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Entgegen dem Anschein

Kurt Hofmann

Zur Berlinale 2015: Im Verborgenen existierend, die Grenzen überschreitend, sich der eigenen Misere bewusst werdend, Fragen stellend, die viele nicht hören wollen: in ihrer Unterschiedlichkeit hatten die wesentlichen Filme des „Jahrgangs 2015“ in Berlin doch eine Konstante. Dieses Gemeinsame lautete: Nichts ist, wie es scheint.

22.02.2015

So läuft ein Champion: Schwester Monica, die den Windhund im Auftrag des Padres trainiert, lächelt zufrieden. Schon wieder hat dieses Wundertier, das läuft wie der Teufel, obwohl es ja frommen Männern gehört, ein Rennen gewonnen. Noch sind das lokale Ereignisse, bald wird sich schon die ganze Nation für den Sieger auf vier Beinen interessieren. Allerdings, die Padres sind bescheiden, es genügt, wenn sich die Öffentlichkeit auf den Champion konzentriert, schon die Kenntnis, dass dessen Trainerin in weltlicher Kleidung Ordensschwester ist, wäre wohl zuviel des Guten. Still ist die Freude über die Siegesprämien, doch das Geld wird einem edlen Zweck gewidmet, es dient dem Wohlergehen derer, die da abgeschieden in einem Haus an der Küste leben… Was können sich die schon leisten, sie haben schon so viel geleistet, sie haben sich schon so viel geleistet: Wer sind die, welche weitab der Wahrnehmungsgrenze in einer Art seltsamen Orden zusammenleben? Pablo Larrains „El Club“ (The Club; Chile 2015, WB) zeigt erst, wie die Ruhe einer verschworenen Gemeinschaft gestört wird: ein neuer Priester ist dem Haus zugewiesen worden, auf den wartet schon einer vor dem Gebäude, der ihn kennt. Es ist ein heruntergekommener Säufer, auf der Strasse lebend, dessen Anschuldigungen gegen den Priester nicht weniger glaubhaft sind, weil sie detailliert aufzählen, was der alte Mann im geistlichen Dienst ihm als Kind über die Jahre hinweg angetan hat. Auf den Schutz seiner Mitbrüder kann der Neuankömmling nicht zählen. Die reagieren pikiert, signalisieren Distanz, und haben ein Problem, als der Angeschuldigte sich unter der Last der Vorwürfe umbringt. Eintrifft ein kirchlicher Revisor, „ein schöner Mann“, wie einer der Brüder bemerkt. Der untersucht nicht nur die Umstände des Selbstmords, sondern hat über jeden in der Brüderschaft ein Dossier… Offenbar wird: die Kirche hat die Insassen des Hauses entsorgt, jeder von ihnen hat etwas auf dem Kerbholz - Missbrauch, Erpressung, Korruption… die Liste ist lang und manche, die darauf stehen, sind bereits exkommuniziert. Vor dem „Skandal“, dem Suizid, der Staub aufgewirbelt hat, lebten sie in einer geschützten Zone, hatten es sich gemütlich eingerichtet am Ende der Welt, wo sie keiner mehr sucht. Nun, da sie von ihrer Vergangenheit eingeholt werden, sind sie empört über den Eindringling, der Antworten haben will und sogar verlangt, dass sie ihre beste Einnahmequelle, den Windhund, wieder abgeben…

Sowenig sie in Fragen der Ethik als Auskunftspersonen taugen, in Sachen List und Intrige sind sie kaum schlagbar und funktionieren als „Klub“, wie der kirchliche Untersucher bald feststellen muss. Die Situation eskaliert, als klar wird, dass der Tod seines Peinigers den einst missbrauchten Sandler nicht zum Schweigen gebracht hat, da er weiß, wer in dem Haus der Priester wohnt…

