Wanderzirkus der schönen Gefühle
Tariq Ali
Ende März wurde das Weltsozialforum in Karachi eröffnet – mit virtuoser Sufi-Musik und Redebeiträgen – während zur selben Zeit die Herrschenden das hundertjährige Bestehen der Moslemliga*) begingen.
25.04.2007
Die Führer der säkularen Opposition, Nawaz Sharif und Benazir Bhutto,
haben in ihrer Amtszeit darum gewetteifert, wer das meiste Geld
anhäuft. Heute sind beide im Exil. Bei ihrer Rückkehr müssten sie
befürchten, wegen Korruptionsverdacht verhaftet zu werden. Aber weder
Sharif noch Bhutto verspüren große Lust, zu Märtyrern zu werden oder
die Kontrolle über ihre Organisationen abzugeben.
Unterdessen setzen die religiösen Parteien in der von ihnen
kontrollierten nordwestlichen Grenzprovinz fröhlich neoliberale Politik
um. Unfähig sich um die Belange der Armen zu kümmern, richten sie ihr
Feuer lieber gegen Frauen und jene gottlosen Liberalen, die die Frauen
verteidigen.
Und weil das Militär sich seiner Herrschaftsrolle so sicher ist und die
offiziellen Politiker so nutzlos, boomt die „Zivilgesellschaft”.
Private TV-Sender und NGOs schießen wie Pilze aus dem Boden, die
meisten Aussagen sind erlaubt (ich wurde bspw. von einem Sender eine
Stunde lang über „die Zukunft der kommunistischen Weltbewegung”
interviewt).
Eine Ausnahme bilden offene Angriffe gegen die Religion oder das
Militär bzw. gegen jene militärischen Netzwerke, die Pakistan heute
regieren. Sollte die pakistanische Zivilgesellschaft allerdings zu
einer wirklichen Gefahr für die Eliten werden, würde aus dem Applaus
sehr rasch eine Drohgebärde werden.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch das WSF von der
Lokalregierung in Karachi erlaubt und unterstützt wurde. Das
Weltsozialforum ist inzwischen Teil der globalisierten Landschaft und
hilft rückwärts gewandten Herrschern, sich modern zu fühlen.
Die Veranstaltung in Karachi war nicht anders als andere WSFs auch. Es
kamen mehrere tausend Menschen, hauptsächlich aus Pakistan, vereinzelt
auch Delegiertengruppen aus Indien, Bangladesh, Sri Lanka, Südkorea und
einigen anderen Ländern.
Nicht vertreten waren Chinas aufsteigende Bauern- und Arbeiterbewegung
und die kritische chinesische Intelligenz. Auch aus dem Iran und
Malaysia war niemand da. Die israelischen Zwingherren, die die
jordanische Regierung beherrschen, schikanierten eine palästinensische
Delegation. Nur eine Handvoll Delegierter konnte deshalb durch die
Checkpoints nach Karachi gelangen.
Das große pakistanische Erdbeben 2005 hat viele WSF-Pläne zunichte
gemacht. So war es den Organisatoren nicht möglich, umher zu reisen und
Menschen aus anderen Regionen des Kontinents davon zu überzeugen, an
der Veranstaltung teilzunehmen. Sonst wären auf dem WSF – so die
OrganisatorInnen –, auch Stimmen aus Abu Ghraib, Guantánamo und
Fallujah zu hören gewesen.
Doch allein schon die Tatsache, dass eine solche Veranstaltung
überhaupt in Pakistan stattfand, ist positiv zu bewerten. Die Menschen
hier sind es nicht gewohnt, andere Meinungen und andere Stimmen zu
hören. Das WSF hat es vielen Menschen aus unterdrückten sozialen
Schichten und religiösen Minderheiten möglich gemacht, sich zu
versammeln und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen – so den verfolgten
Christen aus dem Punjab oder Hindus aus Sind. Von überallher kamen
Frauen und erzählten erschütternde Geschichten von Unterdrückung und
Diskriminierung.
Ebenfalls vertreten war ein wichtiger Faktor im Klassenkampf: Bauern,
die gegen die Privatisierung der Militärfarmen von Okara kämpfen, und
Fischer aus Sind, deren Existenzgrundlage bedroht ist, weil der Indus
umgeleitet und damit den einfachen Menschen das Wasser genommen wird,
das sie seit Jahrtausenden nutzen – seit Anbeginn der menschlichen
Zivilisation sozusagen. Arbeiter aus Beluchistan kamen und klagten über
die Brutalität des Militärs in ihrer Region.
Lehrer kamen und erklärten, dass es praktisch kein pakistanisches
Bildungssystem mehr gebe. Die einfachen Leute, die zu Wort kamen, waren
eloquent, analytisch und zornig.
Diese Menschen bildeten einen scharfen Gegensatz zur steifen Rhetorik
der politischen Kaste Pakistans. Die meisten Redebeiträge wurden von
den wichtigsten privaten Sendern in Radio und Fernsehen übertragen. Die
Privatsender wetteiferten um die umfassendste Berichterstattung.
So kam der große Wanderzirkus der schönen Gefühle, WSF, nach Pakistan –
und zog wieder weiter. Was wird bleiben? Wenig – abgesehen von gutem
Willen und dem Gefühl, dass es überhaupt in Pakistan stattfand.
Schließlich bleibt die Tatsache bestehen, dass die Politik des Landes
von den Eliten beherrscht wird. Darüber hinaus gibt es nicht viel. Die
kleinen radikalen Gruppen tun zwar ihr Möglichstes, aber es gibt keine
nationale Organisation oder Bewegung, die für die Enteigneten sprechen
könnte. Die soziale Lage im Land ist düster – daran ändern auch die
manipulierten Statistiken nichts, die der pakistanische
Ministerpräsident Shaukat Aziz, ein Mann der Weltbank, in Umlauf bringt.
Die NGOs sind kein Ersatz für echte soziale und politische Bewegungen.
In Pakistan selbst mögen sie als NGOs gelten, global gesehen aber sind
sie WGOs (Western Governmental Organizations – Regierungsorganisationen
des Westens). Gelder fließen nur unter der Bedingung, dass ihre Ziele
beschnitten werden. Das soll nicht heißen, dass einige dieser NGOs
nicht gute Arbeit leisten, aber alles in allem läuft es doch darauf
hinaus, dass durch sie das kleine Potenzial an Linken und liberalen
Intellektuellen atomisiert wird. Die meisten dieser Frauen und Männer
kämpfen darum, dass ihrer jeweiligen, ihrer individuellen NGO nicht der
Geldhahn zugedreht wird. Kleinere Konkurrenzkämpfe haben sich ins
Maßlose gesteigert; Politik im Sinne von Graswurzelorganisationen ist
hier praktisch nicht erkennbar. Und das lateinamerikanische Modell –
wie es sich durch die Siege von Chávez und Morales zu entwickeln
beginnt –, ist weit weg von Mumbai, weit weg von Karachi.
*) Die Moslemliga ist jene Partei, die Pakistan einst gegründet hat; seither wechselt eine Bande von Schurken die andere ab, heute befindet sich die Partei in den Händen von Politzuhältern, die sie wie ein Bordell führen.
15-05-2006, 18:10:00 |Tariq Ali