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Sharons letzter Sieg

Michel Warschawski

Der bedeutende Sieg von Hamas bei den unzweifelhaft demokratischen Wahlen in den besetzten palästinensischen Gebieten ist ein Resultat vieler Faktoren. Vor allem ist es ein großer Sieg für die Politik von Ariel Sharon.

24.04.2007

Die Zerstörung der PLO ist viele Jahrzehnte hindurch strategisches Ziel früherer israelischer Ministerpräsidenten gewesen; schon die blutigen Abenteuer Sharons im Libanon 1982 waren Teil der Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen. Doch die Invasion des Libanon scheiterte, trotz der israelischen Militärmacht und ihrer erbarmunglosen Brutalität, wie sie beispielhaft bei den Massakern von Shabra und Shatila zum Ausdruck kam.
Als Ariel Sharon 2001 erneut an der Macht war, war er entschlossen, dort weiterzumachen, wo er zwei Jahrzehnte zuvor gescheitert war. Unter dem Vorwand eines permanenten und präventiven Krieges gegen den Terrorismus entfesselte Sharon eine blutige Offensive gegen die Führer, AktivistInnen und Institutionen der palästinensischen nationalen Bewegung. Sein Ziel war die Zerstörung der Bewegung, wohl wissend, dass im Erfolgsfall diese Strategie den Aufstieg einer alternativen Führung nach sich ziehen würde. Dass „Israel keinen palästinensischen Partner hat” war nicht der Grund für die große militärische Offensive und die israelische Politik der Zerstörung der besetzten Gebiete, sondern ihr Ziel: Für den früheren israelischen Ministerpräsidenten war dieser Unilateralismus die einzige Form, die zionistischen Ziele zu verfolgen, Verhandlungen begriff er als Hindernis, das eine lange Serie von Kompromissen erzwingen könnte. Aus seiner Sicht war es notwendig, jedweden potenziellen Partner für zukünftige Verhandlungen zu zerstören.
Nach der Neutralisierung von Yasser Arafat destabilisierte die israelische Regierung die Position des „moderaten” Abu Mazen und setzte den Prozess der Zerstörung sowohl der palästinensischen Infrastruktur als auch der palästinensischen territorialen Integrität fort. Chaos und oftmals terroristische Angriffe waren das zu erwartende Ergebnis dieser Politik, die allein den Zweck verfolgte, zu demonstrieren, dass es nach wie vor keinen palästinensischen Partner gebe.
Israel warnte die palästinensische Führung mit Vorbedacht, auf politischer oder ökonomischer Ebene ihrer Bevölkerung irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Die damit erhoffte und vorausgesehene sinkende Unterstützung der Massen für die Fatah-Führung stärkte die islamische Opposition. Tatsächlich wird Hamas von der palästinensischen Bevölkerung nicht nur als kompetenter wahrgenommen, sie wird auch nicht mit dem Scheitern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Verbindung gebracht. Die Wahl von Hamas war mehr eine Protestwahl denn eine ideologische Entscheidung. Es war eine Form zu sagen: „Ihr seid gescheitert, wir haben kein Vertrauen mehr in euch und wir wollen etwas Neues anfangen.”
Ariel Sharon wünschte einen Sieg von Hamas, um auf überzeugendere Weise sagen zu können: „Wir haben keinen Partner für den Frieden.” Die Wahlresultate werden Israel erlauben, seinen Weg der Kolonisierung fortzusetzen, einschließlich einiger taktischer militärischer Rückzüge und des Abbaus einiger isolierter, nicht haltbarer Siedlungen.
