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Streikerfolg in Frankreich: Wie geht es weiter?

Streikerfolg in Frankreich: Wie geht es weiter? Interview mit Maxime Combes Frankreichs Regierung ist mit ihrem Gesetz für einen Erstanstellungsvertrag, der eine zweijährige Probezeit ohne Kündigungsschutz vorsah, gescheitert. Zuvor hatte Staatspräsident Chirac versucht, das Gesetz zu retten, indem er ankündigte, er werde es unterzeichnen, zugleich einen Brief an Behörden und Unternehmerverbände richtet, es solle nicht angewandt werden. Die Fraktion der gaullistischen Partei (UMP) in der Nationalversammlung hat unterdessen Gewerkschaften und Arbeitgeber zu einer ersten Verhandlung über ein neues Gesetz eingeladen. Premierminister Villepin hat angekündigt, das gescheiterte Gesetz durch andere Bestimmungen über eine Förderung für jugendliche Berufsanfänger ersetzen zu wollen, die in Schwierigkeiten stecken. Die SoZ sprach mit Maxime Combes, Student der Wirtschaftswissenschaften in Paris und aktiv in der globalisierungskritischen Initiative Vamos!

25.04.2007

¿ Ihr habt einen Erfolg auf der ganzen Linie errungen?

Was die Rücknahme des Gesetzes betrifft, war es ein voller Erfolg — aber es bleibt auch darauf beschränkt. Als Villepin im Jänner den Gesetzesentwurf ankündigte und die Mobilisierung losbrach, stand in der Tat die Rücknahme des Gesetzes im Mittelpunkt. Im Verlauf der Proteste hat sich der Forderungskatalog jedoch ausgeweitet: Es ging dann auch um die Rücknahme des Neuanstellungsgesetzes (CNE), das im vergangenen Jahr beschlossen worden ist, um das ganze Gesetz über die Chancengleichheit, von dem das CPE nur ein Teil ist, und generell um eine Politik, die die Prekarisierung stoppt. Der kleinste gemeinsame Nenner aber war die Rücknahme des CPE. Das haben wir durchgesetzt, und das ist sehr wichtig, weil wir lange Zeit starke soziale Mobilisierungen hatten — gegen die Rentenreform, gegen die Ausbildungsreform u.a. —, die keinen Erfolg gebracht haben.
Selbst der Erfolg des „Nein“ zur EU- Verfassung hatte nicht bewirkt, dass sich am innenpolitischen Kurs etwas ändert. Die Jugendlichen haben jetzt gezeigt, dass es sich doch lohnt, auf die Straße zu gehen, dass wir gegen die Regierung etwas durchsetzen können. Das verändert das gesellschaftliche Klima. Man wird auch in anderen europäischen Ländern nicht mehr so tun können, als sei die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitskraft die einzige Lösung für das Problem der Arbeitslosigkeit.
Darüber hinaus hat die Mobilisierung einen enormen Politisierungsschub bewirkt — Hunderttausende sind neu in die politische Debatte eingestiegen, haben sich über den Gesetzestext und über das bestehende Arbeitsrecht informiert und darüber diskutiert. Die Regierung wird den Leuten jetzt keine Märchen mehr auftischen können…  Aber die Jugendlichen wollten mehr als nur die Rücknahme des Gesetzes.

¿ Was haben sie denn erwartet? Gab es einen gemeinsamen Willen für eine positive Alternative und wie sollte die aussehen?

Es gab einen gemeinsamen Willen, eine breite Debatte zu eröffnen und so etwas wie Generalstände der Jugend einzurichten — zu Themen wie Ausbildungsbedingungen, Einstellungsbedingungen, Jugendarbeitslosigkeit u.ä. Villepin hatte gesagt, das CPE sollte die Jugendarbeitslosigkeit senken. Nun wird das Gesetz zurückgezogen. Die Jugendarbeitslosigkeit aber bleibt, die Jugendlichen leben und arbeiten weiterhin unter prekären Bedingungen, die Hälfte der Studierenden muss weiterhin arbeiten, um ihr Studium zu finanzieren, die Probleme an den Schulen sind unverändert, in einigen Schichten der Bevölkerung finden 40% der Jugendlichen keine Arbeit, weil sie keinen Schulabschluss haben, die Ausgrenzung der Jugendlichen der Vorstädte geht weiter — all diese Problemen sind ungelöst. Man muss also Diskussions- und Verhandlungsspielräume öffnen, die erlauben, diese Fragen anzupacken.
Ich bin da etwas beunruhigt, weil ich befürchte, dass diese großartige Mobilisierung und die Debatte, die durch sie losgetreten wurde, bald überlagert werden wird von einer verengten politischen Debatte über die Präsidentschaftswahlen 2007.

¿ Das heißt, die Bewegung hat keine gemeinsame positive Forderung zur Überwindung der Prekarisierung hervorgebracht?

Es gab verschiedenen Forderungen, aber keine, die die Bewegung insgesamt getragen hätte. So etwas zu entwickeln, dazu bestände heute die Chance. Man müsste die Debatte auf örtlicher Ebene beginnen und dann in Generalständen münden lassen. Es wäre sehr wichtig, dass wir uns jetzt auf gemeinsame positive Alternativen verständigen. Ich habe aber Sorge, dass das jetzt in den Streitigkeiten um die Präsidentschaftswahlen untergeht.

¿ Es soll doch Verhandlungen geben?

