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Man kommt anders raus, als man reingegangen ist

Kurt Hofmann

Interview mit Viennale-Direktor Hans Hurch zur Viennale 2011

20.10.2011

Ab 20. Oktober 2011 ist es wieder soweit: Auch im Jahr vor der Jubiläumssaison (2012 wird das Festival stolz seine 50. Ausgabe feiern!) bietet die Viennale den Vielen, welche die Siebte Kunst lieben, reichlich Gelegenheit zu Wiederbegegnungen und Entdeckungen. Neues von den "üblichen Verdächtigen" wie Cronenberg, Aki Kaurismäki, Lars von Trier, Nanni Moretti… wird von zahlreichen Erstlingsfilmen, einer den ästhetischen Gegenentwürfen der widerborstigen Art gewidmeten Reihe wie "Propositions" oder der heurigen Retro, die das vielschichtige Werk der belgischen Filmemacherin Chantal Ackerman präsentiert, kontrastiert.

Mit Liebe zum Detail werden im Programm Spuren gelegt, Parallelen sichtbar gemacht: Wer Cronenbergs Psychoanalyse-Drama "A Dangerous Method" zu den Fixpunkten seiner/ihrer, Viennale Besuche zählt, sollte sich auch den 1959 entstandenen Jean Renoir-Film „Le Testament Du Docteur Cordelier", eine Jekyll/Hyde-Variante rund um den berühmten Psychiater Dr. Cordelier, nicht entgehen lassen. Wem Aki Kaurismäkis "Le Havre", in dem der Schuhputzer Marcel Marx einen Jungen aus Gabun versteckt, um ihn vor den  Nachstellungen der Fremdenpolizei zu beschützen, zu Herzen geht, der sollte auch die Begegnung mit den dem heurigen Viennale-Gast Harry Belafonte, Sänger und Schauspieler,  doch als "Öffentliche Person" seit jeher für Zivilcourage und die Verteidigung der Menschenrechte stehend, nicht versäumen. Zu den Besonderheiten dieser Viennale zählt nicht zuletzt, dass der Viennale-Trailer 2011 von keinem Geringeren als David Lynch stammt. Go for it!

Mit Viennale-Direktor Hans Hurch sprach für Die Linke Kurt Hofmann.

Die Linke: Die heurige Viennale-Retrospektive ist Chantal Ackerman gewidmet, einer, die unbeirrt von aktuellen Aufgeregtheiten und Moden ihren Weg geht …

Hans Hurch: … und eine ganz besondere Filmemacherin ist, weil sie, über die Jahre hinweg, eine eigenständige Form entwickelt hat, sodass man sie mit niemand Anderen im Weltkino vergleichen kann. Wie sie zwischen dem Spielfilm und dem Dokumentarischen ihr Kino  ansiedelt, wie sie Öffentliches und Privates, Biographie und politische Entwicklung, zusammenbringt, das ist unverwechselbar.

Die Linke: Dem unabhängigen Produzenten Jeremy Thomas, einem "Ermöglicher" und Freund der AutorenfilmerInnen, ist heuer ein tribute gewidmet. Was zeichnet seine Arbeit aus, wie unterscheide er sich vom Typus des herkömmlichen Produzenten?

Hans Hurch: Es gibt heute zwei unabhängige Produzenten in Europa: das ist einerseits Paolo Branco (dem die Viennale vor einigen Jahren ein tribute widmete) und zum anderen Jeremy Thomas. Paolo Branco ist zweifellos der radikalere der Beiden, musste aber auch schon einmal in Konkurs gehen und des öfteren Filme abgeben. Jeremy Thomas ist - und das sagen übereinstimmend alle RegisseurInnen, die schon mit ihm gearbeitet haben - einer, der sich bedingungslos in den Dienst der FilmemacherInnen stellt. Er sieht seine Aufgabe primär nicht darin, maximalen Profit aus einem Film herauszuschlagen, sondern vielmehr die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die FilmemacherInnen ihre Vorstellungen idealtypisch können. David Cronenberg etwa hat betont, dass er für sein Freud-Projekt "A dangerous method" im Rahmen herkömmlicher Produktionsbedingungen niemals die Zeit  seine penible Recherche der historischen Hintergründe erhalten hätte. Nicht vergessen sollte man auch, dass Jeremy Thomas auch wesentlichen Regisseuren des unabhängigen britischen Kinos der 60er- und 70er-Jahre wie Nicolas Roeg, Stephen Frears und Julian Temple als Produzent und Förderer zu einem Zeitpunkt zur Seite stand, als diese noch Kino-Größen waren und diese Epoche somit auch mitgeprägt hat. Jeremy Thomas ist für weite Teile des Kinopublikums bis heute ein Unbekannter, was wiederum für Jeremy Thomas spricht, der  sich nicht in den Vordergrund schiebt, obwohl vieles ohne ihn nicht möglich gewesen wäre.