Larrains „El Club“, mit dem großen Preis der Jury“ (Silberner Bär) ausgezeichnet, ist eine Studie in Doppelmoral. Solange nichts „passiert“, und die Stille um die Verbannten gestört wird, können diese, unbeschadet der langen Liste ihrer Vergehen, in einer Residenz der Zwielichtigen kirchliche wie private Rituale pflegen und an ihrer eigenen Legende spinnen. Erst, wenn an sie, die man entsorgt hat wie Atommüll, wieder erinnert werden könnte, greift die Amtskirche ein – nicht die Tat, die Peinlichkeit von deren Bekanntmachung ist das wahre Problem… Naturgemäß steht der Windhund für das (lange erfolgreiche) Davonlaufen vor der Vergangenheit, welche nicht nur die „sündig“ Gewordenen zu verantworten hätten…

Ein Abhang: Irgendwo ist eine Explosion zu hören. Eine Sprengung, ein Anschlag? Man weiß es nicht, ebenso wenig, wie die Frage, ob ein verletzter Mann, der plötzlich aus der Deckung eines Felsens auftaucht und sich taumelnd auf ein Auto zubewegt, Opfer oder Täter ist. Jedenfalls ist er verletzt und sagt auf die Fragen zweier Männer, die vor dem Wagen herumlungern, nichts. Auf jene nach seiner Identität äußert er schließlich, er wisse nicht, wer er sei. Ein Fall von Gedächtnisverlust, ein Trick? Wie auch immer, er bricht anschließend zusammen und wird in das Auto geladen. Zwei Frauen, die zuvor mit dem Feldstecher etwas beobachtet haben, stoßen dazu… Man fährt zu einer Farm, der Ort ist das libanesische Bekaa-Tal. Konspirative Gespräche, Ein Labor wird sichtbar. Zur Drogenproduktion, zur Herstellung chemischer Substanzen? Auch das bleibt offen. Einer hat ein Gewehr… Was beabsichtigt diese Gruppe? Was hat sie mit dem aufgefundenen Fremden vor, der gesundgepflegt und zugleich isoliert wird? Wie verläuft die Interaktion innerhalb der Gruppe und welche Bedeutung wohnt ihr inne? Eine Atmosphäre der Bedrohung macht sich breit… „Al-Wadi“ (The Valley; Libanon/F/D/Katar 2014; Regie Ghassan Salhab; Forum) ist ein raffiniertes Spiel der Andeutungen. Alles bleibt in Schwebe, jede Spur verläuft sich oder vielmehr, sie findet sich im Kopf des Betrachters wieder, welcher seine Schlussfolgerungen zieht…

Berlin bei Nacht: Sonne, Boxer, Blink und Fuß durchqueren die Stadt, streifen durch die Lokale, improvisieren, blödeln, machen, wonach ihnen eben der Sinn steht. Irgendwann treffen sie auf Viktoria; eine junge Spanierin, die in Berlin lebt und einen Job als Barkeeperin hat. Die Nacht ist noch jung und Viktoria bald selbstverständlicher Teil eines Quintetts. Ob in verschlossenen Gebäuden auf Dächer geklettert und gefeiert oder einfach mal ein Auto geknackt wird, Viktoria ist dabei, und findet die Berliner Jungs cool. Das beruht aber nun wahrlich auf Gegenseitigkeit. Die Kumpels buhlen um Viktorias Aufmerksamkeit, die Sonne schließlich auch erhält… Frühmorgens ein Anruf: einer der Vier, der eine Zeit im Gefängnis verbracht hat, wird von dem, der ihn im Knast vor Übergriffen anderer Gefangener bewahrt hat, zu einer Gegenleistung aufgefordert. In einer Parkgarage erfahren die Anderen, worum es sich handelt: sie sollen an einem Überfall teilnehmen… Viktoria, mit dabei, springt für einen aus Promillegründen nicht Verwendbaren ein und fährt das Fluchtauto, so, als wäre es eine selbstverständliche Draufgabe im Rahmen der nächtlichen Tour… Dass die Sache nicht so klappt wie geplant, versteht sich, das Chaos führt bei den Amateurgangstern Regie. Am Ende irren Viktoria und Sonne durch die Stadt, flüchtend, doch zugleich ankommend…

Sebastian Schippners „Viktoria“(Deutschland 2015, WB), in einer Einstellung gedreht, mit großteils improvisierten Dialogen, strahlt eine Lebendigkeit aus, die man (nicht nur) im deutschen Film selten findet. Man sieht der Stadt beim Atmen zu, wenn ein Wort wie „pulsierend“ einmal zutreffend wäre, dann hier. Manche Logikfehler fallen da nicht so ins Gewicht, 140 Filmminuten vergehen wie im Fluge. So wie seine Protagonisten im Film hat Schippner etwas versucht, was auch hätte schief gehen können, anders als bei diesen ist sein Plan gelungen.

