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Rossana Rossanda: Die Tochter des 20. Jahrhunderts

"Dies ist kein Geschichtsbuch. Es ist das, was in meinem Gedächtnis auftaucht, wenn ich den zweifelnden Blick der Menschen um mich herum auffange: Warum bist du Kommunistin gewesen? Warum sagst du, du bist es noch? Was meinst du damit?" So beginnt die Lebensgeschichte von Rossana Rossanda, die 1943 in die italienische KP (PCI) eingetreten ist.

24.02.2008

Das macht neugierig, in einer Zeit, in der sich in Deutschland die "68er" nicht nur gegenseitig, sondern auch selbst beschimpfen. Ich musste das Buch von Deckel zu Deckel lesen. Und es war die Zeit wert.
Rossana Rossanda führt die Selbstbefragung in einer klaren Sprache. Die kämpferische Frau des italienischen Kommunismus schreibt damit zugleich ein Stück Geschichte. Aus mancherlei Zweifeln, die dabei auftauchen, macht sie keinen Hehl. Hatte sie doch seit 1969 keine Partei und keine Ämter mehr, nur die Zeitung Il Manifesto, der sie treu blieb, die ihr aber nicht mehr gehörte.
Die Tochter des 20. Jahrhunderts wurde am 23. April 1924 in Pula auf Istrien geborgen, damals gehörte es zu Italien. Als Tochter aus gutem Hause studierte sie Kunstgeschichte und Philosophie. Auch nachdem ihre Familie in der Weltwirtschaftskrise den Ruin erlitten hatte, wusste sie sich in der Welt so zu bewegen, "wie es sich gehört."
Durch ihren Lehrer Antonio Banfi kam sie mit Antifaschisten in Kontakt und nahm an Partisanenaktionen der Resistenza teil. Sie sah die Körper der auf den Plätzen erhängten Genossen, und was sie sah, das ließ sie nicht mehr los.
Mit ihrem Eintritt in die PCI 1943 entschied sie sich dafür, das "eigene Land an die Wand zu stellen". Es waren für sie die Kommunisten, die die Zuverlässigkeit des Widerstandnetzes am ehesten garantierten. Schließlich wirkten sie im Nationalen Befreiungskomitee am entschlossensten.
Der Krieg, "der auch zwischen den Menschen selbst getobt hatte", konnte nicht einfach "zu einer bestimmten Stunde vorbei" sein, das stellte ich bald heraus. Nach "Kriegsende" – sie war nun 21 Jahre alt – blieb sie Kommunistin weil "Faschisten und Bosse" nicht auf ihrer Generation herumtrampeln sollten und ein weiterer Krieg niemals und nirgends wieder stattfinden sollte. Nach kurzer Zeit wurde sie zur Verantwortlichen für die Kulturpolitik der PCI ernannt, 1959 in das ZK aufgenommen und ging ab 1963 als Abgeordnete ins Parlament nach Rom.
Für sie war die PCI nicht die Partei Lenins, sondern ein soziales Netz, das den Alltag mitgestaltete und eine Orientierung und einen Halt inmitten einer feindseligen Gesellschaft bot. Als sie 1949 zum ersten Mal nach Moskau reiste, ging sie ohne Illusionen auf die Reise, versprach sich nicht das Paradies auf Erden, war aber froh, dass sie keine Hölle vorfand.

