USA: Antikriegsbewegung wieder im Aufschwung
Barry Sheppard
Am 27. Januar fand in Washington D.C. die größte Antikriegskundgebung seit September 2005 statt. Viele SoldatInnen sind dabei, nicht nur Veteranen, auch solche im aktiven Dienst.
11.05.2007
Im vergangenen Jahr gab es trotz einer wachsenden Antikriegsstimmung in
der Bevölkerung lediglich vereinzelte Demonstrationen, da alle Augen
auf die Kongresswahlen gerichtet waren. Viele hatten die Hoffnung, mit
dem Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen würden sinnvolle
Schritte in Richtung auf eine Beendigung des Krieges unternommen. Mit
der jüngsten Demonstration wollten die Beteiligten die Demokraten unter
Druck setzen.
Es gab jedoch noch einen anderen Aspekt. Der Ärger darüber, dass die
Demokraten nichts Substanzielles dafür unternehmen, wächst. Gleich nach
den Kongresswahlen im November 2006 machten führenden Vertreterinnen
der Demokraten — u.a. Nancy Pelosi, die neue Vorsitzende des
Repräsentantenhauses, und Senatorin Hillary Clinton — klar, dass sie
weiterhin für das Kriegsbudget von Präsident George W. Bush stimmen
würden. Von da an ging es abwärts.
Den weitestgehenden Antrag im Senat stellte der Demokrat Ted Kennedy.
Er gilt als der "linksliberalste" Senator. Er forderte, dass die Anzahl
der US-Truppen im Irak in der Größenordnung vom Januar eingefroren
werden sollte. Der Antrag wurde abgelehnt, ebenso ein anderer, sehr
zahmer Antrag, der sich respektvoll mit Bushs Aufstockung der Truppen
"nicht einverstanden" erklärte.
Irgendein heuchlerischer Antrag wird wohl noch verabschiedet werden,
aber er wird bei weitem nicht so weit gehen, wie die Mehrheit der US-
Bevölkerung es will: Schluss mit dem Krieg und die Soldaten zurück nach
Hause, bevor noch mehr getötet und verstümmelt werden.
Natürlich waren die Demonstrierenden auch wütend auf Bush und die
Republikaner. Vizepräsident Cheney sagte im öffentlichen Fernsehen
unverblümt, es unwichtig, was der Kongress tut, die Regierung würde mit
voller Kraft mit der Ausweitung des Krieges fortfahren. Bush äußerte
sich nicht so offen wie Cheney, aber auch er vertrat dieselbe Ansicht.
Das war ein Schlag ins Gesicht. Die imperiale Arroganz dieser Regierung
raubt einem fast den Atem.
Ein paar VertreterInnen der kleinen Minderheit von Demokraten im
Kongress, die gegen den Krieg sind, sprachen auf der Demonstration, es
kam jedoch weder ein Senator noch irgendjemand von der Parteispitze.
Hingegen sprach Hillary Clinton einige Tage später vor Mitgliedern
einer zionistischen Organisation und versprach, sie würde alles tun,
was in ihrer Macht steht, um den "Iran zu stoppen", einschließlich
militärischer Maßnahmen.
Die Demonstration fiel auch durch die zunehmende Sichtbarkeit der
SoldatInnen auf; sowohl in der Demonstration als auch auf der
Rednertribüne traten sie gegen den Krieg auf. Die SoldatInnen
organisieren sich in Interessenverbänden, z.B. in dem Irak Veterans
Against the War.
Die New York Times berichtete: "Tassi
McKee aus Bastrop, Louisiana, sagte, sie sei Sergeant in der Air Force
gewesen; sie war eine aus einer kleinen Gruppe von rund zwanzig aktiven
Soldaten, die anwesend waren ... Sie sagte, es sei nicht illegal für
Soldaten im aktiven Dienst, Protestaktionen zu besuchen, jedoch würde
massiv davon abgeraten. Veteranen waren zahlreicher vertreten.
Bekleidet mit einer olivgrünen Bomberjacke, die er während der Invasion
des Irak getragen hatte, als er als Marine Sergeant diente, erzählte
Jack Teller, er sei von Greenville, North Carolina, zum Tross gestoßen,
weil er das Gefühl hatte, es wäre seine Pflicht. ‘Ich trage die Jacke
nicht gerne, weil sie mich daran erinnert, dass ich an einem
unmoralischen und illegalen Krieg teilgenommen habe‘, sagte Teller, der
‘Irak Veterans Against the War‘ auf der Rückseite seiner Jacke stehen
hatte. ‘Es ist aber wichtig, politisch Stellung zu beziehen.‘ Fernando
Braga, ein 24-Jähriger aus der Bronx und Mitglied der Army National
Guard, sagte, er sei gegenüber dem Krieg skeptisch eingestellt gewesen,
bevor er begann. Er begann, eine entschieden oppositionelle Haltung
einzunehmen, als er vom März 2004 bis Januar 2006 im Irak diente. ‘Mein
eigener Vorgesetzter sagte uns bei unserer Ankunft, wenn wir glaubten,
dass wir wegen irgendetwas anderem als wegen Öl da seien, dann würde
uns was anderes bevorstehen. Ich merkte, dass sogar Offiziere dagegen
waren, aber den Befehlen folgten.‘"
Eine der beeindruckendsten Reden hielt der Marinematrose Jonathan
Hutto, einer der Organisatoren von Redress, einer Antikriegspetition,
die von über 1.200 aktiven SoldatInnen unterzeichnet wurde. Andere
Delegationen und Redner kamen von den Gold Star Mothers, die Söhne und
Töchter im Krieg verloren haben und von Military Families Speak Out.