Eigentlich ja, aber wie du selbst gesagt hast, die Gewerkschaften wollen etwas anderes als die Jugendlichen. Selbst untereinander vertreten die Jugendlichen unterschiedliche Richtungen. Die StudentInnengewerkschaft (UNEF) gibt sich damit zufrieden, dass das Gesetz zurückgenommen wurde und denkt nicht über weitergehende Schritte nach. Tausenden von Jugendlichen reicht das aber nicht.

¿ Was wollen die Gewerkschaften denn jetzt aushandeln? Nimmt die StudentInnengewerkschaft an den Verhandlungen teil?

Ich weiss nicht, was die UNEF tun wird. Wie weit die Gewerkschaftsverbände in den Verhandlungen kommen werden, ist unklar. Für Villepin wird es sehr gefährlich, bis September einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der ihm dann im Vorwahlkampf auseinandergepflückt wird. Ich befürchte, dass der Präsidentschaftswahlkampf bis ins nächste Jahr jede Initiative blockieren wird.

¿ Ihr habt gewonnen, weil es euch gelungen ist, ein ganz breites Bündnis aufzubauen. Wie ist euch das gelungen? Wer hat alles mitgemacht? Wie wart ihr organisiert?

Das Bündnis war sehr breit, es gab aber mehrere Entscheidungszentren. Unmittelbar nachdem Villepin das neue Gesetz angekündigt hatte, bildete sich ein nationales Kollektiv der Jugend — darin waren alle Jugendorganisationen vertreten: TrotzkistInnen, AnarchistInnen, PCF-Jugend, SozialdemokratInnen bis hin zu Jugendorganisationen, die der liberalen Partei UDF nahestehen, sogar fachbereichsbezogene StudentInnengruppen waren darunter, die keinen politischen Anspruch erheben.

¿ Auch solche, die der Regierung nahestehen?

Nein. Bei Mitte-Rechts hörte das auf. Wir konnten das Bündnis in dieser Breite aufbauen, weil das Gesetz so schlecht war. Es hat keiner sehr großen Anstrengung bedurft, das Bündnis kam sehr schnell zusammen. Es hat die Mobilisierung losgetreten und in den ersten sechs Wochen die entscheidende Rolle gespielt. Die Aktionen mündeten in einen flächendeckenden Unistreik, der in Westfrankreich begann. Weil es diese Geschlossenheit bei der Jugend und die Unistreiks gegeben hat, hat es dann auch eine Einheit unter den Gewerkschaften gegeben. Wir haben sie gedrängt, am Anfang wollten sie nicht mitmachen, als sie dann aber gesehen haben, wie geschlossen die Jugendlichen auftraten, blieb ihnen nichts anderes übrig als ebenfalls geschlossen aufzutreten. Als sie dann gleichfalls zu Aktionstagen aufgerufen haben, war das der Punkt, wo wir gewonnen haben.
Neben dem Kollektiv der Jugendorganisationen und der Koalition der Gewerkschaften (die UNEF war das Bindeglied zwischen beiden) hat sich im Verlauf der Hochschulstreiks noch eine StudentInnenkoordination gebildet, die alle im Streik gewählten Delegierten umfasste. Das war ein dritter Pol.
Zwischen politischen Jugendorganisationen, eher ständisch orientierten Gewerkschaften wie FO und der Streikvertretung der Studierenden gab es durchaus Verständigungsschwierigkeiten, aber auch einen gewissen Wettbewerb. Jeder musste den anderen verstehen und respektieren, jeder wusste, dass man nur gemeinsam gewinnen konnte. Deshalb haben alle die Handbremse gelöst und sich voll in die Mobilisierung geworfen, auch wenn es dagegen anfänglich Bedenken gab. Der Erfolg der Aktionstage am 18. März, 28. März und 4. April ist darauf zurückzuführen.

¿ Machen diese Koordinationen jetzt weiter?

Die studentische Koordination ruft zur Fortsetzung der Aktionen auf, die UNEF aber nicht, für die ist der Kampf vorbei. Das nationale Kollektiv der Jugendorganisationen ist im letzten Monat nicht mehr zusammengetreten, da wird man sehen. Die Gewerkschaften werden eventuell ihre Verhandlungspositionen abstimmen.

¿ Hat euer Kampf auch unmittelbar politische Auswirkungen?

Eine unmittelbare Auswirkung wäre der Rücktritt des Ministerpräsidenten gewesen — das ist nicht geschehen. Unter der Oberfläche ist die Rechte aber zerrissen, Chirac hat keine Legitimität mehr, nachdem er dazu aufgerufen hat, das Gesetz, das er unterzeichnet hat, nicht anzuwenden; der Ministerpräsident ist stark geschwächt, dasselbe gilt für Innenminister Sarkozy. Der Riss zwischen der regierenden (gaullistischen) UMP (deren Vorsitzender Sarkozy ist) und der (liberalen bürgerlichen Oppositionspartei) UDP war noch nie so tief. Auf der Linken wiederum habe ich nicht den Eindruck, dass diese Mobilisierung Bewegung in die Suche nach einer gemeinsamen Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen gebracht hätte. Ich sehe noch nicht, dass LCR und PCF ihre Meinung da geändert hätten. Deshalb sage ich, es ist schön, dass wir gewonnen haben, aber ich befürchte auch, davon bleibt nicht viel übrig.

15-05-2006, 19:27:00 |Interview mit Maxime Combes