Das alles hat so harmlos angefangen. Hedi Schneider steckt im Aufzug fest und nützt die Lage zu einem losen Flirt mit dem (nur durch seine Stimme präsenten) Liftwart. Noch ist nichts geschehen, was ihr den Tag verderben sollte. Auch der plötzliche Abgang des aufdringlichen Kollegen vom Schreibtisch nebenan, durch einen Sprung aus dem Fenster, von dem sie nach ihrer Rückkehr ins Büro erfährt, irritiert sie nicht nachhaltig. Aber dann ist es irgendwann da, dieses plötzliche Unwohlsein, das sie nicht näher erklären kann. Der Chef verordnet ihr eine kurze Auszeit und sieht sie für die nächsten Wochen nicht wieder… Das Haus kann sie nicht verlassen, das Bett will sie nicht verlassen. Nur für den Notfall soll sie die verschriebenen Tabletten nehmen, sagt die Psychiaterin zu ihr, doch schon hat sich Hedi die Schachtel gekrallt und schluckt fleißig, dies sei ein Notfall, meint sie… Ihr Mann muss unterdessen den quengelnden Sohn bei Laune halten und kann seinen Wunsch-Job in Afrika in den Wind schreiben. Denn Hedi Schneider steckt nun auf fatale Weise fest, in ihren Depressionen, in ihrem planlosen Nichtwissen, wie weiter. Partner und Kind warten, jenen Insulanern gleich, die sich auf einen drohenden Vulkanausbruch vorbereiten, auf Hedis nächste Stimmungsschwankung… Ist derlei tragische Konstellation komödientauglich? Allerdings, denn Hedi Schneider, so wie sie die hinreißende Laura Tonke in „Hedi Schneider steckt fest“ (Deutschland/Norwegen 2015; Regie: Sonja Heiss; Forum) spielt, ist eine Nervensäge, die im Schutz ihrer Krankheit ihre Umwelt erst recht malträtiert und eine Chaotin, welche die geordnete Welt, deren alltägliche Routine sie zweifellos krank gemacht hat, anarchisch durcheinanderbringt. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst,,,

Olga ist magersüchtig und uneins mit der Welt. Ihr alleinerziehender Vater ist der Heranwachsenden da keine Hilfe, im Gegenteil, er ist (ein wesentlicher… ) Teil des Problems. Janusz kompensiert den frühen Tod seiner Frau durch Arbeit. Er ist Staatsanwalt und für Indizien und Fakten zuständig, mit Olga, dem aufmüpfigen Teenager, ist er überfordert. Indizien führen ihn auch zu der Meinung, Olga sei selbstmordgefährdet. Er läßt sie in eine Klinik einweisen. Faktum ist, dass Olga ihrem Vater nun erst recht entfremdet ist… In der Klinik trifft Olga auf Anna. Sie will Olga lehren, ihren Körper nicht zu hassen und ihre Ängste, insbesondere jene vor dem Misslingen und Nicht-beachtet-zu-werden, zu überwinden. Anna ist gut in Teamarbeit und findet auch rasch einen Draht zu Olga. Nur daheim ist ihr nicht wohl. Ein riesiger Hund ist ihr dort Kind, Mann und Beschützer vor einer unberechenbaren Außenwelt. Anna ist Nebenberufs - Esoterikerin und spricht gegen Bezahlung mit Geistern. Diese sind immerhin körperlich nicht vorhanden und deshalb auch keine Bedrohung für Anna… Olga, Janusz und Anna: Drei seelische Krüppel mit Angst vor Nähe treffen in „Body“ (Polen 2015; Regie: Malgorzata Szumowska; WB) aufeinander und stellen irgendwann fest, dass sie einander brauchen. Janusz beginnt sich für die ihm wesensfremde Anna zu interessieren, die auch einen seltsamen Spuk in seinem Haus aufklären soll… In „Body“ geht es um aufgefundene Körper, zu Tode gebrachte, deren Schicksal Janusz, der Staatsanwalt, aufklären soll, ebenso wie um lebende Leichname mit Angst vor Körperlichkeit. Dass es hilft, die eigenen feierlichen Rituale nicht so ernst zu nehmen, und es nicht schadet, gelegentlich auch von den Phobien der Anderen zu hören, darüber erzählt das ironische Kammerspiel „Body“, die Kunst der Zwischentöne beherrschend.

