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SOAP OPERA: Inszenierte Wirklichkeit in den Medien

Kurt Hofmann

Je unübersichtlicher die Welt, desto punktgenauer deren medialer Auftritt: Längst schon ist es gleichgültig geworden, ob Osama bin Laden tot oder lebendig ist, seine Videobotschaften echt oder gefälscht, er ist als Inkarnation des Bösen omnipräsent, ob er aus einem Erdloch oder aus einem atomsicheren Bunker die Vernichtung der westlichen Zivilisation plant, schwerkrank oder quicklebendig ist, all dies tut nichts zur Sache.

18.08.2008

Zizeks Frage im Rahmen einer 9/11-Analyse für „Die Zeit“: „Ist folglich Osama bin Laden, (…) nicht das lebensechte Gegenstück zu Ernst Stavro Blomfeld, dem Megaverbrecher in mehreren James-Bond-Filmen, dessen Ziel die Zerstörung der Welt ist?“ erfasst den Kern des Problems. Der reale Osama bin Laden ist eine uninteressante Randfigur im Vergleich mit der Marke gleichen Namens. Gut möglich, dass der Gottseibeiuns der Bush-Ära nach dem Abgang von Bush durch einen neuen Medienkrampus ersetzt wird, seine (negative) Strahlkraft ist ja schon ein wenig am Verblassen, wesentlich ist, dass der Weltbedrohung die Weltenrettung folgen muss und die Angstmaschinerie zeitgerecht angeworfen wird. Überall lauert Verschwörung und Verrat,  lehrt uns die Paranoia-Echtzeit-Serie „24“, die Folter als probates Mittel zur Beschleunigung  von Erkenntnissen über Feinde empfiehlt. Jack Bauer weiss, wo Guantanomo liegt, er dient, lange vor Obamas möglichem Wahlsieg, in der sechsten Staffel der Serie schon dem zweiten afroamerikanischen Präsidenten (dem Bruder des ersteren), Liberale beide, die  mit tiefem Bedauern (von Fall zu Fall) Bürger – und Menschenrechte dem größeren Ganzen opfern müssen…
Die weitverbreitete Redensart, das Leben schreibe die besten Geschichten, hat dazu geführt, dass zwischen der Realität und dem Anschein der Realität kein Unterschied mehr gemacht wird, im Zweifelsfall hält man sich, wie je, an die gut aufbereitete Legende.

I

Ich bin ein Star, holt mich hier raus
Die kolumbianische Dschungel-Show

Es sei,  so heißt es in den Berichten der kolumbianischen Medien, die weltweit nahezu 1:1 übernommen wurden, ein geniales Täuschungsmanöver gewesen, die als Guerillas verkleideten Sicherheitsbeamten hätten zuvor sogar Schauspielunterricht erhalten, um ihre Rollen glaubwürdig zu verkörpern. Als der Schweizer Radiosender SRS diese Version unter Berufung auf eine „glaubhafte und in den vergangenen Jahren mehrfach erprobte Quelle“ (derstandard.at, 5.7.2008) bezweifelt und anmerkt, statt der spektakulären Aktion „Jaque“  (Schach) zur Befreiung von Ingrid Betancourt sowie von 14 weiteren Geiseln wäre in Wahrheit der FARC Lösegeld in Höhe von 20 Millionen Dollar übergeben worden, ist die Empörung groß. Obwohl sich die wichtigsten kolumbianischen Medien  im Besitz der Santos-Familie,  die in der Regierung den Vizepräsidenten und den Verteidigungsminister stellt, befinden, wird jenen mehr geglaubt als einem Schweizer Sender  ohne Eigeninteresse im Spiel  der Selbstdarsteller und Propagandisten.

Zwei Bilder:

Das ist das eine, von der FARC verbreitete, das eine ausgemergelte und offenbar kranke Frau zeigte: als  dieses Video  weltweit in Umlauf gebracht  wurde, galt es als Beleg für die Mitleidlosigkeit der FARC und es schien schwer vorstellbar, dass Ingrid Betancourt die  erlittene Tortour  überlebt.

Das ist das andere, von der Nachrichtenagentur AFP verbreitete, welches Betancourt unmittelbar nach ihrer Befreiung zeigt.
Selbst wenn man annimmt, dass die Expolitikerin vor dem Verlassen des Flugzeuges von erstklassigen SchminkmeisterInnen auf ihren ersten öffentlichen Auftritt seit Jahren optisch vorbereitet wurde, ist der Unterschied zu dem Bild aus dem Dschungelgefängnis, dem sie nach offizieller Bekundung eben erst entronnen  sei (und vor Besteigen des Flugzeuges gemäß der Fama zusammen mit den anderen Geiseln auch noch einen Fußmarsch durch den Dschungel absolvieren musste) frappierend. Der offensichtlich „gute Zustand von Betancourt“ (Handelsblatt, 4.7.2008) stärkt den Verdacht, „dass zumindest die Befreiung ein paar Tage zurückgelegen sein könnte“ (ebdt.).  Weshalb auch hätten die FARC-Rebellen, gnadenlos (bekanntermaßen) und ahnungslos (über Betancourts bevorstehende Befreiung) ihre Geisel aufpäppeln sollen?

