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(Der rote Großvater denkt nach) Nachbetrachtungen zur Nationalratswahl 2008

Mit ohnmächtiger Wut … …möchte ich mich bei all jenen bedanken, die auf der Suche nach kleinen Übeln aller Art das größte heraufbeschworen haben: eine singende, tanzende Rechte im Discofieber. Was geht im Denken eines österreichischen Menschen vor, der in den Tag hinaus schreitet, um ein kleines Übel zu suchen? Schlimmer: nicht ein kleines Übel wird gesucht, nein: ein kleineres, noch kleineres, winziges, pipikleinesÜbelchen. Und siehe da, man wird fündig: Rettö, LIF, Fritz, Die Linken, die KPÖ… oder ganz radikal, ganz intellektuell: der Schmollwinkel!

07.10.2008

Kann es sein, dass der kleine Übelsucher und die kleine Übelsucherin in Wahrheit mit vorgetäuschter Eleganz aus der Verantwortung hinaustanzen wollten, die eine repräsentative Demokratie ihren Bürgern nun einmal zutraut. Wer diesen Wahlkampf auch nur mit einem halb geöffnetem Auge beobachtet hat, muss doch nach ein paarWochen begriffen haben, dass all diese Kleinparteien –mit Ausnahme der KPÖ- aus einem spontanen Reflex heraus entstanden sind, der nicht in der Lage dazu war sie mit respektablen Stimmanteilen zu versehen. All diese Stimmen wanderten flugs in den Abgrund der Ohnmacht. Auch wenn es weh tut, ich sage es trotzdem: Jede Stimme für eine dieser Kleinparteien, war in Wahrheit ein Votum für die politische Rechte! Jedes trotzige „ich bin so sauer auf die Demokratie“, ich wähle gar nicht, war auch nichts anderes als eine indirekte Wahl von H.C. Strache.
Die SPÖ hat das Intelligenteste getan, was sie seit Jahren getan hat: die ÖVP ins Boxhorn gejagt. Willi Molterer in eine Falle gelockt, in die er auch brav gestiegen ist. Der Tag, an dem er lautstark sein es reicht verkündet hat, war schön. Was habe ich gelacht! Das war einfach gut!
So und nicht anders ist der Brief zu verstehen, den Faymann und Gusenbauer in der Kronenzeitung veröffentlicht haben. All das Gejohle und Geraunze, das ganze Gejammer all diese Appelle an den guten politischen Geschmack…es war nervtötend! Einer von den Medien gejagten und gehetzten Gesellschaft vorzuwerfen,dass sie von eben diesen Medien gehetzt und gejagt wird, ist lächerlich. Die SPÖ hat den Spieß umgedreht, anstatt sich von der Kronenzeitung jagen zu lassen, hat sie sie als Medium benutzt. Der Gejagte wurde zum Jäger. Das war schlau und ich weiß nicht, was daran „übel“ sein soll.
Endlich sind die Studiengebühren abgeschafft. Was ist daran „übel“?
Meinen Ärger möchte ich auch an die Grünen übermitteln, die ihre gemurmelten Selbstgespräche zu einer öffentlichen Frage gemacht haben.
Wann, wenn nicht jetzt?
Wann, wenn nicht jetzt …. was?
Keine Ahnung, weiß ich nicht. Wenn weiterhin mit sozialpolitischen Programmen gegeizt wird: wahrscheinlich nie. Wenn am Anfang einer globalen Rezession, in die wir in Bälde schlittern werden, plötzlich Tierschützer zu Heroen herausgeputzt werden: wahrscheinlich nie. Den Tierschutz predigt auch Fiona Swarovsky, dazu brauch ich die Grünen nicht.
Wenn man die Sozialpolitik den Rechten überlässt, dann wird sie auch von den Rechten gemacht werden. So einfach ist das.
Der Ausstieg aus Öl und Gas? Wie soll ein einzelner Bürger aus Öl und Gas aussteigen? Was mach ich in einer Gemeindebauwohnung mit einer Pelletsheizung?Über solche Fragen will ich in einem Wahlkampf dieser Art gar nicht erstnachdenken! Jeder vernunftbegabte Mensch wird flugs zum Ausstieg aus Öl und Gas ja sagen, aber wann ist so ein Ausstieg tatsächlich denkbar?
Die Linken wiederum wollten in diesem Wahlkampf tatsächlich über den Rand des Kapitalismus hinausschauen. Aha. Hört, hört. Signale. Signale. Wie das möglich seinsoll, wenn sie schon Probleme damit haben über den Tellerrand Österreichs hinaus – und in die europäische Union hineinzuschauen, sei mir einmal erklärt. Der Kapitalismus hat keinen Rand. Nicht mehr. Auch Ausblicke in ferne kapitalismusfreie Galaxien sind nur mit Teleskopen möglich, die im Kapitalismus konstruiert worden sind.