Die Linke: Der Sänger und Schauspieler Harry Belafonte ist der heurige Ehrengast des Festivals. Ihm widmet die Viennale ein tribute, mehr noch als dem actor wohl der "Öffentlichen Person", welche sich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen hat …

 Hans Hurch: Ich habe im Vorfeld der Viennale noch nie so viele positive Reaktionen auf eine Einladung erhalten. Harry Belafonte ist sicherlich kein großer Schauspieler, aber es gibt 5-6 hochinteressante Filme von Regisseuren wie Wise oder Altman, in denen er sehr spezifische Rollen spielt. Ein wesentlicher Punkt unserer Überlegung, Harry Belafonte einzuladen, war aber dessen Rolle als "öffentliche Figur". Er hat sich - als Teil Hollywoods - seit jeher öffentlich engagiert, etwa gegen Rassendiskriminierung oder jüngst gegen den Irakkrieg. Als er kürzlich gelesen hat, dass im Irakkrieg bis dato 2800 Menschen umgekommen wären, hat er festgestellt, nun sei die Zahl derer erreicht, die im World Trade Center Opfer des Anschlags wurden … Das hat in den USA zu einem Sturm der Entrüstung geführt und man hat öffentlich nachgefragt, ob Harry Belafonte nun senil sei. Aber Belafonte hat sich nicht einschüchtern lassen, denn er ist einer, der nicht nur den „Glamour“ repräsentiert, sondern etwas darüber Hinausführendes…

Die Linke: Reinhard Kahn und Michael Leiner: Zum einen ist diese hommage eine Weiterführung der Filmhochschul-Präsentationen, zum anderen die Präsentation der Arbeit zweier "68"er, die abseits aller gängigen Wege neue filmische Spuren legten. Wie ist ihre Arbeit rückblickend einzuordnen?

Hans Hurch: Die beiden sind ja über Frankrurt/Main kaum bekannt geworden, deshalb haben sie nie die Würdigung und das Interesse erfahren, das sie eigentlich verdienen. Es handelt sich um zwei originelle und originäre Filmemacher, die sich nicht so einfach zuordnen lassen, auch nicht dem Einfluss ihres Lehrers Alexander Kluge, weil sie dafür viel zu verspielt und weniger argumentativ sind. Über ihre filmische Arbeit hinaus waren sie auch ein integraler Teil der Frankfurter StudentInnenbewegung und haben mit KD Wolff den Stroemfeld/Roter Stern-Verlag mitgegründet. Wir zeigen heuer eine kleine Auswahl ihres filmischen Werks. Eigentlich sind die beiden ja "Französische" Filmemacher, meinen viele, mich erinnern sie bisweilen auch an Karl Valentin… Jedenfalls haben sie nichts mit Wenders, Herzog & Co zu tun. Kahn/Leiner sind witzig, machen Lust auf mehr - jemand hat geschrieben, man komme aus ihren Filmen anders raus, als man reingegengen ist, beglückt nämlich, und das stimmt. Und zwar, weil sie sich an keine vorgegebene rhetorische Form halten. Sie lösen z.B. Spielhandlungen auf und verwandeln sie in scheinbar Dokumentarisches oder auch Abstraktes, jedenfalls Verspieltes. Sie überraschen sich selbst und das Publikum immer wieder und ihre Filme wirken dabei wie von einem anderen Stern…

Die Linke: Eine außergewöhnliche Möglichkeit erhält das Viennale Publikum heuer durch die Präsentation eines dreiteiligen Ulrich Seidl-Projekts, das im Entstehen begriffen ist. Ist daran  gedacht, derartige "work in progress“-Projekte künftig fix bei der Viennale zu zeigen? - das wäre ja eine spannende Idee…

Hans Hurch: Nein, das ist vermutlich ein Ausnahmefall, da sich ja nur die wenigsten Regisseure bei der Arbeit zusehen lassen, umso dankbarer sind wir Ulrich Seidl für diese einmalige Gelegenheit. Das Ganze nennt sich "Paradies" und wird eine Trilogie über Frauen, die nach Liebe suchen. Die Viennale-BesucherInnen können dieses Triptychon in Ausschnitten kennenlernen und von Ulrich Seidl, der im Anschluss an die Vorstellung (26.10., 20.30, Stadtkino) mit Stefan Grissemann und Claus Philipp diskutiert, mehr über seine Vorstellungen, dieses Projekt betreffend, erfahren. Spannend wird das auf alle Fälle…

Die Linke: Wenn man den diesjährigen Katalog durchblättert, dann fällt auf, dass auch die Viennale immer mehr digitale Formate und immer weniger analoge Formate zeigt. Werden nun bald auch auf Festivals nur noch Formate wie DCVP, HD, etc. zu sehen sein oder wäre es nicht auch eine Frage der Kinokultur, hier entgegenzusteuern?

