Klar-Stellungen
Monika Mokre
24.04.2007
Über die Freiheit neoliberal deregulierter Märkte und ihre unbotmäßigen KritikerInnen:
„Und sie bewegt sich doch.“ Einer unbewiesenen Legende zufolge hat
Galileo Galilei diesen Satz geäußert, nachdem er vor der Inquisition
seiner Lehre von der Erdbewegung abschwören musste.
„Das geht anders“, sagte kürzlich der verurteilte RAF-Terrorist
Christian Klar in einer Grußbotschaft an das Rosa-Luxemburg-Forum und
da er diese Äußerung nicht klammheimlich tat und auch das vorherige
Abschwören verabsäumt hatte, soll es nun weder Hafterleichterungen noch
gar vorzeitige Entlassung für ihn geben. Klar hat zum Kampf gegen den
Kapitalismus aufgerufen und damit nach der Auffassung des
baden-württembergischen Justizministers Ulrich Goll „seine fortdauernde
Gefährlichkeit“ bewiesen. Zwar sind sich alle einig, dass er nicht zur
Gewalt aufgerufen hat, aber er hat Europa als imperiales Bündnis
bezeichnet und den Kampf gegen das Kapital propagiert. Die Empörung ist
groß und nur die wohlmeinendsten Kommentatoren sehen ihn als „debil,
aber nicht gefährlich“ an (siehe Niels Kruse im „stern“).
Klar hat nichts besonders Aufregendes oder Neues gesagt, sondern recht
verkürzt und ohne viel Argumentation das wiederholt, was zahlreiche
GlobalisierungskritikerInnen seit langem und sehr plausibel vertreten.
Dass der Kapitalismus „ sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich
seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite
widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze
gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln“,
lässt sich auch in linkskatholischen Schriften nachlesen. Seine
GegnerInnen verhalten sich etwas weniger erwartungsgemäß - zwar ist es
durchaus üblich, diejenigen, die bestehende Hegemonien angreifen, als
entweder böse oder blöd zu bezeichnen, doch die Aggressivität (statt
herablassender Toleranz), mit der auf Klar reagiert wird, erstaunt
eher. Warum soviel Paranoia, wenn doch der Kapitalismus Ende der 1980er
den Endsieg errungen hat? Der Kapitalismus, der angeblich untrennbar
mit liberaler Demokratie verknüpft ist und damit das Recht auf
Meinungsfreiheit ganz oben auf seine Fahnen schreibt. Der aufgrund
seiner moralischen Überlegenheit in jeglicher Hinsicht die Spinnereien
der „Feinde der Freiheit“ nicht fürchten muss. Weil ein verurteilter
Mörder diese Äußerungen getan hat? Weil die RAF die deutsche
Gesellschaft tief traumatisiert hat (wurde dieses Trauma tatsächlich
von der RAF ausgelöst oder vielleicht doch durch die staatlichen
Reaktionen auf diese, die Berufsverbote, die Bespitzelungen, die
ständige Gewaltbereitschaft der Polizei)? Oder vielleicht, weil doch
Angst vor denjenigen aufkommt, die nicht von der Alternativlosigkeit
des Kapitalismus überzeugt sind?
Tja, die letzte Möglichkeit wäre zweifellose eine attraktive für alle
diejenigen, die wie Klar meinen, dass sich das Kämpfen gegen den
Kapitalismus noch lohnt. Doch vielleicht sind die Gründe auch viel
trivialer: Wer einmal aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde, eignet
sich besonders gut, um ein Exempel zu statuieren. Die herablassende
Toleranz gegenüber der Meinungsfreiheit der GegnerInnen wirkt nur dann
systemstabilisierend, wenn sie sich mit umso rigideren Maßnahmen gegen
diejenigen paart, die sich nicht als gesprächsbereite
DiskussionspartnerInnen, sondern als FeindInnen bewiesen haben. Ebenso
wie Attac mittlerweile in offizielle Gesprächsrunden der Europäischen
Kommission einbezogen wird, während der schwarze Block innerhalb der
Demonstrationen gegen die Globalisierung nicht nur symbolisch, sondern
durchaus auch real zum Abschuss freigegeben wurde, büßt nun Christian
Klar für Aussagen, die keinesfalls so radikal sind wie etwa die
Nobelpreisrede von Gabriel Garcia Marquez aus dem Jahr 1982, aus der
letztlich Auszüge in Ö1 vorgestellt wurden. Nein, Inquisition heißt das
heutzutage nicht mehr, sondern wohl: Keine Meinungsfreiheit für die
Feinde der Freiheit. Einer Freiheit, die allerdings nicht, wie von Rosa
Luxemburg als die „Freiheit der anderen“ verstanden wird, sondern in
erster Linie als die Freiheit neoliberal deregulierter Märkte, der sich
unbotmäßige KritikerInnen nicht entgegenzustellen haben.