Bevor Willi Molterer seinen Startschuss für diese Wahl gegeben hat, habe ich wehmütig ein paar alte Bücher aus den siebziger Jahren durchgeblättert in memoriam 1968.
Herbert Marcuse: Versuch über die Befreiung.
Die Studentenbewegung als Avantgarde. Der Intellektuelle als Avantgarde.
Die Avantgarde ist in Österreich – aber natürlich nicht nur hier – im Zuge dieser Wahl so gründlich gescheitert, dass es schmerzt. Die einen suchen nach dem kleinsten einsamen Übel, andere führen öffentlich Selbstgespräche oder pflegen den Zynismus des gekränkten Moralisten.
Das Schweigen der Künstler und Intellektuellen in diesem Wahlkampf - nicht alle haben geschwiegen – war auffällig. Plötzlich blicken alle völlig erstarrt auf die Kronenzeitung und begreifen nicht, was eigentlich geschieht: es war der einziggangbare Weg, um die taktiererischen Dauerblockaden der ÖVP zu sprengen.Außerdem hatte die FPÖ plötzlich eines ihrer Hauptargumente an die SPÖ verloren. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Manche nennen es Populismus. Ich nenne es: Taktik.
Würde einem dieser Künstler eine Doppelseite in der Sonntagsbeilage eben jener Zeitung gewidmet werden, was würde geschehen? Würde er sich flugs von sich selbst distanzieren? Würde er einen Leserbrief schreiben wie folgt: wenn ich einmal in dieser Zeitung angekommen bin, dann kann etwas mit mir nicht stimmen. Hiermit distanziere ich mich augenblicklich von mir selbst! Ich bin in Wirklichkeit der im Profil.
Was die Kunst schon die längste Zeit tut, nämlich die Medien für den Verkauf ihrer Produkte zu nutzen ist plötzlich abartig, weil eine politische Partei es getan hat? Scheinheiligkeit, ich hör dich trapsen!
Hiermit bedanke ich mich für die Zugewinne der Rechten auch ganz besonders bei Andre Heller. Vielleicht steht uns ja die Gründung noch einer Partei ins Haus: diebeleidigen inneren Kinder Österreichs, kurz BIKÖ. Und ich gebe hiermit jetzt schonzu Protokoll: diese Partei werde ich auch nicht wählen. Ätsch!
Im Zuge meiner 68er Nostalgie ist mir noch ein anderes Buch in die Hände gefallen: Christopher Lasch: Das Zeitalter des Narzissmus. Darin mit Bleistift angekritzelt voneinem noch sehr jungen Helmuth Salzer: „Die narzisstischen Überlebensstrategien geben sich als Emanzipation von den repressiven Lebensbedingungen der Vergangenheit aus und verhelfen so einer »Kulturrevolution« zur Entstehung, die die schlimmsten Eigenschaften eben der zerfallenden Kultur reproduziert, die sie zu kritisieren vorgibt." Ein alter David Bowie Song fällt mir ein – das Motto geklaut von Andy Warhol: we can be heroes, just for one day. Helden für einen Tag. Selbstdarstellungen ohne Ende. Jeder sein eigener Che.
Die Linke kann in Österreich mittlerweile auf eine lange, ermüdende und enervierende Tradition der Zersplitterung zurückblicken. Ein Innehalten wäre angebracht. Analyse statt Larmoyanz! Diskussion statt Schmollwinkel!
In diesem Sinne bedanke mich bei allen Genossen und Genossinnen dieser Plattform, dass sie so intelligent waren NICHT zu dieser Wahl anzutreten und keine Empfehlung für eine Kleinpartei abzugeben.
Ich habe SPÖ gewählt, zum ersten Mal seit dreißig Jahren.
Ob, ich es wieder tun werde, weiß ich nicht.
Aber immerhin hat Werner Faymann einen –wenn auch kleinen - Schritt nach links gewagt, in einem Europa, in dem sich die meisten Sozialdemokratien nach rechts bewegen und noch immer nicht begriffen haben, dass der Neoliberalismus nichts anderes ist als eine Religion des Kapitals, die sich im derzeitigen Börsenkrach gerade selbst as absurdum führt. Wenn schon das Kapital nach Verstaatlichung schreit, wer träumt da eigentlich noch einen neoliberalen Traum? Willi Molterer? In Sierning? Irgendwie tut er mir leid.


Helmuth Salzer