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Sich einmengen, Kontraste setzen

Kurt Hofmann

Zum 100.Geburtstag von Erich Fried

19.02.2021



Es ist schwer, sich Erich Fried als Hundertjährigen vorzustellen. Doch es ist ein Leichtes, die Lücke zu benennen, welche Fried seit seinem Tod im Jahr 1988 hinterlassen hat: Da war einer, der zuschärfte, wo andere abschwächten, Zweifel anmeldete, wo andere Gewissheiten vermuteten.

„Die Sucht nach dem Besseren bleibt, auch wenn das Bessere noch so lange verhindert wird. Tritt das Gewünschte ein, so überrascht es ohnehin.“ (Ernst Bloch/Das Prinzip Hoffnung, Erster Band, S.44 – Das Zeichen, das wendet; suhrkamp taschenbuch, wissenschaft)

Österreich 1927: Im burgenländischen Schattendorf haben rechte Mörder ArbeiterInnen umgebracht. Doch die Täter werden in allen Instanzen freigesprochen. Am 15.Juli 1927 demonstrieren wie schon am Vortag Tausende gegen die Skandalurteile vor dem Justizpalast. Die Polizei geht mit äußerster Brutalität gegen sie vor. Es gibt viele Verletzte und 86 Tote. Den Schussbefehl hat der Polizeipräsident Schober erteilt.
Dezember 1927: Der sechsjährige Erich Fried kann im ersten Jahr seiner schulischen Karriere schon eine Karriere als Protagonist einer Kindertheatergruppe vorweisen. Weil auch die LehrerInnen sein Talent, sich Texte zu merken und diese mehr oder weniger gekonnt zum Besten zu geben, erkannt haben, darf er auf der Weihnachtsfeier seiner Schule ein Gedicht vortragen. Doch mitten im Publikum befindet sich, wie Erich erfährt, auch Polizeipräsident Schober. Statt des klischeehaften Poems erfolgt nun eine Erklärung des in Auftritten schon erfahrenen Schulanfängers: „Sehr geehrte Damen und Herren! (...) Ich habe gerade gehört, Herr Polizeipräsident Schober ist unter den Festgästen. Ich war am Blutigen Freitag in der Inneren Stadt und habe die Bahren mit Toten und Verwundeten gesehen. Und ich kann vor dem Doktor Schober kein Gedicht aufsagen.“ (Erich Fried/Mitunter sogar lachen) Der Polizeipräsident verlässt den Saal, ein Kind hat ihn vertrieben. Ein sozialdemokratischer Lehrer gratuliert Erich nach der Schulaufführung, der Vater aber droht ihm Konsequenzen an, er sei wohl in ein „kommunistisches Fahrwasser“ geraten.Kommunistisches Fahrwasser? Die Frieds besitzen ein kostbares Lexikon. Erich beschließt, die Begriffe nachzuschlagen. Freilich umfasst das Werk nur sechs Bände:“Band 6 ging nicht einmal bis Geschlechtsorgane, geschweige denn Kommunismus“. Die Definition von „Fahrwasser“ bringt Erich nicht weiter, ein Besuch bei seiner Tante, die die Gesamtausgabe von „Meyer's Konversationslexikon“ besitzt, schafft aber Abhilfe in Sachen Kommunismus:“So verdanke ich meinem Vater und Meyer's Konversationslexikon meine erste Einführung in die Grundzüge politischen Wissens“...

1963: Der Schriftsteller Erich Fried nimmt erstmals an einem Treffen der „Gruppe 47“ teil. Diese versteht sich als literarischer Gegenentwurf zu Muff und gesellschaftlicher Stagnation im Nachkriegsdeutschland. Martin Walser setzt sich für Erich Fried ein:“Eine letzte Bitte (…) Ich lernte Erich Fried kennen, Emigrant, London NW10/20 Chambers Lane , der hat durch seine Emigration kaum Kontakt und würde brennend gern zur Tagung kommen.(...) Er kann ja nichts dafür, dass er so ins Abseits geraten ist.“ (Helmut Böttiger/Die Gruppe 47, S.318; Deutsche Verlags-Anstalt) Und Hans Werner Richter, Gründer der Gruppe 47, der zuvor schon das schöne Wort „Emigranten-Deutsch“ geprägt hat, schreibt an Walter Jens, der Fried schließlich einlädt, nun kämen wohl auch „die goldenen Emigranten-Horden der goldenen zwanziger Jahre“ zur Tagung nach Saulgau. Dies wohl in Unkenntnis des Alters von Fried, doch die Wortwahl sagt, wie schon zuvor bei Walser, einiges über die progressive Literatur-Unternehmung aus. Emigration als „Abseits“, „Emigranten-Horden“: Willkommen in der BRD, Erich Fried...

