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Der "Schwarze Mann"

Kurt Hofmann

Anmerkungen zur Rezeption des Falles Natascha Kampusch.

24.04.2007

Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann? Niemand! und wenn er aber kommt?  Dann laufen wir davon!

Wer im Kinderspiel am langsamsten läuft, wird vom "schwarzen Mann" gefangen. Dessen pädagogischer Mehrwert mag schon früher fragwürdig gewesen sein, denn allein die Existenz einer schattenhaften Schreckensfigur kann Furcht erzeugen (insbesondere bei dicken, kurzatmigen Kindern ...), auch Drohung, dass aus dem Spiel Ernst werden könnte, war stets präsent. Wenn er aber kommt, dann holt er, so tönte es aus dem Elternhaus, die unartigen Kinder. Ein altes Ammenmärchen, ursprünglich von rassistischen Stereotypen geprägt, besonders im ländlichen Raum. Das Angstmachen funktioniert in Zeiten von Horrorvideos und Computerspielen mit dem Planziel der Auslöschung der "Feinde" bei den Nachgeborenen nicht mehr. Dennoch ist der Schwarze Mann nicht verschwunden. Er lauert hinter einer Hecke, er trägt einen Rucksack, in dem keine/r mehr Proviant vermutet, seine Gedanken sind so dunkel wie sein Vollbart. Ist der Bart dank teuflischer Raffinesse abrasiert, sieht er aus wie WIR, hat sich unversehens unter UNS gemischt, als gehöre er dazu. Hilfe! Nun kann uns nichts mehr retten!

Liebe LeserInnen der Linken! Sehr geehrte Weltöffentlichkeit! "Österreich hat durch seine politischen Blamagen erreicht, dass man in der großen Welt auf Österreich aufmerksam wurde und es endlich einmal nicht mehr mit Australien verwechselt", schrieb Karl Kraus anno 1913 in der "Fackel". Jedoch: Wir haben nicht nur Waldheim und Haider (von dem Herrn aus Brauanu, der dann ein Deutscher geworden ist, so wie Beethoven ein Österreicher, wollen wir gar nicht erst sprechen) als Weltöffentlichkeitsinteressenspersonen vorzuweisen, sondern auch den Lazarus aus Lassing und die Lazara aus Straßhof. "Die ganze Welt fühlt mit dir, Natascha", resümiert das Gratisblatt "Heute" am 25. 8. 2006.
Besser könnte man es nicht sagen, wenngleich der Welt entgangen ist, was die FAZ schon weiß: Am 13.1.1990 wurde die damals neunjährige Fusako Sano enführt und von ihrem Peiniger neun Jahre lang (neun, nicht bloß acht!) gefangenhalten. Beendet wurde deren Martyrium durch eine Beschwerde der (nichtsahnenden) Mutter des Kidnappers über die rüden Umgangsformen ihres Sohnes, der sie anbrülle und vernachlässige, bei den Behörden, die im Rahmen der Amtshandlung zufällig auch Fusako Sano entdeckten ("Die Natascha von Niigata", FAZ, 28.8.2006, S. 7). Das Anbrüllen der Mutter - ein wichtiges Indiz: Frau Charlotte Strack, die mit ihrem Mann und ihren Hunden einen Stock unter der alten Frau Priklopil wohnt, weiß von der Zeit, als deren Sohn Wolfgang noch dort wohnte, zu berichten: "Durch die Decke habe man sie gehört, wie der Mann geschrieen und seine Mutter herumkommandiert hat ..." (Kurier, 26.8.2006, S. 11). Ein weiteres Indiz kommt von einem Bewohner der Landgemeinde Straßhof, Herrn Wilhelm Jaderka: "Der is zum Beispiel nie im Wirtshaus g'wesen" (a.a.O.). Ja, wenn man da eins und eins zusammengezählt (und dann noch gewußt, dass die Endsumme zwei beträgt) hätte! Für manches ist es jetzt zu spät, manches aber kann noch geklärt werden. Straßhofer Nachbarn des "irren Sadisten" (Heute, 28. 8. 2006, S. 10), welche von Neugierde und Voyeurismus "schwer mitgenommen", die Nachricht von der Rettung der Natascha Kampusch bei weitem nicht ausreicht: "Noch schlimmer als das, was sie wissen, ist das, was sie nicht wissen". Denn wo einer sprichwörtlich die Leichen im Keller hatte, muss in tieferen Schichten (im Garten des "Horrorhauses") gegraben werden, um sie auch tatsächlich zu finden: "Ein Anrainer bringt es auch den Punkt: 'In diesem Fall ist schon so viel gegraben worden, jetzt kommt es auf ein paar Quadratmeter auch nicht mehr an." (alle Zitate a.a.O.)

Während Herr Ecker, früher Öffentlichkeitsarbeiter in der Löwelstraße und der Vertrauensanwalt von Natascha Kampusch, einst Rechtsvertreter jener Religionslehrerin, die ihre Tochter jahrelang in einer sargähnlichen Truhe gefangen gehalten hatte, die Interviewanfragen sammelt, machen sich in der Sonntagsausgabe der "Kronen Zeitung" zwei Sorgen um die finanzielle Zukunft des Entführungsopfers. Auf Seite 9 teilt die Zeitung mit, sie habe "für die vielen Leser, die in der Redaktion anriefen und Natascha helfen wollen, (...)" ein Spendenkonto eingerichtet. Auf Seite 10 ein Inserat: "Geld kann das Leid nicht ungeschehen machen! Aber es hilft bei der Bewältigung. Bitte spenden Sie für Natascha Kampusch. Spendenkonto der Volkshilfe (...) Kennwort: Natascha" und noch ein wichtiger Zusatz: "Dieser Aufruf wird von der SPÖ anstelle eines Wahlkampf-Inserates finanziert." (Kronen Zeitung, 27.8.2006). Bitte beachten Sie: We care.

