Weltsozialforum in Nairobi
Eric Toussaint
Das siebte Weltsozialforum fand in diesem Jahr in Nairobi (Kenya) statt — erstmals zur Gänze auf dem afrikanischen Kontinent. Auf dem ärmsten Kontinent des Globus geriet das Sozialforum zum bisher teuersten und exklusivsten. Eric Toussaint arbeitet für das belgische Komitee für die Streichung der Schulden der Dritten Welt (CADTM, www.cadtm.org). Mit ihm sprach Angela Klein am vorletzten Tag des WSF.
11.05.2007
Wieviele Menschen haben am Weltsozialforum in Nairobi teilgenommen und woher kommen sie?
Die Organisatoren sprechen von 50.000, ich denke es sind höchstens
20.000. In der Mehrzahl kommen sie aus Ostafrika und Südafrika. Daneben
gibt es eine starke Delegation aus Asien, sicher 500 allein aus Indien;
aus Europa sind vor allem Frankreich, Spanien, Italien, Belgien und
Deutschland vertreten. Es wird darüber noch eine Debatte mit den
Organisatoren geben, weil die in einem Anflug von Größenwahn eine
Infrastruktur angemietet haben, die in keinem Verhältnis zur
TeilnehmerInnenzahl steht, nämlich ein riesiges Sportstadion, das
60.000—80.000 Menschen fasst — sie haben 100.000 Menschen erwartet. Das
kostet enorm viel Geld und um es einigermaßen bezahlen zu können, haben
sie beschlossen, das WSF in ein wohlhabendes Wohnviertel 15 Kilometer
außerhalb der Stadt zu verlegen. Es wäre viel besser gewesen, sich an
die ursprünglichen Planungen zu halten und das Forum in der Stadtmitte
von Nairobi durchzuführen. Die Hauptstadt Kenyas ist sehr grün mit
vielen großen Parks, in denen man Zelte hätte aufbauen können. 20.000
Leute hätten da ohne weiteres Platz nehmen können. Dann hätte auch die
kenyanische Bevölkerung am Forum teilnehmen können.
Das ist eines der großen Probleme hier, es ist sogar Gegenstand von
Protesten und Demonstrationen innerhalb des WSF und von Konflikten mit
dem kenyanischen Organisationskomitee, das an das Sekretariat des
Afrikanischen Sozialforums angebunden ist. Das Organisationskomitee
hatte beschlossen, dass der Teilnehmerbeitrag für AfrikanerInnen 500
Schilling beträgt, das sind 6 Euro. Das entspricht dem Mindestlohn von
einer Woche. Dazu kommt die Örtlichkeit, die sie nur mit dem Bus
erreichen können, der kostet auch wieder 20—30 Schilling die einfache
Fahrt. Für jemanden, der aus dem Armenviertel kommt, ist eine Teilnahme
unter diesen Bedingungen ein Ding der Unmöglichkeit.
Wer wird für die Kosten eines so luxuriösen Tagungsorts aufkommen?
Die Organisatoren verlangen von den TeilnehmerInnen aus den Ländern des
Nordens einen Teilnehmerbeitrag von 80 Euro — auf 5.000—6.000
Teilnehmende hochgerechnet addiert sich das. Für jede Aktivität, die
man durchführt (Seminare, Arbeitsgruppen usw.) zahlt man zwischen 120
und 200 Euro; ein Stand kostet 600 Euro Gebühren. Da kommt was
zusammen. Damit wird nicht nur gegenüber den afrikanischen Bewegungen,
sondern auch noch innerhalb der Delegationen aus dem Norden eine
Diskriminierung zwischen den großen NGOs und den selbstorganisierten
Initiativen und sozialen Bewegungen geschaffen. Letzteres ist nicht das
Wichtigste: irgendwie schaffen es die Netzwerke von Aktiven aus dem
Norden immer, das Geld zusammenzukratzen. Es ist durchaus
nachvollziehbar, dass die Organisatoren von Teilnehmern, die mehr
Mittel haben, auch einen höheren Beitrag fordern. Aber das Geld wird
für den falschen Zweck ausgegeben, nämlich für eine repräsentative
Tagungsstätte statt für die maximale Beteiligung der Bevölkerung.
Hinzu kommt, dass ganze Bereiche der Organisationsarbeit, z.B. die
Anmeldung, an private Firmen vergeben wurden, das machen nicht
AktivistInnen ehrenamtlich. Die Verpflegung wird an kleine
Cateringfirmen vergeben, die für die Konzession 30.000 Schilling zahlen
müssen. Das ist eine riesige Summe; die Frauen aus den einfachen
Vierteln, die normalerweise auf den Märkten Essen für 30—50 Schilling
anbieten, konnten da gar nicht mithalten und mussten draußen bleiben.
Wer ist denn das Afrikanische Sozialforum?
Im ASF geben große, auch sehr reiche, afrikanische NGOs den Ton an,
darunter auch kenyanische. Mehrere unter ihnen sind mit der Kirche
verbunden; Caritas Catolica ist hier sehr massiv vertreten, ebenso
einige reformierte Kirchen. Das alles führt zu einem großen
Ungleichgewicht: die sozialen Basisbewegungen sind unterrepräsentiert,
die NGOs und die Kirchen sind überrepräsentiert.
Ist das ein Anzeichen für eine allgemeine Entwicklung des Weltsozialforums oder war das jetzt eine afrikanische Besondernheit?