In den folgenden Jahren wird Erich Fried in der „Gruppe 47“ das tun, was er, weiter aus London, bis zu seinem Tod, für seine zentrale schriftstellerische Verantwortung hält: sich einmengen, Kontraste setzen. Der literarische Elfenbeinturm der „Auserwählten“ interessiert Fried in diesem Zusammenhang nur am Rande...

Die 1970er und 1980er Jahre sind eine Hochzeit des Kalten Krieges. Da ist kein Mainstream-Medium, das ohne die „Dissidenten“ auskommt. Die Dissidenten leben allerdings nur im Osten, in der „Besten aller Welten“ wird niemand benachteiligt, ausgegrenzt oder gar verfolgt ... Dissident: die etymologische Wurzel dieses Begriffs erklärt sich mit „Abweichender, Andersdenkender“. Erich Fried hätte es wohl empört abgelehnt, mit diesem ideologischen Kampfbegriff des Kalten Krieges bedacht zu werden, aber tatsächlich trifft „Abweichender, Andersdenkender“ auf ihn zu.
Er beteiligt sich an Protesten gegen den Krieg in Vietnam, Berufsverbote, Isolationshaft (der RAF-Gefangenen ...), aber er geht dabei noch weiter als „erlaubt“, kümmert sich nicht um Tabus. So bezeichnet er in einem Beileids-Telegramm nach dem Tod von Ulrike Meinhof diese als „die größte Frau seit Rosa Luxemburg“ und bezweifelt in ihrem wie auch in den anderen Fällen in seinen Gedichten staatsoffizielle Selbstmord - Versionen. Der Fragensteller lässt sich nicht zu vorschnellen Antworten verleiten, niemand kann ihn instrumentalisieren.

Zu sehen sind. Gesichter. Über sie wird in Carl Theodor Dreyers Film „La Passion de Jeanne d'Arc“ (1928) die Geschichte erzählt: „Es war gleichsam ein großer, nicht endender Dialog menschlicher Gesichter, des gequälten Gesichts von Jeanne und der verbissenen Physiognomien der Mitglieder des geistlichen Gerichts“, so Jerzy Toeplitz. (Jerzy Toeplitz/ Geschichte des Films-1933; S.468; Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins). Die Bedeutung von Dreyers Werk in der Filmgeschichte ist jener eines großen Shakespeare-Stückes im Theater (dessen Werke Fried kongenial ins Deutsche übertrug) gleichzusetzen. Als Cinephiler wie als Humanist liegt Fried diese Jeanne, die so handelt, weil sie nicht anders kann, am Herzen. Deswegen will er auch unbedingt, dass seine Frau Catherine, die Dreyers Film nicht kennt, diesen (wenigstens) anlässlich einer Fernsehausstrahlung sieht. Catherine lehnt ab, weil Dreyers „Dies irae“ (1943), handelnd von Hexenverfolgungen (und Vorurteilen... ), den sie als Kind gesehen hatte, einen traumatisierenden Eindruck auf sie hinterließ.
Erich Fried gibt allerdings nicht auf: „Doch Erich blieb, wie vorauszusehen, hartnäckig, und so war ich nicht sehr überrascht, seine langsamen Schritte auf der Treppe zu hören und dass er den massigen Fernseher herauftrug. 'Now watch' befahl er, während er ihn ans Fußende des Bettes stellte.“ (Catherine Fried/Über kurz oder lang – Erinnerungen an Erich Fried; S.46, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin)
Jeanne, die so handelt, weil sie nicht anders kann: so was kommt von so was, sagt der Volksmund...

