zum digitalen Fernsehen usw. usw. Die einzige Funktion dieser Never-Ending-Story besteht darin, dass die Produktion brummt und so die Profite fließen. Dabei werden knappe Ressourcen vergeudet, und es entstehen riesige Berge von Elektronikmüll. Dieser Müll enthält giftige Schwermetalle, Chlorwasserstoffverbindungen und weitere Toxine. Der Müll wird vielfach nach Westafrika verschifft, wo er z. B. im Umfeld der ghanaischen Hauptstadt Accra den Boden und das Grundwasser verseucht.

Nachdem man einmal diese Obsoleszenzstrategie verstanden hat, fallen einem schnell weitere Beispiele ein. Was ist z. B. vom Ersatz der klassischen Glühbirne durch die quecksilberverseuchte sog. „Energiesparlampe“ zu halten – während bereits die wesentlich langlebigere und noch weniger Energie verzehrende LED auf ihre Einführung wartet?

 

Eine weitere Obsoleszenzstrategie besteht in der Nutzung modischer oder stilistischer Variationen. Die Moden von Bekleidung, Möbeln, Hausdekorationen oder Autos werden ständig gewechselt. Bei der Bekleidung gibt es Herbst- und Sommerfarben. In einem Jahr gibt es nur lange und im folgenden Jahr dann nur kurze Röcke. Die modischen Änderungen können so groß sein, dass die vorherige Mode altertümlich oder sogar lächerlich wirkt. Und damit dieses Spiel möglichst glaubwürdig wirkt, halten sich die Konzerne solche Hofnärrinnen und Narren wie Heidi Klum oder Karl Lagerfeld. Kein Wunder, dass sie von den Journalisten des Kapitals verehrt werden, denn sie leisten ja ihren Beitrag, dass ständig neue Produkte gekauft und damit auch Profite gemacht werden.

Allgegenwärtig

Eine genaue Analyse zeigt, dass Obsoleszenzstrategien in der spätkapitalistischen Gesellschaft allgegenwärtig sind. IKEA-Sperrholzmöbel sind auf nur wenige Lebensjahre ausgelegt, Autos besitzen zahllose Verschleißteile und für viele Produkte existieren weder Reparaturmöglichkeiten noch Ersatzteile. Dass es auch anders geht, zeigte das Beispiel der nichtkapitalistischen DDR. Sie war zwar von einer erdrückenden Staatsbürokratie beherrscht – aber sie hat es trotzdem geschafft, z. B. bei sog. „weißer Ware“ – also Küchengeräten – eine verordnete Langlebigkeit einzuführen. Kühlschränke mussten z. B. 25 Jahre halten – was sie auch taten. Dagegen stehen die heutigen Kühlschränke, für die maximal 12 Jahre Lebensdauer angegeben werden.

 

Die Obsoleszenz liegt nicht am technischen Fortschritt, sondern sie liegt im System begründet. Im Kapitalismus gibt es – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine systematische Forschung, Entwicklung und Konstruktion, um die Lebensdauer und die Reparaturfähigkeit von Produkten zu verbessern. Auffällig ist auch, dass es an den Hochschulen dafür weder spezifische Institute gibt noch dass die Lebensdauerverlängerung und die Reparaturfähigkeit ein Thema in der Ausbildung von Ingenieurstudent­Innen ist.

 

Es ist wichtig, die Obsoleszenz im größeren Zusammenhang zu sehen: Wir erleben heute, wie die Biosphäre durch rücksichtslose Ressourcenausbeutung irreparabel geschädigt wird. Gleichzeitig wird akzeptiert, dass das Produktionsvolumen durch Obsoleszenz und eine Kultur des Wegwerfens künstlich massiv aufgebläht wird. Die Umkehr kann nur heißen, dass dieses sinnlose Wachstum zurückgenommen wird. Es müssen Forderungen gegen die Obsoleszenzstrategien entwickelt werden. Dazu könnte gehören, dass Richtlinien zur Mindestlebensdauer von Produkten festgelegt werden, dass sie reparaturfähig sein müssen und dass Produkte eine Mindestlebenszykluszeit einhalten. Dies könnte kontrolliert werden durch Komitees aus Verbrauchern und Lohnabhängigen. Fordern wir ressourcenschonende Reglementierungen gegen spätkapitalistische Obsoleszenz!

 

 Anm. 1) Personal Digital Assistant, kleiner Rechner in der Größe eines Handys, für Adressen, Kalender und Aufgabenverwaltung.

 

K. Hasse

 

 

Quelle: RSB/IV. Internationale, Avanti