Immer mehr, immer besser: Vom „Dopingskandal“ zum Leistungswahn
Kurt Hofmann
Wer glaubt, dass Spitzensport ohne Doping als völkerverbindendes Ideal mit ethischen Grundlagen möglich ist, der glaubt auch daran, dass sich ein feister Nikolo mit gewaltigem Wamst ausgerechnet durch seinen/ihren Rauchfang zwängt, um ihm/ihr Geldscheine in die Socken zu stecken. Wenn in Zeiten des Höher, Schneller, Punktgenau schon der /die Zweitplacierte als Looser betrachtet wird, wäre es weder angebracht noch vorstellbar, allein auf die (einmal sich erschöpfenden) Reserven selbst des leistungsbereitesten SportlerInnenkörpers zu vertrauen. Natürlich ist die Optik besser, wenn man wie der mehrfache Tour-de-France-Sieger Lance Amstrong auf eine heroisch überwundene Krebserkrankung hinweisen und somit kürzlich aufgetauchte Dopingvorwürfe als kleinkrämerische Beckmesserei abtun kann. Nicht ganz so gut sieht es dazu im Vergleich aus, wenn man angesichts einer plötzlichen Kontrolle panisch Spritzen aus dem Fenster wirft…
24.04.2007
Dass es in Italien hartnäckige StaatsanwältInnen gibt, hat schon Silvio
Berlusconi („Alles Kommunisten!“) festgestellt. Einer von ihnen
arbeitet in Turin und ist so österreichfeindlich eingestellt,
heimischen SpitzensportlerInnen weiterhin (Stand: April 2006)
Blutdoping zu unterstellen. Dabei ist es so einfach: "So a Menge Bluat,
des war’ sicher wen’ aufgfalln!" meinte der ÖSV-Sportdirektor für
Langlauf und Biathlon, Markus Gandler, in einem Radiointerview.
Freilich gilt die Unschuldsvermutung für die österreichische Unschuld,
die stets verfolgt wird. Wer immer jedoch die munteren Sprüche des
ÖSV-Präsidenten Schröcksnadel im Verlauf der Internationalen
Pressekonferenz, die noch während der Olympischen Spiele den ersten
Schreckens-Schlagzeilen folgte, als „löwingerisch“ bezeichnet hat,
der/die ist wohl ein/e ausgewiesene/r KennerIn Paul Löwingers, dessen
Auftrittssatz „Allaweil i, warum net die Anderen“ längst integraler
Teil der Österreichischen Verfassung sein sollte, so wie er es als
integraler Teil der österreichischen Gemütsverfassung seit jeher ist.
Mag der Schauspieler längst tot und sein Ensemble in alle
Windrichtungen zerstreut sein, diese Bauerntheater-Weisheit zählt wie
der zu Unrecht nicht zum Weltkulturerbe erklärte österreichische Charme
zum kostbaren Gut des unverrückbar Österreichischen (Im übrigen: Dass
die neue Tageszeitung der Fellners ausgerechnet „Österreich“ heißen
soll, läßt auf Schlagzeilen wie „Was ist österreichisch an Österreich,
fragte Österreich die Österreicher“ hoffen).
Zweifellos gibt es auch SportlerInnen, die sich schon bei der Erwähnung
des Wortes DOPING vor Ekel schier übergeben müssen, wie der
österreichische Kombinierer und mehrfache Olympiasieger Felix Gottwald,
der zum einen auf geheimnisvolle esoterische Strömungen und zum anderen
schlicht auf verschärftes Training vertraut. Was aber ist vom Training
zu halten? Friedrich Geyrhofer hat bereits 1972 in seinem Artikel
„Sport als Industrie“ auf Bero Rigauers Thesen zum Thema „Sport und
Arbeit“, welche frappierende Ähnlichkeiten zwischen kapitalistischer
Produktion und Training im Leistungssport aufdeckten, verwiesen:
„Gerade im Training zeigt sich […] eine verblüffende Affinität des
Leistungssports zur industrialisierten Arbeit, wie sie durch
Taylorismus, Rationalisierung und exakte Arbeitswissenschaft geprägt
wird. […] Die tayloristische Arbeitswissenschaft hat […] das Konzept
der Fließarbeit entwickelt, in der die einzelnen Bewegungen so präzise
aufeinander abgestimmt sind, daß der Arbeiter seine Handgriffe ganz
automatisch, gleichsam bewußtlos, vollziehen muß. In der
Betriebssoziologie wird das System der gefügeartigen Kooperation
beschrieben, in dem die Arbeiter bei Schwierigkeiten einander nicht
mehr helfen können, ohne daß der ganze Prozeß zusammenbricht.
