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Was hier: In dieser muffigen Atmosphäre?

Kurt Hofmann

Zum 90. Geburtstag von Thomas Bernhard

19.02.2021


Anders als die von ihm so oft beschriebenen renitenten, letztlich sterbensunwilligen Greise ist Thomas Bernhard nur 58 Jahre alt geworden. Heuer hätte er das 90. Jahr erreicht: eine Erinnerung an einen Widerspenstigen.

„Kein Grund zum Pessimismus und / es hat auch keinen Zweck. / Zwar ist es wahr, man geht zu Grund, / doch kommt man nicht vom Fleck.“ (Karl Kraus / Die österreichische Lage – Die Fackel, März 1922)

„Was hier/In dieser muffigen Atmosphäre/Als ob ich es geahnt hätte“ sagt Bruscon, ehemaliger Staatsschauspieler und angemaßter Dichter, am Beginn von „Der Theatermacher“ und dies war in allen Aufführungen von Bernhards Stück ein sicherer Lacher...
Seine zahlreichen Feinde haben den österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard immer wieder als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet, doch angesichts dessen, was in diesem „Nest“ schon ausgebrütet wurde, ist dies wohl ein Ehrentitel. Bernhards Verhältnis zu dem Land, in dem er lebte, ist ein zentrales Motiv in seinem Werk: „Ich wünschte dieses Land / verschwände eines Tages / oder noch besser / urplötzlich in der Nacht / durch ein Erdbeben / dieses scheußliche Vaterland / Dann denke ich wieder / dass wir kein besseres haben“ äußerte „Voss“ in „Ritter Dene Voss“ (1986) und die plötzliche Infragestellung des eben Gesagten ist durchaus Bernhard-typisch. „kein besseres“, das heißt allerdings im Bernhard`schen Sinn: auch kein gutes. Und das mit dem „Vaterland“ ist ohnedies eine fragwürdige Konstruktion…
„Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben, wir sind im Prozess der Natur der Größenwahn-Sinn als Zukunft“ (Thomas Bernhard/Meine Preise, S.122; Suhrkamp). So spricht der zwanzigjährige Thomas Bernhard 1967 anlässlich der Verleihung des „Österreichischen Staatspreises“ an ihn, des „Kleinen Staatspreises“, wie er später wütend anmerkt, und provoziert prompt, schon zu Beginn seiner schriftstellerischen Karriere, einen Eklat. Der Unterrichtsminister Piffl-Percevic, „ein ehemaliger Sekretär der steirischen Landwirtschaftskammer mit Schnauzbart“ (Bernhard, ebdt., S.78), ebenso erzkonservativ wie in Sachen Kultur völlig ahnungslos, verlässt nach Bernhards Rede wütend den Saal...
Im übrigen: „Preise sind keine Ehre (… ), die Ehre ist eine Perversität, auf der ganzen Welt gibt es keine Ehre.“ (Bernhard ebdt., S.73)
Einige Jahre später, die Regierung ist nun anders zusammengesetzt, erhält Bernhard den Grillparzerpreis. Herta Firnberg, die amtierende Wissenschaftsministerin, soll ihn verleihen. Während der einleitenden Zeremonie ist sie schon eingeschlafen, um danach, „als es soweit sein sollte“, eine entlarvende Performance abzuliefern: „Nach einiger Zeit blickte die Ministerin in die Runde und fragte mit unnachahmlicher Arroganz (… ): ' ja wo ist denn der Dichterling?' (Bernhard, ebdt., S.17) Diesmal verlässt Bernhard den Saal...
Dessenungeachtet ist Thomas Bernhard, schon anlässlich des ersten Preises, der ihm verliehen wird, pragmatisch genug, an die Preissumme zu denken: „Aber so sehr ich mit dem Gedanken (… ) mir den Kleinen Staatspreis abholen zu müssen, gewürgt worden bin, es rettete mich doch immer die Tatsache, daß auch dieser Kleine Staatspreis mit einer Geldsumme verbunden war...“ (Bernhard, ebdt., S.69)