Erich Fried, dessen Vater wie auch dessen Großmutter von den Nazis ermordet wurden, der eine in einem Folterkeller der Gestapo, die andere in der Gaskammer, war dennoch (deswegen?) ein heftiger Kritiker der israelischen Politik. Er schreibt: „Michael Kohlhaas hat heute/einen palästinensischen Namen.“ Und weiter: „Und man hat diesem Kohlhaas/nicht Pferde/sondern Land weggenommen.“ Und er zitiert Kleists Charakterisierung des Kohlhaas:“Das Rechtsgefühl aber/macht ihn zum Räuber und Mörder“ (Erich Fried/Höre, Israel; S.112 – Postleitzahl 808 Kohlenhasenbrück; Verlag Association)

Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder: Erich Fried billigt Attentate radikaler PalästinenserInnen nicht, aber er versucht, deren Motivation, basierend in deren (von ihm vielfach kritisierten) Lage zu verstehen, fragt nach, wo Antworten schon vorgefertigt sind.

Etwas verstehen wollen: Hierin wurzelt auch ein Irrweg Frieds, welcher, nachdem die Einladung des Neonazi-Führers Kühnen zu einer Talkshow (zu der auch Fried geladen war) zurückgezogen wurde, Kontakt zu Kühnen aufnimmt. Er sucht den Dialog, will Kühnen „therapieren“ (wie Jahre später übrigens auch Christoph Schlingensief, der in seiner „Hamlet“-Inszenierung die zentralen Rollen mit „bekehrten“ Neonazis besetzte …) - derlei ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Wie Fried tickt, zeigt eine Erzählung seiner Frau über den Besuch eines befreundeten Journalisten bei den Frieds in den 1970er Jahren: dieser durfte bei einem Einsatz der US-Army gegen vietnamesische Dörfer im Flugzeug mitfliegen. Je länger er das den Frieds schildert, desto mehr wird seine Faszination für den Einsatz sichtbar. Catherine Fried ist angewidert und zwingt den Journalisten zum Abbruch seiner Erzählung: „Als er gegangen war, meinte Erich, wie schade es doch sei, dass ich ihn unterbrochen hätte. Er habe versucht zu verstehen, wie dieser sanfte Mensch sich mit einer solch grausamen Aggression habe identifizieren können.“ Catherine Fried/Über kurz oder lang – Erinnerungen an Erich Fried, S.52; Verlag Klaus Wagenbach)

Fried und Österreich? Wo es nottut, mengt sich Fried etwa im Rahmen der „Waldheim-Affäre“, mit einem Statement ein. Im übrigen gilt folgendes: „Aller angeblicher Schimpf, der Österreich angetan worden sein soll, ist nichts gegen den Schimpf, den von allen guten Geistern verlassene Österreicher sich selbst und dem Land antun.“ (Erich Fried in seiner Brucknerfest-Rede 1987)

Sprachspiele:“Der Befassungsschutz/verschützt die Vorsitzenden/von denen die Verhörden/als bestockte Beschwörer verkannt sind/ weil sie eine Beänderung/der Lebensverdingungen wollen/durch Bewandlung der Produktionsbehältnisse“ heisst es in der ersten Strophe des Gedichts „Verstandsaufnahme“ (Erich Fried/Die bunten Getüme, S.48; Verlag Klaus Wagenbach)
Durch Irritation Aufmerksamkeit erzeugen, Worten auf die Spur kommen. Behauptungen widerlegen – dies ist Frieds Pläsier, etwa auch in seinem populärstem Gedicht, dem Liebesgedicht „Was es ist“: Da mühen sich die Vernunft, die Berechnung, die Angst, die Einsicht, der Stolz, die Vorsicht und die Erfahrung gemeinsam vergeblich, auf die Endlichkeit der Liebe zu verweisen. Doch deren Antwort bleibt immer gleich:“Es ist was es ist/sagt die Liebe“...

Die „Sucht“ nach dem Besseren (Bloch), der anderen, besseren Gesellschaft, hat Fried lebenslang angetrieben: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt!. (Erich Fried)