Eben diese Merkmale rationalisierter Arbeit findet Rigauer im
wissenschaftlichen Training des Leistungssports wieder. Der Taylorismus
zerlegt den komplexen Arbeitsvorgang in seine Atome, minimale
Handgriffe, von denen ein jeder eingehend analysiert wird, um möglichst
alle Zeitverschwendung zu beseitigen. […] Inzwischen ahmt der Sport den
Taylorismus nach, als ob auch er um jeden Preis relativen Mehrwert
herausschinden müßte. […] Rigauer belegt in Beispielen aus der
Sportwissenschaft, daß sich das Training kaum mehr von der Arbeit am
Fließband unterscheidet. Das circuit Training läßt monoton den
Trainierenden einen Zirkel festgelegter Übungen absolvieren, wie die
manufakturelle Serie, wo der Arbeiter die Stationen von ein paar
spezialisierten Handgriffen wiederholt.“ (Friedrich Geyrhofer/Sport als
Industrie, Neues Forum, September/Oktober 1972, S. 25/26)
Nun könnte man einwenden, dass sich die Trainingsmethoden im Laufe der
Jahrzehnte verfeinert haben, aber, so müßte man hinzufügen, wohl nicht
weg- sondern weiter hin zu modernisierten Methoden der kapitalistischen
Arbeitswelt.
Weder die besessen trainierenden noch die bei Ertappung im Dopingfall
ausgegrenzten SportlerInnen sind jedoch Ausnahmefälle, sie sind
Vorzeigeobjekte wie Sündenböcke des Regelfalls.
„Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir!“ war schon, als dieser
Spruch frisch und neu war, eine verlogene, wenn auch völlig anders
gemünzte Phrase. Wurde einst damit noch vorwiegend der herausragende,
perönlichkeitsbildende Wert einer humanistischen Bildung betont und
stand dabei im Gegensatz zum sturen Lerndrill der diversen Lehrer
Lämpels, so ist heute unter „Nicht für die Schule, für das Leben lernen
wir!“ die direkte Vorbereitung auf die Erfordernisse einer auf
Rationalisierung und Profitmaximierumg bedachten Wirtschaft, ein
Fitmachen fürs Flexibelsein, damit gemeint.
„Brain Booster“ (Hirnturbo) werden jene Pillen genannt, die sich
(angeblich oder tatsächlich) leistungssteigernd auswirken. Ritalin,
eigentlich zur Ruhigstellung hyperaktiver Kinder entwickelt, steigert
nicht nur das Konzentrationsvermögen, sondern kann, so heißt es, ab der
Adoleszenz den es Einnehmenden zu ungeahnten Leistungssteigerungen
verhelfen. An manchen US-amerikanischen Schulen schlucken bis zu einem
Drittel der SchülerInnen Ritalin, ganz zu schweigen von ihren Eltern,
denen unentwegt eingetrichtert wird, sie müßten ##das Letzte aus sich
herausholen##, damit ihr Humankapital noch einen Beitrag zum großen
Ganzen liefern dürfe. Eine Zukunft ohne Fitmacher, so Günter Amendt
("No drugs – No future"), ist in Zeiten des beruflichen wie privaten
Leistungswahns kaum vorstellbar, da sonst den beruflichen und privaten
Leistungsvorstellungen nicht mehr entsprochen werden könne. Während vom
Arbeitsmarkt verdrängte Hausfrauen seit jeher auf "mothers little
helper" setzen, um den Tag zu überstehen, haben jene, die noch
Beschäftigung finden, die Wahl zwischen leistungssteigernden (häufig
ursprünglich für die Alzheimer-Forschung entwickelten) Medikamenten,
Motivationstraining und stromlinienförmiger Anpassung, um nicht bei der
nächsten Modernisierungswelle wegrationalisiert zu werden.