Die Rolle der USA:

Am Vorabend der Verkündung der wundersamen Errettung Betancourts durch das kolumbianische Militär trifft der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain in Bogota ein – Zufall?
Unter den 15 Freigelassenen befinden sich drei FBI-Agenten. Ihre Erfahrungen (sie sind „Spezialisten“) könnten wertvolle Informationen liefern – sollte man sie den unberechenbaren Risiken einer Geiselbefreiung aussetzen? Das kolumbianische Regime ist ein zentraler Verbündeter der USA in Lateinamerika – kein guter Grund, 20 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen?
Und schließlich: Die USA als Produzent des langjährigen (nun allerdings schon etwas  abgespielten) Nr.1.-Hits „Wir verhandeln nicht mit Terroristen“ hat den Song dank Uribe wieder in den Charts placiert …

Die Folgewirkungen

Immer noch befinden sich hunderte Geiseln in den Händen der FARC. Wenn die Version der kolumbianischen Regierung stimmt, welchen Grund sollte die FARC haben, jemals wieder über deren Schicksal zu verhandeln? In Zeiten, da selbst Israel mit der Hisbollah einen Gefangenenaustausch durchführt, würde sich die vielgelobte Charade, hätte sie tatsächlich stattgefunden, künftig in vergleichbaren Situationen als kontraproduktiv erweisen, gleichgültig, ob es sich dabei um ein ernstgemeintes Verhandlungsangebot oder einen erneuten Trick handelt: they won’t buy it.

Dies alles: unerlaubte Schlussfolgerungen angesichts einer guten Story, die demnächst verfilmt werden soll; Zufälligkeiten: wie jene, dass  sich Uribe wenige Tage nach seinem Medientriumph  mit seinem Erzfeind Hugo Chavez versöhnt hat, der schon lange seine Dienste in Sachen Kontaktaufnahme mit der FARC anbietet…

Nun sind hundert Jahre Einsamkeit vorbei: Alvaro Uribe, der Präsident, der keiner ist (der Oberste Gerichtshof in Bogota hat seine Wiederwahl für ungültig erklärt),  lässt sich als Held und Mastermind eines brillianten Coups feiern – allseitiger Applaus.
Ingrid Betancourt jedoch hat alle Dschungelprüfungen souverän  bestanden und dankt nun Uribe, Sarkozy und Gott. Bei Sarkozy und in Lourdes war sie schon, demnächst ist auch ein Besuch beim Papst angesagt.  Gegen Oberste Instanzen gibt es  bekanntlich keine  Berufung  (man kann sich allerdings jederzeit auf sie berufen). Wenn nun auch noch Uribe heilig gesprochen wird, ist die Welt  wieder einigermaßen in Ordnung…

II

Postkomatöse  Erkenntnisse
Die Tochter des F. spricht


„Ein neues Leben“: Das soll die 19jährige Tochter des monströsen Herrn F. nach ihrem Erwachen aus einem mehrwöchigen Koma zu einem Arzt gesagt haben. Mit den ersten Worten verhält  es sich ja ähnlich wie  mit den vielzitierten letzten Worten. Dass Goethe auf seinem Sterbebett „Mehr Licht!“ gerufen haben soll und nicht, wie Egon Fridell später beharrlich behauptete, „Mehr nicht!“, wollen wir unbesehen glauben.
Aber so wenig sich die Tochter des F., Schiller leicht variierend, mit „Ich denke einen langen Schlaf zu tun./ Denn dieser  letzten Jahre Qual war  groß.“ ins Koma verabschiedet hat, so unwahrscheinlich ist die Sentenz  vom neuen Leben. Vielleicht: „Schwester, was macht der Schlauch in meiner Nase?“, oder meinetwegen: „Einen Kübel, ein Königreich für einen  Kübel!“,  dieser allzu passende Deckel  für den Topf journalistischer Neugierde jedoch verweist auf die stets fließenden Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit. Freilich, die Erzählung des Arztes geht weiter, es folgt Teil 2 der postkomatösen Sager. Die Tochter des F. habe ihren größten Wunsch geäußert. Sie wolle einmal ein Robbie Williams-Konzert besuchen und dabei den Meister persönlich kennenlernen – die nächste Entsprechung. So denken viele neunzehnjährige Mädchen, zweifellos, es sei denn, sie wären totalisoliert  in einem Keller aufgewachsen und hätten als Vater einen, der mutmaßlich zur Hardcore-Abteilung der Musikantenstadel-Fans zählt und seine freie Zeit schwerlich damit verbringt, passende Musikvideos für seine heranwachsenden Opfer auszusuchen…

Wo kein Bild möglich ist, muss eine Legende her, die ein Bild  ergibt, die Plausibilität wird notfalls den Erwartungen angeglichen.
Das Sehnen, sich zu entziehen, bleibt unerhört, wird sogar als Unerhörtheit begriffen. In Ruhe gelassen zu werden, ist ein Luxus. Wer nicht passt, wird passend gemacht.

Der Arzt als Ohrenzeuge bei der medialen Erschaffung „neuen Lebens“: a true story, zweifellos