Offiziere gegen den Krieg
Am 5. Februar begann das Militärverfahren gegen Ehren Watada. Er ist
der erste Offizier, der sich weigert, in den Irak zurückzukehren.
Truthout.org berichtete am 7. Februar: "Es
war eine schallende Niederlage für die Militärstaatsanwälte, als
Oberstleutnant John Head, der Vorsitzende in Watadas
Militärgerichtsverfahren, erklärte, er habe keine andere Wahl als die,
ein fehlerhaftes Gerichtsverfahren festzustellen, weil
Militärstaatsanwälte und Watadas Verteidiger sich hinsichtlich der
Bewertung eines Vergleichs, den Watada vor dem Beginn des
Militärgerichtsverfahrens unterzeichnet hatte, nicht einigen konnten.
Der Richter bezeichnete den Vergleich als ein Schuldeingeständnis
Watadas wegen ‘unterbliebenem Einsatz‘ und Bemerkungen gegen den Krieg."
Watada war nach dem 11. September in die Armee eingetreten. Der Krieg
hat ihn desillusioniert, und er kam zu dem Schluss, dass er illegal und
unmoralisch ist. Er wurde beschuldigt, dem Befehl für den Einsatz im
Irak nichtn nachgekommen zu sein und ein "für einen Offizier und
Gentleman ungebührliches Verhalten" an den Tag gelegt zu haben — damit
war seine öffentliche Stellungnahme gegen den Krieg und seine Erklärung
gemeint, warum er sich weigerte, in den Irak zu gehen.
"Nach meinem Verständnis", sagte Watada auf einer öffentlichen
Veranstaltung im Januar, "haben nach militärischem Recht Soldaten die
Erlaubnis, ja sogar das Recht und die Pflicht, ungesetzliche Befehle zu
verweigern..."
Seine Weigerung, dem Einsatzbefehl Folge zu leisten, begründete er mit
der Tatsache, der Krieg sei nach amerikanischem und internationalem
Recht ungesetzlich. Der Richter in seinem Verfahren verwarf Watadas
Argument. Watada sagte, er werde gegen das Urteil angehen, weil das
Verfahren zu einer Farce geworden sei.
Der Vorwurf "ungebührlichen Verhaltens" klingt wie aus dem 19.
Jahrhundert; er basiert auf Watadas Bemerkung, die Bush-Regierung habe
den Krieg zu Unrecht mit dem 11. September gerechtfertigt. Dass Bush,
Cheney und der ganze Verein gelogen haben, ist auf der ganzen Welt
bekannt. Aber Bush ist "Oberbefehlshaber" des Militärs, also ist es
"ungebührliches Verhalten", die Wahrheit über ihn zu erzählen.
Das ist ein Angriff auf das Recht von Soldaten auf Redefreiheit; es ist
aber auch eine Unverschämtheit zu behaupten, eine Kritik am
"Oberbefehlshaber" untergrabe die Moral der bewaffneten Truppe. Von
hier ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Vorwurf, jeder, der
Bush und den Krieg kritisiert, untergrabe die "Moral der Truppe".
Watada drohen zwei Jahre Militärgefängnis wegen Einsatzverweigerung und
weitere zwei Jahre wegen öffentlicher Kritik an Bush. Er wurde zu einem
prominenten Fall der Antikriegsbewegung. Sein Vater sprach auf der
Demonstration in Washington, seine Mutter auf der in San Francisco.
Die SoldatInnen und die Familien treten immer häufiger auf, das kann
die Antikriegsstimmung und die Bewegung nur verstärken. Es gibt
begründeten Optimismus, dass der 27. Januar einen Wendepunkt in der
Mobilisierung gegen den Krieg darstellt und die Führungskrise der
Bewegung überwunden ist. Es bleibt zu hoffen, dass der Wiederaufschwung
der Bewegung in den USA Anstoß für weltweite Antikriegsaktion geben
wird.
05-03-2007, 16:09:00 |Barry Sheppard, San Francisco