Die Idealversion schildert jedoch, da Marketingexperten bekanntlich
immer am Puls der Zeit sind, eine aktuelle Fernsehwerbung. Da fährt der
Unternehmer nächtens an seiner Firma vorbei und sieht in einem Raum
noch Licht. „Ja, wer arbeitet denn da noch?“ fragt er. Sein Chauffeur
antwortet: „Das ist der Berger.“ Darauf der Boß: „Guter Mann! Muß ich
mir merken.“
Arbeiten bis in die Nacht, natürlich ohne Lohnausgleich, das wird, wie
ein Interview mit dem Deutschlandchef des Mobilfunkgerätebauers ZTE,
Herrn Halfeng Ling aus China in der Berliner Zeitung zeigt, künftig zu
wenig sein. Unter dem Titel "Die Deutschen verplempern zuviel Zeit" ist
da Aufschlußreiches zu lesen: „[Berliner Zeitung:] Warum sollen
chinesische Firmen denn schneller sein als andere? [Halfeng Ling:] Ich
gebe ihnen ein Beispiel. Der deutsche Ingenieur arbeitet im Schnitt
1.650 Stunden im Jahr. In China liegt die gesetzliche Arbeitszeit bei
2.500 Stunden. Unsere Ingenieure arbeiten aber oft 3.000 Stunden. Die
Deutschen verplempern zu viel Zeit fürs Private. Wenn Deutsche Urlaub
machen, dann sind sie abgeschnitten vom Rest der Welt. [Berliner
Zeitung:] Ganz so hoch ist das Arbeitsethos in China ja nicht: Dort
trifft man viele chinesische Touristen, die einem erklären, dass sie
auf Dienstreise seien. [Halfeng Ling:] Das ist ein gutes Beispiel: Die
Chinesen versuchen Freizeit mit geschäftlichen Interessen zu verbinden.
Sie knüpfen ständig Netzwerke. Man beschleunigt so die Kommunikation
und kann so leichter Karriere machen. Die Deutschen hingegen wollen
ihre Ruhe haben.“ (Berliner Zeitung, 19.2.06)
Wenn schon die geisteswissenschaftlichen Fächer an den Universitäten zu
„Orchideenfächern“ erklärt werden, da schließlich weder Kant noch Hegel
bahnbrechende Werke zur Gentechnik verfaßt haben, ist das Verlangen
nach Freizeit erst recht frivol. So überhaupt, ist diese künftig
ausschließlich als suspensives Freizeitverhalten, also an die Routine
von Berufs- und Arbeitswelt angepaßt, vorstellbar.
Ganz zu schweigen vom ebenso dringend notwendigen wie seit jeher
verteufelten Müßiggang, der für viele, folgt man Gisela Dischner, nur
mehr in pervertierter Form denkbar ist: „Wenn der ‚Müßiggang‘ für die
schleichend Dauernarkotisierten im Überlebenszirkel des Alltags, der
morgens mit der Aufputschtablette (happy pill!) beginnt und abends mit
der Beruhigungstablette endet (die Drogenbilder lassen sich aufs
Fernsehen, den Alkohol etc. übertragen) als Folter und Angstauslöschung
wirkte, müßte er nicht geradezu im Sinne der Resozialisierung des
Arbeitstiers Mensch, des Konsumautomaten Mensch überall neu gelehrt
werden?“ (Gisela Dischner/ Friedrich Schlegels Lucinde und Materialien
zu einer Theorie des Müßiggangs; Gerstenberg-Verlag)