Da wandert ein seltsamer Onkel durch einen Kinderspielplatz und räsoniert: "Jeden Tag erfahren wir aus den Medien von entsetzlichen Missbrauchsfällen gegenüber unseren Kindern. Zehntausend Fälle gibt es in Österreich pro Jahr. 7 von 10 Kinderschändern werden wieder rückfällig.(...) ich fordere harte Strafen für jene, die sich an unseren Kindern vergehen. Sie müssen lebenslang weggesperrt werden und dürfen nicht vorzeitig entlassen werden ..." Des weiteren wird die Einrichtung einer durch alle einsehbaren Datenbank von Sexualstraftätern verlangt und größere Aufmerksamkeit eingefordert. Am Ende ein Busserl vom kleinen Westenthaler für den großen Westenthaler: "Danke Papa!" So endet ein Wahl-Spot des BZÖ, präsentierend dessen Spitzenkandidaten, der gerne Innenminister der künftigen Regierung werden möchte. Man könnte einwenden, dass der Täter in (mindestens) 7 von 10 Missbrauchsfällen aus dem familiären Umkreis stammt, dass die Nachbarn in 7 von 10 Fällen wegschauen, weil das "Familienssache" sei, doch derlei Einsichten, wie auch jene, dass sich Sexualstraftäter kaum vom erhöhten Strafmaß abschrecken lassen, sind dem Listenführer einer "Familienpartei" nicht zumutbar. Schon gar diese: "'Mehr als zehn Jahre kann kein Mensch büßen', erklärte der Leiter der Hamburger Strafanstalt, Dr. Hans-Dietrich Stark, vor dem Bundesverfassungsgericht, und er beschrieb die von ihm über Jahre beobachteten Entwicklungen des Verfalls." (Jutta Ahlemann; Lebenslänglich oder Der Tod auf Raten; S. 234; Fischer-Taschenbuch).

Allerorten Kinderfreunde: Freilich ist es nur das eine, spezielle Kinderschicksal, das interessiert. Vom Kinder-Verhungern im Sekundentakt und wie die Kinderarbeit die Preise stabil und die Profite wunschgemäß erhält, will keine/r etwas hören. Dass Kinder täglich verkauft, missbraucht, aus (vorgeschützten) Gründen der Religon, Tradition oder schlicht aus Sadismus ermordet werden, hat keinen Schlagzeilenwert ...
"Where's the beef?" fragt da der Medienprofi. Ein Schicksal aus Fleisch und Blut muss es sein, so eines wie "Natascha". Schon durch die Reduzierung auf den Vornamen beginnt die mediale Geiselhaft. "Natascha" wird analysiert, Erinnerungen der Eltern und NachbarInnen an das Kind, Beobachtungen einer Polizistin und anderer neuer "Vertrauter" aus dem Verhörumfeld, betreffend die junge Frau, selbstgebastelte Lebensgeschichten der Wiederaufgefundenen seitens aller "Interessierten" und das, was man von "Natascha" gehört haben will, wohl vielfach gefiltert und "bearbeitet" ist Gegenstand der Berichterstattung. 28 Seiten widmet "News" (35/31.8.06) der "Akte Natascha". Für den einzig autorisierten Text den "offenen Brief" der Natascha Kampusch scheint jedoch nicht genug Platz zu sein, dieser wird nur auszugsweise zitiert. So fehlt bezeichnenderweise der Satz: "Botschaft an die Medien: Das Einzige, wovon die Presse mich verschonen soll, sind die ewigen Verleumdungen meiner selbst, die Fehlinterpretationen, die Besserwisserei und der mangelnde Respekt mir gegenüber" ...

Und wenn er aber kommt: Im weißen Lieferwagen war der Schwarze Mann, vom Davonlaufen konnte keine Rede sein. War es so? Wenn ja, was ist die Moral der Geschichte, die Lehre, die zu ziehen wir uns verpflichtet fühlen? Dass die Nachbarn etwas hätten bemerken können, wenn sie gewollt hätten? Kommunikationslosigkeit, Kälte? Geschenkt. Wie sollte denn das "genauere Hinsehen", eine vielfach verlangte und stets akklamierte Forderung in diesem Zusammenhang, aussehen? Behördlich genehmigte Lauschangriffe auf alle Einzelgänger, die (aus gutem Grund) die Anfragen der neugiergen NachbarInnen abwehren?

Der "Privatterrorist" Wolfgang P. liebte die lückenlose Überwachung, kein Raum ohne beobachtende Kamera. Er habe, so suggerierte er seinem Opfer, auch alles vermint. Nur der Glaube an die Omnipräsenz des Schwarzen Mannes, der Autorität hindert Natascha Kampusch an einer früheren Flucht. Die Unauffälligkeit und Angepasstheit des Wolfgang P. ermöglichte es diesem, in einer Gesellschaft, die Unauffälligkeit und Angepasstheit als Planziel des Individuums preist, wie der Fisch im Wasser zu leben.

Im übrigen gilt der Schlußsatz aus Fritz Langs "M - Eine Stadt sucht einen Mörder": "Man muss halt besser uffpassen uff de Kleenen!" ...