Hans Hurch: Zum einen ist es die Frage, welches Format bei einem ausgewählten Film überhaupt angeboten wird. Gibt es die Auswahl zwischen einer digitalen und einer 35 mm-Kopie, so haben wir uns im Zweifelsfall fast immer für die 35 mm-Kopie entschieden. Tatsache ist aber, dass nicht nur die großen Produktionen der Major-Studios, sondern auch viele kleine, unabhängige Produktionen digital gedreht werden, weil es so billiger kommt. Beim Festival in Venedig werden z.B. nur mehr digital gedrehte Produktionen gezeigt, wegen des einfacheren handlings. Allerdings zeigen wir heuer nicht nur viele 35 mm-Produktionen, sondern auch einige 16 mm Arbeiten, und sogar, im Rahmen von "Leuchtende Filmkader", einer Präsentation ausgewählter Arbeiten der Schule für Unabhängigen Film und Filmkoop Wien, einige Super-8-Arbeiten… Wenn es finanziell möglich ist, werde ich im Jubiläumsjahr die Reinstallierung des im Gartenbau-Kino vorhandenen 70 mm-Projektors betreiben. Die Viennale ist jedenfalls abseits der gängigen Trends immer noch und weiterhin ein Ort, in dem der analoge Film seinen Platz hat.

Die Linke: Apropos Digitalisierung: Wie ist denn die jüngste Förderentscheidung des Kulturministeriums zu bewerten? Wieder nur ein Tropfen auf den heißen Stein bei der so notwendigen Unterstützung der Formatumstellung in den kleinen Kinos?

Hans Hurch: Nein, diesmal haben sich Bund wie (zuvor) Stadt Wien korrekt an die Absprache gehalten. Geplant war: 1/4 Kostenanteil Bund, 1/4 Kommunen, 1/4 Eigenanteil der Kinos und 1/4 Wirtschaftsbeitrag. Wer sich nicht an die Absprache gehalten hat, ist die Wirtschaft, die offenbar meint, die Kinos sollten sich mit Brosamen begnügen - eine Schande.

Die Linke: Die Viennale zeigt heuer mit "Mildred Pierce" eine vielbeachtete TV-Arbeit des Autorenfilmers Todd Haynes, mehrteilig, insgesamt 332 Minuten lang. In Erinnerung ist noch die Verfilmung dieses Romans von James M. Cain von Michael Curtiz aus dem Jahr 1945. Was wird durch diese Fernsehverfilmung gewonnen und weshalb zeigt die Viennale diese HBO-Produktion?

Hans Hurch: Erstaunlich an Todd Haynes Arbeit ist zunächst, dass hier etwas gelungen ist, was bisher kaum vorstellbar war: eine ästhetische Form zu finden, die weder Fernsehen noch Kino ist, sondern von beidem das Beste. Der Aufbau der einzelnen Teile der Serie ist hochintelligent und folgt nicht der üblichen Dramaturgie, die verlangt, dass der jeweilige Teil mit dem Spannungshöhepunkt endet, sondern es ist sehr seriös als Entwicklung konzipiert, die das sich verschiebende Verhältnis von der Mutter zur Tochter im Rahmen der Geschichte berücksichtigt. Todd Haynes erweist sich auch wieder als großer Frauenregisseur: Kate Winslet war noch nie so gut wie in "Mildred Pierce". Und: Wir wollen die Gelegenheit nützen, diesen Film auf der großen Leinwand zu zeigen, wo er zweifellos auch hingehört.

Die Linke: Geheimtipps?

Hans Hurch: Da wäre "Totem", der Erstlingsfilm der deutschen Filmemacherin Jessica Krumbacher, über eine junge Frau, die als Haushaltshilfe und "ordnendes Element" zu einer Familie kommt und sich in einer seltsamen Konstellation wiederfindet - ein sehr genau beobachteter Film. Dann Jörg Burgers großartiger Dokumentarfilm "Way of Passion" über eine Karfreitagsprozession in Trapani, Sizilien, bei der man glaubt, man wäre im tiefsten heidnischen Afrika. Und: "Hashoter", ein israelischer Spielfilm abseits des Palästina-Konflikts, über die latente Gewalt innerhalb der israelischen Gesellschaft, der das Innenleben zweier Gruppen zeigt: das einer Antiterroreinheit und jenes einer Gruppe radikaler Linker, die sich auf die kommende Revolution in Israel vorbereitet … hochinteressant.

Die Linke: Wir danken für das Gespräch.

Die Viennale 2011 findet von 20.10.-2.11.2011 in den Viennale-Kinos: Gartenbau, Stadtkino, Künstlerhaus, Urania sowie dem Österreichischen Filmmuseum (Retro) statt.

Tickets im Internet: http://www.viennale.at

Tickets per Telefon: 0800 664 011