„Sie mit ihrem Kommunismus!“ sagt die Generalin in „Die Jagdgesellschaft“ (1974) zum Schriftsteller, wissend, dass dieser nur ihr Hofnarr ist, der sie mit seinen Sentenzen unterhält. Dessen Monolog handelt von den Borkenkäfern, die dem herrschaftlichen Wald bald ein Ende bereiten werden. Dem General, der am Grünen Star leidet, ist dies verschwiegen worden. Der Wald ist ebenso ein Synonym wie die Augenerkrankung des Generals (nichts sehen wollen, blind sein für…): Dieser falsche Glanz wird verschwinden, nicht zuletzt (auch) dank der Tiraden des „Schriftstellers“, eine der in ihrer Widersprüchlichkeit typischen Bernhard-Figuren, der sich gerne als düsterer Prophet geriert, dem aber letztlich der Sekt am Tisch der Generalin zu gut schmeckt, um tatsächlich „aus der Rolle“ zu fallen...
Charakteristisch für Bernhard’sche Bühnenfiguren ist, wie miteinander geredet wird: es ist ein mittelbarer, kein unmittelbarer Dialog im Sinne eines Austausches. Dem / Der monologisch Sprechenden geht es nicht um Kommunikation, sondern um Mitteilung. Auch dem Großindustriellen Herrenstein in Bernhards letztem Stück „Elizabeth II“ ist seine Umgebung, durch die er allerdings definiert wird, zuwider, er weiß um deren (und seine) Endlichkeit, die im Stück schließlich auf drastische Weise vorgeführt wird: Anlässlich des Besuches der englischen Königin in Wien stellt Herrenstein seinen Balkon diversen Bekannten aus dem großbürgerlichen Milieu als Aussichtswarte zur Verfügung, der am Ende von „Elisabeth II“ prompt in die Tiefe stürzt. Herrensteins lakonische Anmerkung, es seien wohl alle tot, steht am Ende des Stückes…
Noch einmal zu „Elisabeth II“ und damit zu einer Bernhard’schen Konstante: wie die monologisierenden Hauptfiguren mit ihrer Umgebung umgehen. Trotz täglicher Bosheiten seitens Herrenstein ist die Haushälterin Frau Zallinger geblieben. Herrenstein, der weiß, dass sie einst Pianistin werden wollte, ersucht sie, ihm einmal wieder etwas vorzuspielen, er vermisse ihr Spiel, aber nach wenigen Takten unterbricht er sie, so ein Mangel an Talent sei doch nicht auszuhalten…
Der einstige Staatsschauspieler Bruscon hat ein Stück geschrieben , welches sich „Das Rad der Geschichte“ nennt, und, geht es nach Bruscon, zu Höherem, wenn nicht einem Welterfolg, bestimmt ist. Doch vorerst plagt er sich mit seinem Ensemble, das aus seiner Frau und seinen beiden Kindern besteht, die er allesamt fürs komplett untalentiert hält (und diese das auch unausgesetzt spüren lässt…), durch die österreichische Provinz. Dorf für Dorf wird abgeklappert, wo immer auch ein Theatersaal zur Verfügung steht. Nun sind Bruscon und die Seinen in einem Nest namens Utzbach (ein Tiefpunkt, mein Bruscon) angekommen. Den Theatersaal im Wirtshaus inspizierend, bemerkt „Der Theatermacher“ (1985) an der Wand ein Bild. Bruscon: „Ist das nicht ein Hitlerbild?“ Wirt: „Ja freilich!“… Die beiläufige Antwort des Wirtes, so, als sei dieses Bild an der Wand die größte Selbstverständlichkeit und nicht zu hinterfragen, ist ein Bernhard’sches Meisterstück. In Dörfern wie Utzbach oder (möglicherweise auch in Bernhards auf Grund seiner Lungenkrankheit aufgezwungenen Rückzugsort Ohlsdorf…) ist ein vergilbtes Hitlerbild Teil der Folklore. Auch das darauf ´- vergessen - haben, wird in solchen Fällen gelegentlich bemüht, sogar dann, wenn es sich um eine einst verliehene Ehrenbürgerschaft an Hitler handelt, die nie sistiert wurde. Jedenfalls schließt das Vergessen eigene Verstrickung mit ein…
Bruscon jedenfalls fühlt sich bei den ProvinzlerInnen missverstanden, welch Abstieg (wenn man ihm denn seine große Vergangenheit glaubt…), ob aber sein Stück, in dem Caesar, Hitler, Stalin, Kirkegaard, Churchill, Einstein und viele andere ihren Auftritt haben, Bruscons hohen Ansprüchen gerecht wird, ist ohnedies die Frage… Rückhaltlose Bewunderung erwartet Bruscon allerdings von seiner Familie, und wenn die Tochter auf das Stichwort „Wer ist Dein Vater?“ die gewünschte Antwort („Der größte Schauspieler aller Zeiten!“) verweigert, hilft er mit Druck nach.