Zum Teil entspricht das einer Entwicklung im Internationalen Rat des
Weltsozialforums. Darin dominieren die NGOs immer stärker. Es ist aber
auch ein Ausdruck der Schwäche der sozialen Bewegungen und der
radikalen Linken in Afrika. Viele Organisationen der radikalen Linken
aus afrikanischen Ländern haben bei dieser Gelegenheit versucht,
Kontakte zu Partnern in Kenya zu knüpfen — sie sind aber nicht fündig
geworden. Es gibt in Kenya keine Organisation der radikalen Linken, die
ein öffentliches Auftreten hätte (mit Zeitung, Büro usw.), keine solche
Kraft ist hier aus Kenya auf dem WSF vertreten. Das einzige, was es
gibt, ist eine Initiative, die sich "Parlament des Volkes" nennt, sie
führt ein Alternativforum durch, an dem ich zusammen mit anderen
sozialen Bewegungen aus dem Norden teilgenommen habe. Da sind immer
einige hundert Menschen versammelt, über die sechs Tage dürften es etwa
2.000 Leute geworden sein. Sie machen das mitten in der Stadt in einem
Park. Das ist eine radikale Initiative, aber keine politische Partei.
Gibt es Ergebnisse vom diesjährigen WSF?
Ja, in der Tat, man darf bei der Kritik nicht stehenbleiben. Immerhin
sind 20.000 Menschen zusammengekommen, darunter sicher an die 1.500
GewerkschaftsvertreterInnen aus Afrika. Sie haben u.a. eine
Demonstration in Solidarität mit dem Generalstreik organisiert, der zur
Zeit in Conakry (der Hauptstadt von Guinea) läuft, von dem hat man
wahrscheinlich in Europa gar nichts gehört... Er ist blutig unterdrückt
worden, es hat 20 Tote gegeben. Das Parlament des Volkes hat eine
Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmern gegen die Essenspreise
auf dem Forum durchgeführt. Weil die Konzessionsgebühren für den
Essenverkauf so hoch sind, sind auch die Essenspreise hoch; ein Teller
warmes Essen kostet 350 Schillinge. Das können sich die Ortsansässigen
gar nicht leisten.
Meine Organisation, die CADTM, hat auf die hohen Preise hier reagiert
und am ersten Tag den Eingang besetzt. Wir haben mit dem
Organisationskomitee verhandelt, dass die Eingänge geöffnet und draußen
Wartende, die teilnehmen wollten aber nicht zahlen konnten,
reingelassen werden. An den folgenden Tagen haben das andere Bewegungen
wiederholt, der Weltfrauenmarsch, afrikanische Gruppen usw. Mit dieser
Methode konnten aber nur die Kenianer teilnehmen, die bis zum
Tagungsort vorgedrungen sind.
Man muss noch sagen, dass das Stadion, in dem wir untergebracht sind,
vom Militär abgeschirmt wird. Sie stehen da mit Maschinenpistolen
bewaffnet. Bisher hat es noch keinen Zwischenfall gegeben, er ist aber
auch nicht auszuschließen. Das ist das erste Weltsozialforum, das unter
bewaffnetem Polizeischutz steht.
Das wird doch Folgen für den Internationalen Rat haben, oder?
Natürlich. Der trifft sich im Anschluss am 26. und 27.Januar, da wird
es Streit geben. Organisationen wie der meinen wird man sicher
vorwerfen, wir hätten die Disziplin nicht gewahrt; wir werden von den
Organisatoren verlangen, dass sie sich für die inakzeptablen
Teilnahmebedingungen entschuldigen. Die CADTM hat schon eine
provokatorische Losung in die Welt gesetzt: "Das WSF ist keine Ware."
Wir werfen ihnen vor, dass sie anfangen, einen Ausverkauf des WSF zu
betreiben. Im Innern des Stadions befindet sich ein privat betriebenes
Restaurant in einem Steinhaus (während die anderen Restaurants in
Zelten untergebracht sind), das gehört dem Justizminister. Der war bis
zur Unabhängigkeit enger Kollaborateur der britischen Kolonialmacht und
an der Repression der Bewegung der Mau-Mau beteiligt, die für die
Unabhängigkeit Kenyas gekämpft hat. Er schlägt jetzt Profit aus dem
WSF, das ist völlig inakzeptabel.
Das ist ja schrecklich, was du erzählst.
Ja, es ist schrecklich, aber man muss die Wahrheit berichten.
Gibt es Ergebnisse, sind Kampagnen beschlossen worden?
Ja, gegen den Krieg, gegen die Schulden, Frauenaktionen, zum
Klimawandel, zum Handelsabkommen EU- Afrika, zur Migration. Das sind
alles wichtige Themen hier.
Am letzten Tag wird eine große Versammlung der sozialen Bewegungen
stattfinden, wir hoffen auf tausend Leute. Wir wurden auch darin
behindert, weil die Organisatoren zunächst angezeigt hatten, dass es
dafür keine Übersetzungsanlage geben würde. Wir konnten aber erreichen,
dass das noch geändert wird. Wir wollen in der Versammlung
hauptsächlich den afrikanischen Organisationen das Wort geben, die in
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stehen: den Bauern, den Frauen
— weil die realen Kämpfe, die in Afrika heute geführt werden, auf dem
WSF nicht genügend sichtbar geworden sind. Wir wollen den gemeinsamen
internationalen Kampf stärken.
Danke für das Gespräch.
26-01-2007, 21:57:00 |Eric Toussaint