Die „Wassernomaden“ sind die Urbevölkerung Chiles. Nur wenige von ihnen sind in unseren Tagen noch anzutreffen, zu gründlich war der Genozid durch die „Eroberer“ des Landes. Patricio Guzmán spürt ihnen in seinem neuen Film „El Botón de Nácar“ (Der Perlmuttknopf; Frankreich/Chile/Spanien 2015; WB) nach und entdeckt in den Gesprächen mit den „Wassernomaden“ Erstaunliches: in deren Sprache gibt es weder einen Ausdruck für Gott noch für Polizei! Ein Lacher im Publikum, aber auch zugleich Beweis für ein freies, durch keine äußeren Schranken gehemmtes Leben. Ein Volk, das Gott nicht braucht und dem Ordnungsdenken fremd ist: wie wunderbar, und zugleich, wie bedrohlich muss das für die „Zivilisatoren“ gewesen sein! Die Bodenschätze hat man den „Wilden“ mit Perlmuttknöpfen abgekauft, Gott und die Ordnungsmächte haben sich auch bald dazugesellt… Guzmáns „El Botón De Nácar“ ist aber ebenso eine poetische Reflektion über das Wasser, die See, die alle Stimmen der Erde aufliest… Übers Wasser findet Guzmán, der eben nicht der politischen Amnesie anheim gefallen ist, auch zum immer wieder Anzusprechenden. Wie jene Barbaren, die Menschen aus Flugzeugen lebend ins Meer geschmissen haben, und nichts, was an Greueltaten gegen Andersdenkende vorstellbar ist, „ausgelassen“ haben, im heutigen Chile vielfach in den Geschichtsbüchern als „Modernisierer“ davonkommen. Schon allein der Nachgeborenen wegen befragt Guzmán auch in „El Botón De Nácar“ die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer über ihre Erinnerungen an den Terror des Pinochet-Regimes. Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen. Guzmáns „El Botón De Nácar“ erzählt vom Wasser und vom Gedächtnis: beides ist notwendig, um zu überleben.

Ein Taxifahrer in Teheran: Da diskutieren zwei Fahrgäste, die in derselben Richtung unterwegs sind und sich das Taxi teilen, über die Notwendigkeit der Todesstrafe im Iran. Eine, die darauf besteht, ihren blutüberströmten Gatten statt mit der Rettung mit dem Taxi ins Spital zu chauffieren, nötigt den Lenker, die vermutlich „letzten Worte" ihres Mannes, welche sie als Erbin einsetzen, mit seinem Handy aufzunehmen. Ein Dritter identifiziert den Fahrer: Es ist Jafar Panahi, der mit „Taxi“ (Iran 2015; WB) das staatliche Verbot, weiter als Regisseur tätig zu sein, bereits zum dritten Mal listig unterläuft. Jener Dritte, ein Händler illegaler Raubkopien, möchte ihn als Helfer bei seinem „kulturpolitischen Anliegen“, US-Filme im Iran zu verbreiten, gewinnen... Aufschlussreich, was Panahis Nichte – auch sie läßt von dem ihr verwandten „Taxifahrer“ durch die Stadt kutschieren, über die – recht simplen - Vorstellungen ihrer Lehrerin betreffend „politisch korrekte“ Filmemacherei erzählt, wie die Guten (im Regimesinne) von denn Bösen unterschieden werden könnten… Panahis pseudo-dokumentarischer Film „Taxi“ ist ein Panorama Teherans und zugleich der Widersprüche des Iran, ohne Pathos, alles andere als larmoyant, vielmehr witzig und souverän erzählt. Wenn Panahi sein „Taxi“ schließlich parkt, wird es, kaum ist er außer Sichtweite, bereits „untersucht“: Big Brother is watching you…

Dass „Taxi“ mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet wurde, hat nichts mit Panahis Situation zu tun, sondern ist vielmehr die Entscheidung für den stärksten Film im heurigen Wettbewerb.