Frau Bruscon hustet. Sie spricht nicht, aber sie widerspricht, indem sie Bruscon „etwas hustet“. Nicht zu Unrecht hält Bruscon das Husten seiner Frau für eine subversive Geste, hätte aber auch im Fall einer ernsthaften Erkrankung kein Mitleid für diese, denn die „höheren Ziele“, die Realisierung seines „Meisterwerks“ als Beginn späterer Geniestreiche, gehen vor... Und die Tochter? In Peymanns Uraufführungsinszenierung sitzt sie bisweilen auf dem Schoß des Theatermachers und knöpft sich dabei – wie mechanisch – einen Knopf ihrer Bluse auf... Eine inzestuöse Situation, die von Bernhard durchaus angedeutet, aber (sprachlich) nicht ausgeführt wird. Missbraucht – in mehrfacher Bedeutung dieses Begriffs - werden die Familienmitglieder des Theatermachers durch diesen permanent. Allerdings besteht auch deren stetiger Wunsch nach Anerkennung... So bleiben alle Familienmitglieder letztlich „bei der Stange“, sind mit dem monologisierenden Selbstverliebten zu sehr verbunden, um auszubrechen, eine sadomasochistische Konstellation, wie in vielen anderen Stücken Bernhards... Denn: „Die gierig eingesogene Luft des Patriarchen hat Erstickungsanfälle zur Folge, aber trotzdem führt kein Weg aus den Vatergriffen heraus.“ (Ria Endres/Am Ende angekommen, S.15; Bibliothek der Provinz)
„Was die Schriftsteller schreiben (…) ist ja nichts gegen die Wirklichkeit / die Wirklichkeit ist so schlimm / dass sie nicht beschrieben werden kann“. (Thomas Bernhard / Heldenplatz)
1988: Burgtheaterdirektor Claus Peymann sucht nach einem Stück für das Bedenkjahr (50 Jahre „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland) und wird bei Thomas Bernhard fündig, der für ihn „Heldenplatz“ schreibt. Bald schon werden durch gezielte Indiskretionen Sätze aus dem Stück bekannt, aus dem Zusammenhang gerissen, doch prompt diskutiert halb Österreich über das Stück - ohne es zu kennen.
Am Premierentag ist auf der Titelseite der „Kronen Zeitung“ eine Fotomontage zu sehen, in der das Burgtheater in Brand gesetzt ist… Vor dem Theater laden Ultrarechte einen Misthaufen ab und werfen einen Brandsatz, im Theater krakeelen deren Spießgesellen, darunter H. C. Strache, von der Galerie herab. Doch sie und Andere, die wie die Pawlow’schen Hunde auf die speziellen Textpassagen warten, müssen sich in Geduld üben. Denn Stück und Inszenierung sind wie eine Symphonie aufgebaut und scheren sich nicht um Voyeurismus.
Eine Totenfeier: Anlässlich des Begräbnisses von Professor Josef Schuster, einem jüdischen Wissenschaftler, der 1938 nach England emigriert, dort in Oxford lehrt, in den 1950er-Jahren nach Österreich zurückkehrt und sich 1988, weil er am wieder erstarkten Antisemitismus verzweifelt, das Leben nimmt, trifft einander die hinterbliebene Familie. Da ist Trauer, so wie Wut, da wird Erinnerung von der Gegenwart eingeholt. Und schließlich kommt die Passage, auf welcher die Pawlow’schen Hunde im Publikum gewartet haben. Professor Robert, der Bruder des Verstorbenen sagt: „Österreich selbst ist selbst ist nichts als eine Bühne / auf der alles verlottert und vermodert und verkommen ist / eine in sich selbst verhasste Statisterie / von sechseinhalb Millionen Alleingelassenen / sechseinhalb Millionen Debilen und Tobsüchtigen, die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien / Der Regisseur wird kommen / und sie endgültig in den Abgrund hinunter stoßen“… Der „Übertreibungskünstler“ Bernhard hatte mit den „sechseinhalb Millionen Debilen und Tobsüchtigen“ eine – bittere – Pointe gesetzt, aber gleich der Vergrößerung von nicht sichtbaren (= übersehenen) Details in einem Bild für Aufklärung gesorgt, einen Lautsprecher gegen das Schweigen angesetzt. Die Premiere wird schließlich – trotz der Schreier – ein Erfolg, die Aufführung danach über hundert Mal gespielt, manche, die zuvor empört waren, sind etwas später begeistert, haben es „immer schon gewusst“ – auch das ist Österreich.
Heldenplatz“ hat, wie andere Werke Bernhards, politische Diskussionen ausgelöst, das macht Bernhard allerdings nicht zu einem „politischen“ Autor, denn Veränderung ist im Bernhard'schen Kosmos nicht möglich. Bernhards ProtagonistInnen räsonieren, sind aufgebracht, ja empören sich beinahe unausgesetzt, aber sie kommen nicht vom Fleck. Die feministische Literaturwissenschaftlerin Ria Endres resümiert: „Bernhards Texte sprechen eine Sprache des Misstrauens. Sie werden geschrieben gegen die Natur, gegen die Gesellschaft, gegen Wissenschaft und Kunst, gegen die Sexualität, gegen die Frau... nur nicht gegen die Sprache selbst.“ (Ria Endres/Am Ende angekommen, S.23) Da ist was dran. Jedoch, wie Bernhard sich, stets lustvoll widersprechend und ebenso widersprüchlich, durch die Sprache mit gesellschaftlichen Phänomenen auseinandersetzt, etwas sehend/erkennend, indem er (hinein-)hört, das macht ihn zu einem Zweifelnden mit feinem Sensorium für das Anzuzweifelnde. Noch einmal Karl Kraus: „Am Scheideweg der Worte muss man schwanken./ob dies da besser wäre oder jenes dort./denn der Gedanke hält nicht immer Wort,/jedoch das Wort hält mancherlei Gedanken.“ (Karl Kraus/Zweifel; Die Fackel, August 1920)