die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel Kultur & Film Berlinale 2009 (Teil 2 - Der Wettbewerb): Schritte ins Ungewisse
Adresse: https://dielinke.at/artikel/kultur-film/berlinale-2009-2-teil-der-wettbewerb-schritte-ins-ungewisse/

Berlinale 2009 (Teil 2 - Der Wettbewerb): Schritte ins Ungewisse

Kurt Hofmann

Höhepunkte, Goldene Bären und traurige Alterswerke auf der 59. Berlinale - gesehen von Kurt Hofmann.

07.03.2009

Alles schläft, einsam wacht: Von seinem Hochstand aus beobachtet Jara nächtens bis in den frühen Morgen alles, was dazu angetan wäre, die Sicherheit des Supermarktes, für den er arbeitet, zu gefährden. Freilich, es schleicht sich kein Dieb an, um den Warenbestand zu reduzieren, allenfalls versuchen sich Angestellte in kleinen Klauaktionen. Jara, dazu ausersehen, die im gesamten Gebäude verteilten Überwachungskameras zu koordinieren, bekommt dabei keinen Krimi zu  sehen, in dem er als etwas beleibter Held seine Position in der obersten Etage verlassen und dreiste Räuber überwältigen könnte. Eigentlich ein langweiliger Job, wäre da nicht Julia, die hübsche und gut zehn Jahre jüngere Putzfrau, in die sich der Mittdreißiger Jara verliebt hat. Je aussichtsloser es ihm scheint, sie eines Tages anzusprechen, desto obsessiver beobachtet er sie in- und außerhalb des Supermarktes. Erst zoomt er sich das Objekt seiner Begierde nur heran oder drückt auf rewind, um Bewegungen und Gesten Julias noch einmal zu sehen. Dann schaltet er sich unter einem Vorwand ein, als er sieht, wie die schon einmal vom Filialleiter wegen eines Missgeschickes verwarnte durch ihre Tollpatschigkeit drauf und dran ist, erneut angezählt zu werden, und unternimmt ein erfolgreiches Ablenkmanöver. Schließlich beginnt er, sie nach der Arbeit auf Schritt und Tritt zu verfolgen, um sie zu "studieren", Vorlieben, Hobbys, bevorzugte Orte zu entdecken. Nach einem missglückten Date Julias befragt er sogar den von dieser im Lokal Zurückgelassenen, hoffend, von jenem Neues über seine Angebetete zu erfahren. Als sowohl Julia als auch er entlassen werden, wagt sich Jara endlich aus der Deckung...

"Cigante", das Spielfilmdebut des in Uruguay lebenden argentinischen Regisseurs Adrian Biniez, ist die Geschichte einer Amour Fou. Wie einem ungelenken Koloss durch die Liebe Flügel wachsen und der, zunächst stets den "Sicherheitsabstand" wahrend, unbeirrbar versucht, seiner Julia step by step näher zu kommen, um zu ihrem Romeo zu werden, diese verzweifelten, oft auch verzweifelt-komischen Bemühungen Jaras entwickeln einen Charme, dem man sich kaum entziehen kann. Unwiderstehlich, wenn jener in einem Gang des Supermarktes einen Kaktus nebst anonymen Gruß drapiert, wissend, durch diese enge Gasse muss sie kommen, und, rasch in seine Kemenate zurückgeeilt, bangend auf Julias Reaktion wartet...

Beobachten und Taxieren: Das hat der Security--Man in Ausübung seines Jobs gelernt, der Konzern, welcher ihn angestellt hat, benutzt diese Methode im Rahmen der Marktforschung, um potentieller Konsumopfer habhaft zu werden. Jara, der Lernfähige, hofft, dass ihn das Beobachten und Taxieren lehrt, sich so zu verwandeln, so zu werden, wie er vermeint, dass Julia ihn will, wenn sie ihn denn wollte...

Inmitten der kalten Warenwelt ist ein Kaktus das passende Symbol, doch auch diese Blume kann erblühen...

Ein wesentliches zeitgenössisches Thema, in Szene gesetzt von einem hoch geschätzten Regisseur: Da könnte, da dürfte eigentlich nichts schief gehen. Doch die Frage der späten Gerechtigkeit für die Opfer ethnischer Säuberungen im Krieg der exjugoslawischen Staaten vor dem Gerichtshof in Den Haag schreit nicht unbedingt nach einer Umsetzung in einem fiktionalen Film, und kommt in "Storm", der ersten internationalen Produktion, in der Hans-Christian Schmid Regie führte, auch entsprechend papieren in den Dialogen daher. Wie eine Anklägerin des Internationalen Kriegsverbrechertribunals einen serbischen (die Nationalität des Verbrechens: serbisch - was sonst?) General zu überführen sucht und schließlich an den Quertreibereien politischer Ranküne scheitert, das ist von der guten Absicht her aller Ehren wert, doch leider merkt man dem Film die intensive Recherche an. Was bislang
Schmids Stärke war, über Menschen und Orte zu erzählen, die er kennt, mit Horvathscher Genauigkeit Worte und Bilder für seelische Verwundungen zu finden, stößt in "Storm" an die Grenzen von Behauptung und Konstruktion, verstrickt sich aber selbstverständlich nicht im Fallnetz der Kolportage, sondern bleibt, ernsthaft und bisweilen auch präzise auf der Seite der Redlichen in deren aussichtslosen Kampf gegen die VertreterInnen des Machbaren und politisch Opportunen.