Das Verhältnis zur Partei

Auch nach der sowjetischen Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 kehrte sie der Partei nicht den Rücken, wenn die Zeit der Unschuld mit dem XX.Parteitag der KPdSU 1956 auch vorbei war. Klare Maßstäbe für die Ungeheuerlichkeiten entwickelte sie damals nicht. Das Erbe der Resistenza wirkte als bindendes Glied und ließ sie mehr als ein Auge zudrücken. Noch bis in die 60er Jahre glaubte sie daran, dass die Partei die Speerspitze der Kämpfe um Verbesserung und Verteidigung von sozialen Rechten sei.
Dennoch waren Konflikte mit der PCI unvermeidlich. Es war deren unentschiedene Haltung gegenüber Moskau und die reformistische Politik, die zum Bruch führten. Gemeinsam mit anderen Linksabweichlern trug sie die Duldung des militärischen Vorgehens der Sowjetunion gegen den "Prager Frühling" nicht mit. In den Streiks und den studentischen Protesten sah sie keinesfalls nur "Provokateure" und "Extremisten", wie die PCI-Führung das wollte, sondern durchaus Akteure sozialer Proteste.
Die immer größer werdende Kluft beschreibt Rossana Rossanda so: "Wir verlangten ein Recht auf Bildung, sie verwarfen die Schule als Instrument der Anpassung, wir verlangten ein Recht auf Arbeit, sie wollten das Ende der Lohnarbeit, wir verlangten Verteilungsgerechtigkeit, ihnen war der Konsum gleichgültig."
Der PCI war eine Bewegung, die sich gegen das "Fortschrittsdenken" richtete, suspekt. Ausgeschlossen wurde Rossanda endgültig, als sie 1969 mit gleichgesinnten Mitgliedern Il Manifesto gründete. Rossanda ermöglichte die Gründung einer eigenen Zeitung, an vorderster Front politisch aktiv zu bleiben. Zu dem Dialog, den sie erhoffte, indem die Ideen der 68er und die Weisheit der alten Linken verbunden werden sollten, kam es nicht, weil die von der Partei ausgeschlossenen Linken für die neuen Bewegungen zu vorsichtig und zu rational waren.
1953 empfand sie es noch als Gemeinheit, dass man nach den Wahlen 1953 versuchte, sie "zu den Frauen abzuschieben", indem man sie als PCI-Delegierte zum internationalen Frauenkongress schickte. "Diese militanten Frauen" langweilten sie zudem unendlich, und sie wandte sich nach der Rückkehr "wieder schnell der nicht geschlechtsspezifischen Politik" zu, schreibt sie in ihrem Buch.
Vergeblich sucht man nach einer Erklärung, was denn "nicht geschlechtsspezifische Politik" sein könnte, oder warum sie später vielleicht anders gedacht hat. Schließlich hat sie sich ein Leben lang mit der Emanzipation der Unterdrückten, auch der Frauen, und dem Feminismus auseinandergesetzt.
Auch in dem Buch beschreibt sie das Gespaltensein von Frauen zwischen Familienmodell, innerer Aufruhr und Außenwelt – "zwischen dem Leben als Frau und dem als Person". Und sie vergisst nicht zu vermerken, dass es der Feminismus war, der die Einheit gebracht, zumindest versucht hat. Das politische Lebensprojekt der Rossanda hat stets versucht, das Private mit dem Politischen zu verbinden, wenn es auch nicht ohne Widersprüche war.

Ein klägliches Ende

1971 machte Rossana Rossanda aus der intellektuellen Monatszeitschrift eine unabhängige kommunistische Tageszeitung, deren politische Linie sie jahrelang mitprägte und die heute noch existiert. Der Wunsch nach neuer Parteizugehörigkeit, den sie 1976 mit der Gründung einer neuen politischen Partei aus der Gruppe um Il Manifesto gemeinsam mit anderen kleineren Gruppen der Linken zu erfüllen versuchte, realisierte sich nicht.
Nach einer vernichtenden Wahlniederlage zog sie sich aus der Leitung der linken Tageszeitung sowie aus der aktiven Politik zurück und widmete sich fortan dem journalistischen und literarischen Schreiben.
Aber das gehört schon in ein anderes Buch, das noch geschrieben werden sollte. Den Schwerpunkt der vorliegenden Autobiografie bildet die Rückschau der über 80-Jährigen auf ihre Jugendjahre bis zu ihrem Parteiausschluss 1969. Seit etwa zwanzig Jahren sei sie mit ihrer politischen Tätigkeit gescheitert, schreibt sie. Wie es zu diesem harten Urteil kam, das sie zwar relativiert, indem sie schreibt: "gemessen an meiner Lebenszeit ist das nicht viel", bleibt daher unklar. Das was sie erreichen wollte, musste, wenn es funktionieren sollte, das Werk vieler sein, "und wenn sich nicht viele beteiligten, dann heißt das, dass es nicht funktioniert hat".
Wie soll die Welt verändert werden, wenn die Massen nicht mitmachen? Die Erkenntnis bildet den Stoff, aus dem die Kompromisse gemacht werden; oder aus denen sich das Scheitern speist. Für Rossanda hat "die Sache des Kommunismus und der Kommunisten im 20.Jahrhundert kläglich geendet", daraus schließt sie, dass man sich unbedingt mit ihr auseinandersetzten muss. Das hat sie mit Leidenschaft getan, denn "ohne Leidenschaft gibt es kein Leben".
Mit dieser Arbeit gibt Rossanda auch Einblicke in das Innenleben der PCI. Sie nennt viele Namen und beschreibt die taktischen Manöver des "trägen, intriganten, männerdominierten Machtapparats". Sie erzählt auch von Gelegenheiten, in denen sie sich selbst schuldig machte oder die ihr noch Jahrzehnte später peinlich sind. Vor allem und trotz alledem will sie uns Mut machen, uns weiter einzumischen.

Gisela Notz

Rossana Rossanda: Die Tochter des 20. Jahrhunderts, Suhrkamp 2007, 476 Seiten, ca. 27 Euro