Abseits eines – hier völlig verfehlten – „Originalitäts-Denkens“, schließlich sei dieser Film auch schon beim Festival in Venedig gezeigt worden, war „The Look of Silence“ (Dänemark/Indonesien/Norwegen/Finnland/Großbritannien 2014; Regie: Joshua Oppenheimer; Berlinale Special) auch in Berlin einer der herausragenden Filme.

Nach „The Act of Killing“, in dem reuelose Mörder ihre Taten, begangen in Indonesien der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, vor der Kamera willig nachspielten, so, als seien sie die Stars einer Soap-Opera, besucht nun der Sohn eines einstigen Opfers der Militärdiktatur die Täter, darunter auch jene, die seinen Vater umgebracht hatten, und gibt sich erst im Laufe eines längeren Gespräches zu erkennen… Bekenntnisse oder gar Entschuldigungen kann jener naturgemäß nicht erwarten, aber allein, in dem er die Verstockten mit ihren Verbrechen konfrontiert, durchbricht er die staatlich verordnete Stille.

Nun wird der Film in großen Städten Indonesiens, begleitet durch den Protagonisten, gezeigt, und die Nachgeborenen erfahren erstmals von den Massakern an den "Kommunisten", die einst für die Demokratie in Indonesien kämpften. Oppenheimers Film erteilt den zum Schweigen Gebrachten das Wort - ein humanistischer Gegenentwurf zur Propaganda der menschenverachtenden Ignoranz.

Und schließlich: “The Memory of Justice“ (Deutschland/USA 1975; Regie: Marcel Ophüls; Berlinale Special), hier in einer digital restaurierten Fassung präsentiert. Mag der Anlaß der Wiederaufführung von „The Memory of Justice“ auch die Verleihung eines Ehrenpreises an Marcel Ophüls gewesen sein, es hätte dieses Vorwands nicht bedurft, um Ophüls 278minütigen Filmessay von zentraler Bedeutung erneut zu programmieren.

Die Nürnburger Prozesse: Schuld und Verantwortung.

Interviews mit Prozessbeteiligten, Anklägern und Angeklagten. Aber, vor allem, der inhaltliche „Nachspann“: eine Recherche nach jenen, die schuldig geworden sind und Unterschlupf in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft gefunden haben. (es dort auch, was Ophüls in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, zu Staatssekretären und Ministern gebracht haben…) „Folgen, denn es braucht der Staat sie, alle die entnazten Nazi…“ heißt es bei Brecht. Die meisten der Befragten, die es sich wieder heimelig gemacht haben, ohne für ihre Taten einzustehen, weigern sich, mit Ophüls zu sprechen. Doch er bleibt hartnäckig, befragt auch das Umfeld, die „verständnisvollen NachbarInnen“, fühlt ihnen auf den (braun verfaulten…) Zahn… Kontinuität sei vonnöten, bloß nicht immer in den „alten Wunden“ rühren, heißt es: Doch diesen Schablonen, ergänzt durch das sattsam bekannte „Endlich einmal Schluß mit… „ begegnet Ophüls mit Genauigkeit und Sarkasmus. Da ist es fast wohltuend, wenn ein Unverbesserlicher (aus dem „Volke“) zu Ophüls sagt: “Ich war ein Nazi und ich bleibe ein Nazi!“ Das ist immerhin – in all seiner Ungeheuerlichkeit – ehrlich…

Im zweiten Teil des Films ein gewagter (wie auch notwendiger) Versuch: um die Unvergleichbarkeit der hitlerfaschistischen Verbrechen wissend, stellt Ophüls den „moralisch Integren“ angesichts von Vietnam und Algerien dennoch die Fragen nach Verantwortung und Schuld, dies ist eine - im Wandel der Zeiten -bis heute zu beantwortende "Zumutung".