Kommt ein Engländer nach Rumänien und dreht in den Karpaten einen Film über Ungarn: so könnte ein schlechter Witz beginnen, dessen Pointe man nicht erfahren möchte. Und dann noch dies: Es geht um Hass und Rache, ein dämonisches Weibsbild und finstere Landbewohner, kurz, wir befinden uns unleugbar in einem Heimatfilm. Weitab politisch (korrekter) Notwendigkeit und Erwartungshaltungen aller Art war "Katalin Varga" (Rumänien/Ungarn/Großbritannien, 2009; Regie: Peter Strickland) dennoch einer der bemerkenswertesten Neuerscheinungen im nur allzu ausrechenbaren Wettbewerbs-Programm der Berlinale 2009. Da wird eine Frau von ihrem Gatten verstoßen, weil er herausfindet, dass das Kind nicht von ihm ist. Die verlässt Haus und Hof und begibt sich mit ihrem Kind auf eine lange und beschwerliche Reise in eine unwirtliche Gegend, um Rache an ihren einstigen Vergewaltigern zu nehmen. Denen sie begegnet, stumm und abweisend wie die Landschaft, möchte man auch ohne persönliche Rechnung nicht über den Weg laufen. Dunkel und lasziv, bedrohlich und voller Liebe für ihr Kind, fordernd, unnachgiebig, hoffnungslos und zugleich trotzig ist diese Rachegöttin Katalin Varga in der faszinierenden Darstellung der Hilda Peter. Schuld und Sühne, irgendwo zwischen Dostojewskij und Karl Schönherr, jedenfalls aber in den (archaischen Verhältnisse bestens illustrierenden) Karpaten angesiedelt, welchen Peter Strickland eine eigene, nie zuvor gehörte Tonlandschaft zuordnet: das ist authentisch durch formidable SchauspielerInnen und exzellent gecastete Laien, verknappte Dialoge und Genre bedingte Konstellationen, die nicht vermieden, sondern nachgerade bis zum Exzess vorangetrieben werden und ein Gegenentwurf zum unselig alles glatt bügelnden "Eurofilm". Nennt es Karpatenschwestern, nennt es Racheepos, abseits von derlei Begrifflichkeiten verweigern jedenfalls da eine Frau und ein Film die üblichen Kompromisse.

Gitti und Chris genügen einander, um ihr Zusammenleben im nächsten Augenblick ungenügend zu finden. Zwischen Rollenspielen, Kraftproben, ausgelassen und zugleich lauernd, was der/die Andere hinter seiner/ihrer Selbstverständlichkeit versteckt, einmal ohne Netz arbeitend, dann wieder kindlich-vertraut herumalbernd, so verbringen die beiden ihre Tage im Urlaub, bis sie einen anderen Paar begegnen. Der Mann, Architekt wie Chris, erfolgreich, jedenfalls angeberisch, die Frau Status bewusst und pflichtgemäß schwanger. So seien "alle anderen" meint Chris und verrät Gitti, die Unverstellte. Ihre Beziehung neu definieren, das ist leichter gesagt (würde es denn ausgesprochen) als getan. Jeder Schuss kein Treffer, jedes Wort eine Niete. Anders, aber nicht wie "alle anderen": das könnte jeder Weg ins Freie sein...

"Alle Anderen" (Deutschland 2009; Regie: Maren Ade): Ein Ping-Pong der Gefühle, witzig und aufwühlend (trotz leichter Fallhöhe), betrachtend ein junges Paar, so geschwätzig wie sprachlos. Maren Ade erweist sich, wie schon in "Der Wald vor lauter Bäumen" als Meisterin der lakonischen Zwischentöne und hat mit Birgit Minichmayr und Lars Eidinger ideale ProtagonistInnen für die Probe aufs Exempel. Fraglos ein Höhepunkt im 59. Jahr der Berlinale.

Und "La Teta Asustada" (The Milk of Sorrow; Peru/Spanien 2009, Regie: Claudia Llosa), der Siegerfilm des diesjährigen Wettbewerbs? Wenn die Mutter mit Greisenstimme auf dem Sterbebett der Tochter singend Geschichten von Vergewaltigung und Folter erzählt und jene, an der "Milch des Leids", einer genetisch bedingten Traumatisierung, weitergegeben von Generationen in Angst gehaltener Frauen an ihre Töchter, laborierend, ihr singend antwortet, da Sprechen nur Stammeln sein könnte: in diesen ersten 20 Minuten des Filmes wird hör-, geradezu spürbar, was im weiteren nur schwerfällig daherkommt und befürchten lässt, dass "La Teta Asustada" trotz des Goldenen Bären bei Verleihern als Kassengift gelten dürfte.

Jene Filme, die allfällige Erwartungen nicht erfüllten, abseits des glatt gestrickten linearen ihre Geschichten erzählte, nicht unangreifbar und perfekt waren, sondern Schritte ins Ungewisse wagten, belebten den Wettbewerb, waren damit preiswürdiger als so manche "Markenware" aufgeputzt mit Stars, oder das traurige Alterswerk einstiger Größen wie Angelopoulos und Wajda.