Eine Zeit lang kann diese Politik erfolgreich sein, die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und der Medien entspricht den Plänen der israelischen Regierung. Mit anderen Worten, das palästinensische Volk wird kurzfristig schwierigen Zeiten entgegensehen. Doch wie lange kann die Situation sich noch weiter verschlechtern? Wird Israel den Friedensprozess stoppen? Es hat keinen Friedensprozess gegeben. Wird Israel zur Politik der selektiven Morde zurückkehren? Sie ist nie aufgegeben worden. Wird Israel mehr Häuser zerstören und mehr Bäume ausreißen? Es ist fast unmöglich, Schlimmeres zu tun, als Israel in den letzten fünf Jahren getan hat. Wird Israel weiter Aktivisten einsperren? Diese Politik wurde nie gestoppt. Wird die internationale Gemeinschaft ihre Wirtschaftshilfe einstellen? Sie wurde bereits auf ein Minimum reduziert.
Jedenfalls wird der israelische Erfolg vielleicht nicht allzu lange dauern. Angesichts der Tatsache, dass Hamas vor den Augen Hunderter internationaler Beobachter demokratisch gewählt wurde, wird die Führung von Hamas eine gewisse internationale Legitimität genießen. Tatsache ist, dass sie nicht verantwortlich ist für die vorangegangenen Kompromisse der PLO (den Prozess von Oslo), was sie besser in die Lage versetzt, nicht zu viele Erwartungen der Massen zu nähren. Die Möglichkeit einer Regierung der nationalen Einheit ist jetzt sehr real und wird diesmal von der internationalen Gemeinschaft als ein Zeichen der Mäßigung wahrgenommen. In der vorangegangenen Phase wurde dieselbe Orientierung als Wende der PA zu radikaleren Positionen wahrgenommen.
Im Unterschied zu dem rassistischen Bild, das die lokalen und internationalen Medien verbreitet haben, ist Hamas keine fanatische und irrationale Organisation. Sie hat eine intelligente politische Führung, die dem erfolgreichen Beispiel der Hezbollah im Libanon folgen wird. Es ist auch möglich, dass Hamas sich in die PLO integriert und deren Autorität akzeptiert.
Möglicherweise kann der Sieg von Hamas das zustande bringen, was Israel sabotieren wollte: die Herstellung einer palästinensischen nationalen Einheit für den Kampf gegen die Besatzung und für den Aufbau einer Gesellschaft, die der israelische Befriedungskrieg systematisch zersetzt hat. Vielleicht gelingt es, neue Hoffnungen und mehr Zuversicht zu wecken.
„Wir werden mit Hamas nicht verhandeln.” „Wir werden Hamas nur auf dem Schlachtfeld entgegentreten.” Das sind Losungen aus den 80er Jahren, nur dass sie sich damals gegen die PLO richteten. Wir wissen, dass die israelische Regierung damals gezwungen war, ihre Politik radikal zu ändern, zumindest zwei Jahre lang. Es gibt schon Anzeichen dafür, dass die US-Regierung von ihrer Politik des totalen Krieges gegen die islamischen Organisationen Abstand nimmt und versucht, neue Verbündete unter ihnen zu finden. Offensichtlich haben die USA angefangen, mit diesen Organisationen im Irak zusammenzuarbeiten, und sie haben halboffizielle Kontakte zu den Moslembrüdern in Ägypten aufgenommen. Früher oder später wird die internationale Gemeinschaft Israel zwingen, mit Hamas zu verhandeln, wie sie es vor 15 Jahren gegenüber der PLO getan hat.
In Bezug auf die palästinensische Gesellschaft stellt der Sieg von Hamas eine doppelte Herausforderung dar. In erster Linie werden die PalästinenserInnen intern darum kämpfen müssen, die sozialen und zivilen Errungenschaften zu verteidigen, die Hamas angreifen kann. Die internationale Gemeinschaft beunruhigen diese Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte mit Sicherheit nicht, aber für das palästinensische Volk sind sie ein erstrangiges Thema. Die zweite Herausforderung besteht darin, eine laizistische nationale Bewegung wieder aufzubauen und der PLO ihre Macht und Führungsrolle wieder zurückzugeben.
Wenn diese beiden Herausforderungen erfolgreich bestanden werden, könnte der letzte Sieg Ariel Sharons dem in Libanon ähneln, also ein Pyrrhussieg sein.


04-03-2006, 21:06:00 |Michel Warschawski (Jerusalem)